Barrington Court House & West Bay, Juraküste

Und wieder ein typisch englischer Start in den Tag. Am Morgen empfing uns die Sonne, die unverzagt auf uns hinab schien. Doch ich traute dem Frieden nicht. Zurecht, wie sich eine halbe Stunde später zeigen sollte. Denn es fing an zu regnen und zu stürmen. Aus dem lauen Morgen war ein finsterer Vormittag geworden, kalt und eisig wehte es um uns herum. Kein Wunder also, dass wir so schnell wie möglich packten und weiterzogen.
Ziel heute sollte das Montescute Manorhouse sein, ein weiteres vom National Trust betreutes Anwesen. Wieder fuhren wir durch die Lande und ich frage mich, ob England eigentlich nur aus diesen engen Landstraßen besteht. Allerdings ist es schön, wenn man nur wenige Kilometer zu fahren hat. Wenn man das Land aber durchqueren möchte, ist es sicher eher hinderlich, denn man muss noch mehr als sonst auf der Hut sein. Wir genossen die Fahrt trotzdem, vorbei an blühenden Feldern und Jahrhunderte alten Hecken. Das schöne mittelalterliche Städtchen Montescute erreichten wir eine gute Stunde später. Leider stellten wir fest, dass derjenige, der lesen kann, immer stark bevorteilt ist. Wir konnten es ganz offensichtlich nicht, denn dienstags ist Ruhetag. Auch viele Engländer hatten sich nicht erkundigt, so dass wir auf dem Parkplatz nicht die Einzigen blieben.

Das Schöne in England jedoch ist, dass man immer mehr als eine Alternative in der Gegend hat. Auf dem Schild, das uns ankündigte, dass heute geschlossen war, stand auch, dass man das nahe Barrington Court House besuchen könne. Dieser netten Aufforderung folgten wir einfach und zwanzig Minuten und ein paar graue Haare weiter (wegen der engen Straßen) kamen wir an. Und zwar wieder mitten in einem anständigen Regenguss, nachdem es zwischenzeitlich sehr sonnig gewesen war. In Deutschland wären wir sicher wieder abgefahren, doch nicht hier. So etwas dauert nie lange, ob im Guten oder Schlechten. Denn zehn Minuten später hörte es nicht nur auf, auch die Wolkendecke lockerte sich und die Sonne tat so, als könnte sie kein Wässerchen trüben.

Vor dem Tudorhaus befindet sich ein beachtlicher Küchengarten. Ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben schon einmal so große Salatköpfe gesehen habe, die die guten Geister des Ortes auch für einen ernten – für die wahnwitzige Summe von 50 Pence. Der einzige Grund, warum wir das nicht nutzen, war die schiere Größe des Gemüses. Zu schade schien es uns, denn der Salat würde sich sicher nicht lange genug halten. Aber saftig und lecker sah er schon aus. Zwischen den Gemüsebeeten schauten immer wieder bunte Blumen hervor. Alles hat seine Richtigkeit, denn Kapuzinerkresse zieht Raupen an, die dann den Salat meiden. Und den Geruch von Lavendel können Blattläuse nicht ausstehen.
Neben den Nutzgärten erkundeten wir auch die sehr formelle Gärten auf dem Anwesen. Alle standen in voller Blüte.

Das Haus selbst war ebenso einzigartig. Nachdem es jahrelang dem Verfall gewidmet war, kaufte es eine reiche Familie in den 1920ern und richtete es wieder her. Und so ist es auch gestaltet. Neben dem traditionellen Dekor aus der Tudorzeit befinden sich hier auch die Gegenstände aus dem letzten Jahrhundert. Besonders die Bäder und etwas veralteten Lokusse stachen heraus. Im ganzen Gebäude gab es leider keine Möbel mehr, das hätte sicher für noch mehr Charme gesorgt. Doch mit etwas Fantasie ging es sehr gut.
Ich frage mich oft, warum besonders in England so viele Anwesen und Gärten so hervorragend erhalten sind. Hat es vielleicht etwas mit der gesunden Portion Tradition und auch Patriotismus zutun, den wir Deutschen uns nicht erlauben? Die Liebe zu seiner eigenen Kultur, die so viele Engländer dazu treibt, freiwillig zu helfen, mit Spenden und Jahresmitgliedschaften für ein regelmäßiges Einkommen dieser Kulturvereine wie National Trust und English Heritage zu sorgen. Ich vermisse ähnliche Einrichtungen und Enthusiasmus in Deutschland sehr, auch das Fehlen der geschichtlichen Stätten in Berlin und auch der näheren Umgebung. Aber vielleicht liegt es einfach daran, dass England so viele Jahrhunderte so viel reicher gewesen ist und somit einfach mehr erhalten ist.

Nach dem Kulturgenuss machten wir uns auf den Weg zur Küste. Bei Brideport fanden wir einen Acsi-Campingplatz, der es uns ermöglichte, uns finanziell von dem teuren Ausflug nach Bath zu erholen. Als wir eingecheckt hatten und einen Platz suchten, eröffnete sich plötzlich vor uns das Meer. Wir campen praktisch mitten auf der Juraküste, ebenfalls ein Stück UNESCO-Kulturerbe. Lange hielt es uns dann auch nicht und wir machten uns auf zum Strand. Den erreichten wir erst nach einem kleinen Spaziergang durch die Hügel, der Himmel drohte uns zum wiederholten Male mit Regen und sandte auch einige Tropfen, so dass wir ihn ernst nehmen mussten. Zum Glück ließen wir uns nicht ins Bockshorn jagen und liefen weiter den Kieselstrand entlang, bis wir im Hafen des Ortes, West Bay, ankamen. Jetzt schien wieder die Sonne. Ich liebe diese kleinen Küstenorte, der hier schien uns abseits genug von den ausgetretenen Touristenpfaden. Wir gönnten uns ein Halfpint Bitter in einem Pub, nachdem wir den kleinen Hafen und den Strand erkundet hatten. Auch den Chips mit Malz-Essig und Salz konnten wir nicht widerstehen. Aber das gehört einfach an einem solchen Ort dazu. Gegen Abend liefen wir dann auf dem offiziellen Küstenpfad zurück zum Platz, inzwischen stürmt es gewaltig, so dass trotz Sonne nicht daran zu denken ist, sich draußen aufzuhalten.
Es war ein wundervoller Tag, voll typischer englischer Erlebnisse und doch so neu und ungewohnt. Ich fühle mich wie eingebettet in die Kultur hier, schwimme mit dem Strom mit, gegen den ich mich nicht wehren muss, denn ich weiß, dass er in die richtige Richtung führt. Kann man etwas Schöneres vom Leben erwarten?