Voll Unterwegs

Heute war es dann so weit.
Ich musste raus. Schwiegermutter Ellen lebt seit einer Woche allein zu Hause in Spandau. Wir hingegen wohnen in Tempelhof im Süden. Sehr viel weiter weg geht zwar auch, trotzdem ist es letztlich eine Entfernung, die zunehmend zum Hindernis wird. Andererseits hat es auch ein Gutes. Ellen ist letzte Woche operiert worden, gebrochene Wirbel, Osteoporose, dazu kommt ziemlich akute COPD. Was das in seiner Summe in Zeiten des Coronavirus heißt, brauche ich wohl nicht zu erklären. Fakt ist, dass sie im Moment isoliert in ihrer Wohnung lebt. Keinem von uns ist wohl dabei, schon weil Ellen sich von drei Wochen Krankenhaus erholt und ganz sicher körperlich wie seelisch nicht in bester Verfassung ist. Dazu kommt noch die Isolation. Meine Frau würde ihrer Mutter natürlich gerne beistehen. Und sie tut das auch, virtuell, per Telefon. Kontaktlos eben. Anders geht es nicht.

Doch ganz ohne „Kontakt“ ist ein Leben auch nicht möglich. Zumal beim Rewe-Lieferservice drei Wochen im Voraus alles ausgebucht ist. Gestern also hat Ellen mir eine Einkaufsliste zugeschickt. Ich habe mich daraufhin bei Kaufland ins Getümmel gestürzt. Es war keine schöne Erfahrung. Denn manchmal verstehe ich meine Mitmenschen nicht. Toilettenpapier, Dosenbohnen, Mehl, Hefe – überall herrschte gähnende Leere. Der Witz aber ist: Frische Sachen wie Obst und Gemüse gibt es in rauen Mengen. Fressen diese Idioten so gerne den ungesunden Fraß aus der Konserve? Sicher, für Ellen wäre so etwas ideal. Das Komische aber ist, dass das, was sie wollte, Rotkohl, Sauerkraut, Fisch in Tomatensauce in vollkommen ausreichender Menge im Regal lag. Und als ich an die Kasse kam, die Menschen standen natürlich dicht an dicht an (aber das ist nochmal ein anderes Thema), teilte mir jemand mit (in einigem Abstand, es gibt noch vernünftige Menschen), dass jeder nur eine Packung Toilettenpapier kaufen durfte. Das hieß, dass an der Kasse die ganzen Tüten Toilettenpapier lagen, die andere dort abgestellt hatten, weil sie sie nicht mitnehmen konnten. Ist solch ein Verhalten nicht asozial? Ich finde schon. Denn am Ende fehlen diese Produkte den Menschen, die sie am meisten brauchen. Ich hatte nur diese eine Gelegenheit, für Ellen einkaufen zu gehen. Keine Ahnung, was ich gemacht hätte, wenn ich gerade solche Utensilien nicht bekommen hätte.

Heute nun machte ich mich um halb neun auf den Weg durch die Stadt. Und zwar mit Törni, meinem Faltrad Tern D8. Den Namen habe ich mir gerade ausgedacht und frage mich, was das über mich als Mensch sagt, der seinen Fahrzeugen Namen gibt. Aber meine Wohnmobile früher hatten auch alle einen. Egal. Gehört nicht hierher.
Meine Fahrt führte mich nach Schöneberg, die Berliner Straße entlang, Fehrbeliner Platz, S-Bahnhof Charlottenburg (das gibt es wirklich), Schloss Charlottenburg, Jakob-Kaiser-Platz, dann den Rohrdamm hinauf, schließlich nach Haselhorst. Ich war ein und eine Viertelstunde unterwegs. In Ordnung dafür, wenn man bedenkt, dass es die ersten Frühlingstage sind.

Warum beschreibe ich das alles im Detail? Weil ich den Eindruck hatte, dass sich nichts geändert hat. Auf den Spielplätzen liefen die Kinder herum, auf den Straßen die Leute, jung und alt, vielleicht etwas weniger als sonst, trotzdem finde ich es bedenklich. Lesen die keine Zeitung oder schauen Nachrichten?
Um Viertel vor zehn kam ich bei Ellen an. Wie verabredet stellte ich ihr die Sachen vor die Tür, wir unterhielten uns kurz durch die Tür. Wirklich keine schöne Angelegenheit, aber zurzeit nicht anders möglich.

Dann lief ich erneut zum Supermarkt um die Ecke, um noch ein paar Getränke zu holen. Hier in Spandau hielten die Leute Abstand zueinander. Ich kaufte der Kassiererin einen Schokoriegel, nur eine kleine Geste, die, wie ich finde, notwendig ist. Das sind die Leute, die den Virus als Erste bekommen werden. Kein Mundschutz, kein Desinfizieren wird sie auf Dauer davor bewahren. Das sind neben den Menschen in Krankenhäusern und in der Pflege die Helden der Krise.

Auf dem Weg zurück ging ich natürlich auch für uns einkaufen. Insgesamt war ich also dreimal in den letzten 24 Stunden in irgendwelchen Supermärkten. Nicht ideal. Aber auch nicht zu ändern. Ich muss gestehen, dass ich auch noch ein wenig Probleme habe, mich auf die neue Situation einzustellen. Ich plane nicht so sehr im Voraus, habe ich noch nie, weiß aber, dass ich damit anfangen muss. Eigentlich reicht es, einmal in der Woche einkaufen zu gehen, zweimal, wenn ich Ellen mitversorge. Das ist noch das akzeptable Risiko, das allerdings erhöht wird, wenn ich bestimmte Dinge nicht bekomme. Wir hamstern nicht, sondern wollen jetzt ganz normal unsere Besorgungen erledigen. Das allerdings wird durch Prepper und Hamsterer erschwert. Dass wir damit das Risiko für alle erhöhen, weil wir öfter losgehen und einkaufen müssen, sollte jedem klar sein.
Zum Glück sind es nur noch Kleinigkeiten, die fehlen. Ich habe Hoffnung, denn in Italien beruhigt sich die Lage in den Supermärkten. Alle haben sich eingedeckt und merken jetzt, dass die Regale immer noch voll sind. Das wird hier auch geschehen.
Und mal ehrlich: Wir haben mit dem Virus und all seinen Begleiterscheinungen doch schon genug zu tun. Müssen wir uns noch unnötigen Stress machen, weil wir denken, palettenweise Klopapier kaufen zu müssen?
Denken wir doch mal an Menschen wie Ellen, die ich einmal die Woche beliefere. Sie hat eine Chance in sieben Tagen. In Zeiten wie diesen müssen wir an die schwächsten denken. Und uns nicht aufführen wie die Alphatiere, die sich durchsetzen wollen.

Hier ein Link zum Coronavirus-Update mit Dr. Drosten.