Volubilis

Es gibt Augenblicke, da weiß man, dass es vorbei ist. Was sich in den letzten Tagen bereits angekündigt hat, wird Wirklichkeit. Ich sitze in diesem Moment am Strand von Asilah und plane bereits den morgigen Tag, den Tag, an dem ich Marokko verlassen werde. Eigentlich wollte ich hier noch einen Tag ausspannen, doch wenn ich in mich hinein höre, vernehme ich nur die Worte des Abschieds, den man nicht hinauszögern soll, wenn sie erklingen. Wehmut ist dabei, eine ganze Menge sogar, doch selbst ein Tag länger würde diese nur unnötig verstärken. Noch 35 Kilometer trennen mich von Tanger, von dort sind es nur wenige Seemeilen bis Spanien. Somit nimmt mein marokkanisches Abenteuer nach vier Wochen ein Ende. Und was für eines.
Heute Morgen hatte ich mich soweit erholt, dass einem Besuch der Römerstadt nichts im Wege stand. Bei dem bloßen Gedanken jedoch, aufs Rad zu steigen wurden meine Knie weich und meine Muskeln begannen zu zucken. Also packte ich alles ein, zahlte und fuhr die 12 Kilometer bis zur Ausgrabungsstätte. Ich war nicht der Erste an diesem Samstag, doch hielten sich die Gästezahlen noch in Grenzen. Ebenso die Aufdringlichkeit der Führer, was mich etwas wunderte, nur einer bot zaghaft seine Dienste an, die ich lächelnd ablehnte. Somit war ich hindurch und konnte die Ruinen für mich allein erkunden. Der Lonely Planet half mir dabei sehr, die Karte in meinem Reiseführer ist ausgezeichnet. Ich lief gegen die übliche Route, so dass ich der einzige Besucher des Südteils war. Anders als in Lixus waren hier noch viele Mosaike zu sehen, die ich allerdings als ziemlich roh empfand und wenig künstlerisch. So war das wahrscheinlich in der Provinz, die bestbezahlten Künstler verdienten in Rom ihr Geld, die weniger erfolgreichen weit außerhalb. Manches ändert sich nie.
Es war kein Problem, die einzelnen Markierungen zu finden, ein Tempel und die Basilika waren die am besten erhaltenen Bauwerke. Eine deutsche Reisegruppe gesellte sich zu mir oder besser ging an mir vorbei, denn ihr Weg war ja entgegengesetzt dem meinen. Das Schöne in Volubilis war ebenfalls, dass kaum Absperrungen existieren, so dass ich ungehindert auf den Ruinen herumlaufen konnte. Es war fast so bezaubernd wie Lixus, denn überall blühten Wildblumen zwischen den antiken Steinen, das ist das eigentliche Erlebnis. Ich war mitten drin, konnte mich setzen, wo ich wollte, und das Erlebnis genießen. Unweit des Triumphbogens waren ca. zwei Dutzend Archäologen dabei, die Erde umzugraben. Ich beobachtete sie einige Zeit aus der Entfernung und beneidete sie ein wenig. Das wäre auch eine Arbeit für mich, körperlich genug, um mich auszulaugen, geistig ebenfalls, denn man muss ständig auf der Hut sein. Doch dieses brotlose Handwerk muss ich mir für ein anderes Leben aufheben, dazu ist jetzt keine Zeit mehr. Ich beschäftige mich lieber mit der Schriftstellerei und bin dabei wahrscheinlich ebenso erfolglos wie die meisten Archäologen. Das ist eben Schicksal.

Im nördlichen Bereich der Ausgrabungsstätte konnte ich die Grundmauern vieler Wohnhäuser sehen, teilweise mit Mosaiken. Wenn man weiß, wie ein römisches Haus ausgesehen hat, kann man es sich gut vorstellen, der Innenhof mit Brunnen oder Wasserbecken, davon abgehend Räume, alles zwei Stockwerke hoch, in der Mitte natürlich offen. Anders als in Lixus jedoch kamen mir keine weiteren Gedanken zum Ort, denn – ich weiß nicht warum – ich ziehe Schulklassen an wie ein Magnet. Sie kamen scharenweise, nicht nur eine, mindestens fünf. Und riesig waren sie auch noch, sicher 30 Schüler pro Klasse. Binnen kurzer Zeit war der gesamte Platz überflutet mit Gören, die Lehrer taten ihr bestes, um die Horde in Zaum zu halten, nicht immer mit Erfolg. Dass ein weißer Europäer, dazu noch mit langen Haaren, interessanter ist als die eigene Geschichte, war klar.
„Madame, Madame, Francaise? Oh, äh, Monsieur…..“
Das war auch klar. Ich nahm ihnen diese Verwechslungen nicht sehr übel, nur dass sie überhaupt da waren, das schon.
So hatte ich wenigstens anderthalb Stunden gehabt und verließ die Ruinen nun ziemlich fluchtartig.
Jetzt habe ich also sowohl den nordwestlichsten römischen Außenposten gesehen als auch den südwestlichsten. Ein weiterer römischer Mosaikstein als, den ich vorweisen kann. Lixus hat mir trotzdem besser gefallen.
Danach setzte ich mich ins Auto und gab Gas. Ich hatte jetzt keinen Grund mehr, hier zu bleiben, daher setzte ich meinen Weg in den Norden fort. In einem der vorüberziehenden Ort war Markttag, das hieß, dass Dutzende von Pferdekutschen unterwegs waren, die mit mir die Straße teilen wollten. Es war eine Geduldsprobe, eine Pferdestärke gegen 90, auf beiden Straßenseiten kämpften wir Autofahrer gegen die Langsamkeit. Trotzdem war es ein einmaliges Schauspiel, die endlosen Reihen von Kutschen, die Menschen und ihre Einkäufe darauf. Ich werde das vermissen.
In Larache kam ich das erste Mal wieder an einen Ort, den ich bereits kannte. Hier begann die Wehmut, hier wurde mir schlagartig klar, dass es wirklich vorbei ging. Ich dachte zurück an die Wochen, die hinter mir lagen, etwas, dass ich eigentlich nur in Ausnahmesituationen tue. Zumindest rede ich mir das so ein. Ein Katzensprung brachte mich nach Asilah, doch verspürte ich keine Lust, die kleine Stadt nochmals zu sehen, sondern fuhr sofort weiter Richtung Campingplatz. Der lag einsam und verlassen bei einem Hotel, beinahe langweilig, und war so unverschämt teuer, dass ich nur eine Nacht buchte. Wieder hörte ich in mich hinein, auf eine Nacht in Tanger verspürte ich ebenso wenig Lust, so dass ich zu dem Schluss kam, dass Morgen der Tag der Abreise anstünde. Es ist immer besser, so etwas spontan zu entscheiden.
Am Abend genoss ich noch eine letzte Tajine, diesmal mit Lammfleisch. Es schmeckte großartig, ich empfand es als wahre Belohnung, den Bratensaft am Ende mit reichlich Brot aufsaugen zu können. Es war der passende Abschied, denn während ich aß, konnte ich die Sonne über dem Atlantik untergehen sehen, so spektakulär war die Aussicht vom Restaurant aus.
Ich bin gespannt, was mich morgen erwartet, ob die Rückreise ebenso holprig verläuft wie die Anreise.
Wir werden sehen.