Grasse und das Musée International de Perfume 

Unser Glück mit Mördermücken hielt an. Gestern schon hatten wir binnen weniger Stunden zwei Dutzend Mückenstiche auf uns beide vereint, die meisten davon hatte nicht ich. Zumal diese wieder eine heftige allergische Reaktion bei Nina hervor riefen, so dass wir beschlossen, sofort abzureisen. Es war einiges an Diskussion notwendig, um unser bereits für zwei Tage bezahltes Geld zurückzubekommen, doch am Ende hatten wir Glück. Grasse wollten wir natürlich noch besuchen, es wäre ein Jammer gewesen, wenn wir den weiten Weg umsonst gemacht hätten. Auch war es Ninas letzter Tag, so dass wir noch etwas zusammen erleben wollten. Bei den Mücken Pech, bei dem Parkplatz Glück, ich denke, dass wir nach einer anstrengen Fahrt bergauf den einzigen Parkplatz fanden, in den die Transe hineinpasste.

Es war ein beinahe schon italienisches Ereignis. Das rustikale Ambiente der kleinen provencalischen Dörfer lag hinter uns, jetzt war es Zeit für etwas mehr „Grandesse“. Die schönen drei – bis vierstöckigen Häuser umrahmten die engen Gassen, ocherfarben verputzt, ist das genau die mediterrane Atmosphäre, die ich liebe. Es ist ebenfalls ein, wie ich finde, komplizierter Ort, sehr verwinkelt und vor allem an einem steilen Berg gebaut, so dass ich bis zum Schluss nie genau wissen konnte, was ich als Nächstes sehen würde. Bis ich den Stadtplan in die Hand nahm, hätte ich nicht gewusst, ob ich Grasse nun bereits komplett erkundet hatte oder nicht. Der Plan entzauberte dieses mystische Verlieren dann, was immer geschieht, wenn man etwas mit zu viel Verstand und zu wenig Herz betrachtet.

Ich genoss vor allem die herrliche Aussicht auf das Tal. Nachdem wir viele Winkel von Grasse abgelaufen hatten, entschieden wir, dass es Zeit war für Duftnoten, die man hier nun wirklich nicht vermeiden kann. Das Musée International de Perfume kam genau richtig. Es ist in einem historischen Gebäude untergebracht, der Rundweg innerhalb des Museums ist dabei genauso kompliziert konzipiert wie die Stadt.
Es war ein fabelhaftes Erlebnis, besonders natürlich für die Nase. Das Museum erzählt ausführlich die Geschichte des Parfüms von frühesten Zeiten bis heute. Es beginnt mit Dufterlebnissen, die auch auf der weiteren Tour immer wieder vorkommen, Beispiele sozusagen, an denen man seine Nase trainieren kann. Der Audioguide, der sehr ausführlich beinahe jeden Aspekt dieser Welt berührt, war ausgezeichnet und informativ, auch wenn ich einen anderen weiblichen Sprecher ausgewählt hätte. Nichts für ungut, aber ein wenig Rhythmus und Detonation beim Sprechen sind notwendig, um mein Interesse dauerhaft auf einem hohen Level zu halten. So schweiften meine Gedanken manchmal ein wenig in die Ferne, aber ich denke, ich habe noch genug mitbekommen.

Am Ende gab es noch einen kleinen Geruchstest, bei dem ich wie erwartet sehr schlecht abschnitt. Nur ein einziges Mal lag ich richtig, bei dem Duft Jasmins, aber das ist nicht sonderlich verwunderlich, da ich den Geruch dieser Blüten ungemein betörend empfinde. Alle anderen waren bei Weitem zu intensiv, so dass ich nicht einmal den Duft von frisch gemähtem Gras erkannte. Er war viel zu stark, so kommt er in der Natur nicht vor. Das hat mich sofort an Beispiele aus meinem Leben erinnert. Intensität wird von vielen Menschen unterschiedlich betrachtet, besonders wenn man Ideen oder Ziele rigoros verfolgt. Selbst nahe Freunde haben schon oft meine Intensität, die aus Begeisterung und Motivation heraus entspringt, nicht ausgehalten. Sie wurden nervös, versuchten mich sogar zu stoppen, schon das bloße Erzählen konnten sie nicht ertragen. Es war eine sehr späte Lektion in meinem Leben, die ich erst vor wenigen Monaten verstanden habe. Besonders wenn man es mit anderen Menschen zu tun hat, muss man sie erst an die eigene Intensität gewöhnen, sonst erschreckt man sie. Und selbst das ist noch keine Garantie, dass sie einem folgen. Plötzlich kommen Ängste ans Tageslicht, die ein eher unsensibler Mensch nicht sofort erkennt. Da ich daran glaube, dass wir im Grunde unseres Herzens immer von unseren Ängsten bestimmt sind, ist das natürlich das schlimmste, was einem passieren kann. Intensität wird de facto zu einer Art seelischer Tiefenbohrung, die einem niemand verzeiht.

Ich selbst ich habe erst jetzt verstanden, warum sich in der Vergangenheit Menschen so verhalten haben wie sie es getan haben. Was das jetzt für Konsequenzen nach sich zieht, weiß ich noch nicht. Entweder man hört mit dieser Intensität auf und geht somit zurück in die Reihen der Vielen, die Passion als etwas Bedrohliches empfinden. Oder man zieht sich zurück und entgeht damit dem Urteil. Natürlich kann man auch weiter machen und immer wieder bei seinen Mitmenschen gegen die von Angst aufgebauten Wände anrennen. Das wäre die dritte Möglichkeit. Ich habe instinktiv erst einmal die zweite Möglichkeit gewählt, manchmal empfinde ich das als falsch, dass nicht auch ich so sein darf, wie ich bin. Ganz sicher werde ich aus meiner selbst gewählten Einsamkeit zurückkehren und einen anderen Weg beschreiten, der mich zumindest glücklicher macht.

Was einem Sinneserlebnisse wie diese beibringen können, ist immer wieder erstaunlich. Besonders da der Geruchssinn bei mir zu den am wenigsten entwickelten gehört, auch wenn ich jetzt, nach dem Besuch in diesem Museum sicher bin, dass ich vielleicht selbst daran schuld bin. Ich habe es vernachlässigt, war noch nie bewusst dabei zu riechen. Und da der Geschmackssinn unweigerlich an den Geruchssinn gekoppelt ist, heißt das auch, dass man mir Mist vorsetzen kann und ich merke es nicht einmal. Auch wäre ich so gerne in der Lage, einmal einen teuren von einem billigen Wein unterscheiden zu können. Moment mal, das hieße aber auch, dass ich billige Weine fortan verschmähen müsste. Ich denke, wir lassen es erst einmal, wie es ist, dann werde ich auch mit billigem Wein glücklich und das ist mir im Moment dieser Reise wichtig. Sonst sprengt es noch den Rahmen.

Nach dem Museum gingen wir einen Gallette essen. Genau, diese herzhaften bretonischen Pfannkuchen aus Buchweizenmehl, die eigentlich in dieser Region nichts verloren haben. Leider sparte der Koch nicht mit „Herb de Provence“ und gab der leichten Mahlzeit ein viel zu mediterranes Aroma. So weit reichte mein Geschmackssinn noch, der sicher noch sensibilisiert war.
Das war der letzte Besuch zu zweit, ab morgen reise ich wieder allein. Das Gefühl wird immer wehmütiger, denn trotz der zu Zeiten anstrengenden Diskussionen und der unterschiedlichen Belastbarkeiten, aus denen immer ein Kompromiss die Reisepläne betreffend entsteht, ist das Reisen zu zweit eine schöne Erfahrung, vor allem wenn man sich gut versteht. Ich werte die Zeit mit Nina als vollen Erfolg, bin im Moment nicht einmal sicher, ob es nicht sehr viel schöner war als die ganzen Abenteuer in Marokko und Spanien zusammen. Es ist sicher noch nicht perfekt, denn ich habe meinen gotischen Roman sträflich vernachlässigt, weil die Routine zu zweit eine wesentlich andere ist. Doch daran kann man arbeiten.
Insgesamt war es eine dufte Sache. Besonders nach dem heutigen Tag.
Außerdem gibt es noch etwas zu feiern. Deutschland hat bei der WM Argentinien 4:0 besiegt. Ach was sag ich, zerstört. Und dieses Team hat noch etwas anderes geschafft, nämlich mich mit seinem begeisternden und aggressiven Fußball fasziniert. Das zumindest ist eine Weltneuheit, die ich ein wenig auskosten muss. Auch habe ich schon seit Tagen keine Cricket-Nachrichten verfolgt. Ich werde doch nicht etwa……