Ein Tag, der mich förmlich dazu zwang, etwas leisezutreten. Oder wenigstens weniger Schritte zu tun. Zumindest nahm ich es mir vor.
Auf dem Campingplatz herrschte am Vormittag bereits reges Treiben. Nicht weil so viele Camper unterwegs waren, sondern weil ein Wanderweg direkt durch den Platz führt. Es waren ziemlich zwielichtige Gestalten, die bereits recht früh auf den Beinen waren. Ich beschloss, alles, was in meinem Gepäck irgendwie wertvoll aussah, an diesem Tag besser mitzunehmen, um bloß niemanden in Versuchung zu führen.
Ich entdeckte den Pfad auf der anderen Seite des Flusses, der direkt zur Stadt führt. Er ist wesentlich angenehmer, weil er nicht an der Hauptverkehrsstraße liegt wie der auf der anderen Seite. Auch erschien ist mir kürzer. Was ich mir allerdings einbildete, aber so ist das manchmal. Wenn man irgendwo gerne entlang läuft, werden Wege gefühlt kürzer. Es ist ohnehin kaum der Rede wert. Lannion centre liegt nur ein paar Hundert Meter entfernt.
Es war Flohmarkt. Ungelogen, mein Herz hüpfte. Ich liebe Flohmärkte, besonders im Ausland. Sie sind immer ein kleines bisschen anders. Das Schöne war, dass viele Privatpersonen ausgemistet hatten. Auf dem riesigen Parkplatz der Stadt hatten sich also Dutzende Einwohner versammelt, die Krims und Krams anboten. Kinkerlitzchen können auch dabei gewesen sein.
Einerseits hüpfte mein Herz, andererseits blutete es. Ich konnte ansehen und anfassen, aber nichts kaufen. Wie sollte ich das alles tragen? Ich schaute mir Kupfertöpfe an. Unmöglich, das zu tragen. Ich stieß auf einen Haufen alter Modemagazine, vielleicht aus den 60ern Punkt mitsamt der dazugehörigen Schnittmuster. „Trois Euros pour tous“, rief mir der Verkäufer zu. Oder so etwas Ähnliches. Wie kann der so etwas machen? Und wie schaffte ich es, zu widerstehen? Nur mit Mühe. Mit größter Mühe. Aber es waren sicher 20 Zeitschriften. Das wiegt zu viel, um es meinem Gepäck hinzuzufügen. Vielleicht ahnte der Verkäufer meinen inneren Kampf, denn er lächelte nur und zuckte mit den Schultern, während er das Angebot wiederholte. Ich grinste ebenfalls und zuckte mit den Schultern, blieb aber wortlos. Was sollte ich sagen? Das war alles zu viel. Also ging ich schleunigst und sah ich mich weiter um.
So manches Stück gefiel mir. Vieles hätte ich mir in Berlin in unserer Altbauwohnung vorstellen können. Besonders nautische Geräte, die dort zwar herrlich nutzlos gewesen wären, aber sicher prächtig wirken würden. Letztlich blieb es bei anderthalb Rundgängen über den Markt. Den Stand mit den Modemagazinen mied ich. Ein zweites Mal hätte ich nicht widerstehen können.

Lannion

Also machte ich, dass ich davon kam. Trotzdem war meine Laune gehoben. Die Dinge kommen ohnehin zu einem, früher oder später, wenn sie kommen sollen. Und wenn nicht, dann eben nicht. Verpassten Chancen nachzuheulen ist so sinnlos, wie das Meer trocken schöpfen zu wollen. Besonders hier verschwindet es sowieso irgendwann. Kommt bei Flut aber auch schnell wieder.
Für den heutigen Tag hatte ich mir noch eine Kirche aufgehoben, die hoch über der Stadt thront. Man erreicht sie über an die 100 Stufen, vielleicht ein paar mehr. Es ist ein netter Weg, er führt an alten Häusern entlang, aus verwitterten Steinen und knorrigen Türen, die so niedrig sind, dass selbst ich mir den Kopf stoßen würde. Die winzigen Gärten davor blühten teilweise üppig, was das Bild abrundete. Auch die Kirche war sehenswert. Ein schlichter gotischer Steinbau, schon ein bisschen erodiert mit vom Alter geneigten Säulen innen. Hier blieb ich eine Weile sitzen. Auch Kirchen üben manchmal einen besonderen Zauber aus und beruhigen mich. Besonders hier kann ich gut nachdenken. Aber anders, als auf Wanderungen. Es sind keine kreativen Gedanken, die wir kommen. Eher Grundsätzlichere. Ich fragte mich, wie ich hierher gekommen bin. Also nicht physisch, sondern eher mental. Diese Suche hat vor zwei Jahren begonnen und ist nicht abgeschlossen. Trotzdem fragte ich mich, wieso ich erfolgloser Schriftsteller geworden bin. Als würde mir jemand antworten, sagte ich laut: „Weil du Angst hast“. Es ist nicht zu leugnen. Vielleicht kommt daher die Unruhe. Dieses pausenlose Umhergeirre ist vielleicht nur ein Davonlaufen vor dem, was in mir steckt. Vielleicht schaffe ich es eines Tages, meinen Dämonen in die Augen zu sehen. Ich denke mir, dass es nicht auf Reisen geschehen wird. Denn da habe ich zu viele Möglichkeiten zur Flucht.
Düstere Gedanken an einem recht sonnigen Tag. Nachdem ich die Kirche verlassen hatte, lief ich noch über den Friedhof. Aus irgendeinem Grund faszinieren mich diese Leichenacker. Man kann an den Grabsteinen ein bisschen über die Menschen erfahren, die einst gelebt haben. Oder es sich vorstellen. Letztlich ist so ein Stein alles, das bleibt. Zumindest für einige Jahre. Dann ist auch der Weg. Ich glaube, ich möchte keinen, wenn es mal soweit ist.
In der Stadt war nicht viel los. Leider waren alle Cafés geschlossen, auch die auf dem Hauptplatz. Hier hätte ich gerne gesessen und noch ein bisschen geschrieben und nachgedacht. So also lief ich durch die verlassen wirkende Altstadt. Das hätte ich alles bereits gestern machen sollen. Denn heute waren alle auf dem Flohmarkt. Oder saßen vor dem Sonntagsbraten. Auch eine Ausstellung in einer alten Klosteranlage war geschlossen. Warum schließt man am Wochenende Ausstellungen? Eigenartig. Etwas schade, aber so endete im Grunde mein Besuch in Lannion. Und das recht früh, bereits am Nachmittag. Zu einem Spaziergang entlang des Flusses konnte ich mich nicht durchringen. In den nächsten Tagen sind lange Küstenwanderungen geplant, also schonte ich meine Kräfte.
Es war trotzdem schön, einmal wieder in einer Stadt zu sein. Ich kann darauf nicht verzichten. Es ist aufregend, das Land und die Küste zu besuchen. Letztlich aber bin ich Berliner. Auch wenn ich mich nicht im Trubel der Großstadt aufhalte, brauche ich ihn doch. Indem ich daneben stehe und ihn beobachtet.
So ist es nun einmal.
Trotz der vielen Reisen.