Hidcote Gardens & Chastleton Manor

Das Wetter schlug um in dieser Nacht. Kalt wehte der Wind gegen die Transe und weckte mich in regelmäßigen Abständen, wahrscheinlich um mich an meine Rückenschmerzen zu erinnern, die ich seit einigen Tagen wieder einmal mit mir herumtrage. So wurde das Aufstehen insgesamt zu einer Qual, doch ich zwang mich gegen sieben, den Tag zu beginnen. Wie lange ich brauchte, einigermaßen zu einem Mensch zu werden, sieht man daran, dass ich erst gegen halb zehn den Campingplatz verließ. Garmin scheuchte mich daraufhin durch die winzigsten Landstraßen und Dörfer, immer vorbei an den gut ausgebauten Strecken. Ich hatte heute Morgen mit einer Wahl zu kämpfen. Bislang hatten wir uns nur auf dem Lande Englands umgesehen, die Städte weitestgehend gemieden. Ich reflektierte also die Auswahl an Orten, die ich besuchen könnte. Doch groß war die Auswahl nicht. Oxford reizte mich auch heute nicht und an Cheltenham hatte ich ebenfalls nicht die großartigsten Erinnerungen. In der Nähe befanden sich aber herrliche Dörfer und vor allem großartige National Trust-Stätten. So sollte es also sein, die Stadtbesichtigungen heben wir uns also für Bath auf. Im Grunde keine schlechte Sache, denn viel spektakulärer wird es nicht.

Ich fuhr direkt nach Hidcote Manor Garden, einem Garten, der wieder einmal Superlative versprach. Es wurde genauso, wie ich es in Erinnerung hatte. Zum Glück war ich recht früh dort, auch wenn ich mich oft verfuhr und der Camper an einer besonders steilen Strecke zu scheitern drohte. Es war meine eigene Schuld, denn ich hatte mich verfahren, hatte nicht auf die nicht immer klaren Anweisungen Garmins reagiert, wie es der Dame genehm gewesen wäre. Letztlich passte ich gerade eine Reisegruppe aus Sachsen ab, die sich als hartnäckig und anhänglich erwies. Zum Glück merkten sie nicht, dass ich den Quatsch verstand, den sie von sich gaben.

Hidcote ist liebevoll in einzelne „Räume“ eingeteilt, die man entdecken kann. So wanderte ich durch die Reihen von verschiedenen Gärten, manchmal förmlich, manchmal wild, manchmal parkähnlich. Ich verlor mich in den Düften der Natur, bewunderte die Farbenpracht. Ich erinnerte mich, wir waren vor vielen Jahren einmal Anfang April hier gewesen. Damals blühte nicht viel, doch trotzdem hatte der Garten bereits die göttliche Ausstrahlung des kreativen Geistes, der ihn geschaffen hatte. Wunderbar also, ihn jetzt in voller Blüte zu sehen. Ich fand den Jasmin wieder, der damals im Gewächshaus geblüht hatte und seinen betörend süßen Duft verströmt hatte. Heute war er bereits verblüht, machte Platz für andere Düfte, die ihm in nichts nachstanden. Ich bin kein Botaniker, nicht einmal ein erfolgreicher Gärtner. Dennoch genieße ich es jedes Mal, die prachtvollen Gestaltungen zu sehen. Die einzelnen „Räume“ sind oft recht genau gegeneinander abgetrennt, genauso oft aber fließen sie ineinander über. Was mir besonders ins Auge fiel, war der „Rock Garden“, ich weiß nicht genau, ob die Übersetzung als „Felsengarten“ richtig ist. Aus dem warmen Sandstein hoben sich die Farben prächtig ab.
Ich hatte Glück mit meinem Besuch, denn hinter mir füllte sich der Garten immer mehr. War ich anfangs der erste, der den zweiten Parkplatz nutzte, fand ich diesen jetzt gefüllt vor. Ebenso das „Overflow Parking“. Dicht an dicht standen die Fahrzeuge. Einige Oldtimer entdeckte ich, die sicher nur wenige Male im Jahr das Tageslicht erblicken. Ich habe zwar keine Ahnung davon, doch fotografierte ich dennoch. Vielleicht hat jemand anderes Freude an solchen Aufnahmen.

Dann ging es weiter. Wenn wir schon bei Oldtimern sind, musste ich besonders an eine Szene aus einer BBC-Serie „Antiques Roadshow“ denken. Eine himmelblaue Ente fährt offen durch die rollenden Hügel der englischen Landschaft. Auf und ab. Dabei ragt eine antike Standuhr aus dem Fahrzeug empor. Ein Bild für Götter. Ähnliche Straßen fuhr ich jetzt auch, nur sah das alles bei der 2CV Ente lockerer aus. Die Transe stöhnte doch recht heftig, doch der neue Motor hielt, auch wenn ich manchmal doch meine Befürchtungen hatte.
Als Ziel hatte ich mir ein weiteres National Trust Haus ausgesucht, das ich diesmal noch nicht kannte. Castleton Manor sollte es sein. Ich kam an, als es gerade öffnete. Da einige Besucher vor mir angekommen waren, bekam ich erst eine Stunde später Zutritt, hatte also jede Menge Zeit, die kleinen Gärten zu erkunden, die die Gegend um das 400 Jahre alte Anwesen zieren. Doch es waren nicht nur die feinen Beete und zugeschnittenen Hecken, die meine Aufmerksamkeit erweckten. In der Kirche nebenan servierten eifrige Gemeindemitglieder Tee und selbst gebackene Kuchen. Außer mir, der ich nur beobachtete, konnte glaube ich keiner widerstehen, die herrlichen sponge cakes oder fruit cakes zu probieren, dazu eine cuppa mit frischer Milch. Alles war sehr freundlich und die Zeit ging so für alle, die auf den Eintritt warteten, im Nu herum.

Hidcote Manor Gardens

Chastleton stellte sich dann als besondere Perle heraus, weil es aus der Anzahl der Anwesen in England heraus sticht. Und zwar aus einem Grund. Die Familie, die dieses „Jacobean House“ hat bauen lassen, hatte nur ein einziges Mal genug Geld: Als sie sich entschlossen, dieses Haus bauen zu lassen. Danach waren keine finanziellen Mittel mehr vorhanden, was hieß, dass sie gerade einmal das, was sie hatten, einigermaßen bewahren konnten. Die Armut der Familie ist unser heutiges Glück. Denn zurück blieb ein Haus, das original so erhalten ist, wie es vor 400 Jahren gebaut wurde. Niemand hat es verändert oder ambitioniert verrestauriert. Schon am Eingang kam mir der rauchige Geruch entgegen und in der Empfangshalle brannte der Kamin mit Holz, so wie schon seit Jahrhunderten. Das Haus selbst ist wirklich urig und verknöchert, überall knarrt es, selbst wenn ich mich nicht bewegte. Die Dielen waren dunkel durch die Jahre und uneben, die Möbel original und altmodisch. Vieles, was die Familie über die Zeit benutzt hatte, war aufgebaut, zum Beispiel ein Patiencetisch mit einem Gläschen Cherry darauf. Wahrscheinlich ist das Getränk frisch. Sicher das Einzige im Zimmer. Überall standen Rentner, die vom National Trust eingesetzt werden. Sie sind wie immer mit wahrem Feuereifer dabei, einem die Hintergründe jedes einzelnen Stückes zu erzählen.

Ich lief durch das ganze Haus, betrat Speisezimmer mit wunderlichen Tischgedecken, Büchereien mit Büchern aus anderen Jahrhunderten und Schlafzimmer mit eigenartigen Betten aus Zeiten, die ich kaum abschätzen kann. Dabei kam ich mir immer vor wie auf einer Zeitreise. Das erste Mal bei einem Besuch eines solchen Anwesens konnte ich nachvollziehen, wie das Leben hier ausgesehen haben muss. Kalte, dunkle Zimmer, verqualmte Luft, Staub – denn Diener konnten sich die Herrschaften auch nicht immer leisten. In der Küche am Ende dann eine echte Innovation. Einer der Herren hier hatte aus irgendeinem Grund etwas Geld übrig und genug von der breiten mittelalterlichen Kochstelle. Er ließ eine „State of the Art“-Küche einbauen. Das war in den 1850ern. Ein uriger, gusseiserner Herd war damals sicher das Nonplusultra. Seither hatte aber niemand mehr Geld. Ich bin eigentlich ganz froh darüber. Leider durfte ich während meines Besuchs keine Fotos machen. Sehr schade.

Nach dem Besuch zweier National Trust Stätten hatte ich eigentlich genug. Doch hielt ich kurz in Stow an, nur der alten Zeiten wegen. Jetzt merkte ich, dass ich eigentlich von den niedlichen Dörfern Englands im Augenblick genug habe. Ich schlenderte zwar kurz durch die Straßen, doch mein Blick war bei Weitem nicht mehr so neugierig. Als ich das endlich realisierte, wusste ich, dass ich abfahren muss. Also suchte ich den gewohnten Campingplatz auf, der mir in den letzten Tagen so lieb geworden ist. Morgen heißt es Abschied nehmen von Mittelengland. Es war wieder eine herrliche Zeit. Und ich freue mich auf die zweite Woche des Urlaubs.

Chastleton House und Stow-on-the-Wold