Kenitra

Ich habe es gestern doch noch gewagt. Mein erstes Tajinen-Gericht. Da das Wetter etwas besser wurde, entschied ich mich dazu, nochmals den Weg in dieses kleine Fischerdorf zurückzulegen. Schon als ich auf der Treppe zum Dorf stand, bereute ich, keine Taschenlampe mitgenommen zu haben, denn nirgends sah ich Lampen. Aus irgendeinem Grund sagte ich mir, ich werde später schon noch genug sehen. An der einzigen Straße im Ort suchte ich mir aus sicher einem halben Dutzend Restaurants eines aus, das mir passend schien. Wie erwartet fühlte ich mich nicht sehr wohl, schlug schon nach einer halben Minute mein Buch auf und wartete auf den Kellner, der mir nach fünf Minuten die Speisekarte brachte. Ich saß praktisch auf der Veranda an der Hauptstraße, leider begann es wieder zu regnen, so dass es immer kühler wurde. Doch es störte noch nicht sehr, mein Buch war angenehm fesselnd, so dass ich mich darauf konzentrieren konnte. Ich versuchte, zu bestellen, leider gab es meine gewünschte Lamm-Tajine nicht. Ich spielte schon mit dem Gedanken, wieder aufzustehen, doch der Kellner bot mir statt dessen eine Tajine mit Hühnchen an, was mich ebenfalls reizte. Wie angenommen, gab es im Restaurant keine alkoholischen Getränke, so dass ich einen Orangensaft bestellte. Ich bekam sogar einen frisch-gepressten. 

Das Gericht war einfach köstlich. Exotisch gewürzt, mit Kartoffeln und Mohrrüben leicht scharf vom Geschmack her, mit frischem Brot serviert, war es einfach hervorragend, auch von der Menge her genau richtig. Es war ein besonderes Vergnügen, den leckeren Sud mit dem Brot auszuwischen und ich muss sagen, dass ich mich gerne an diese Art von Gerichten gewöhnen möchte. Die Rechnung am Ende war mit 50 Dirham so gering, dass ich mir fast schon schäbig vorkam. Ich gab reichlich Trinkgeld, um mein Gewissen wenigstens etwas zu beruhigen.
Der Weg zurück zum Camper gestaltete sich als schwierig. Natürlich war ich naiv gewesen zu denken, ich könne später etwas sehen. Ich sah so gut wie nichts, erahnte meinen Weg, der auf einer Piste aus rotem Sand, jetzt natürlich völlig aufgeweicht, kaum zu finden war. Irgendwann stieß ich auf die Treppen, die mich zum Campingplatz führen sollten, hier war es etwas besser, da ein wenig Licht von einem Restaurant auf die Stufen fiel. Trotzdem war es abenteuerlich. Plötzlich tauchte vor mir eine Gestalt auf und jetzt weiß ich, was es heißt, einen Adrenalinpush zu bekommen. In Bruchteilen von Sekunden analysierte ich die Situation, sah mich den Rest der Stufen hinunter sprinten und in Windeseile im Campingplatz zu verschwinden. Doch es kam anders, der Mensch passierte mich, wünschte mir höflich: „Bonsoir“ und verschwand wieder im Dunkeln. Mir ist allerdings schon bewusst, dass es ziemlich dumm von mir war, im Dunkeln loszumarschieren. Für einen Gauner wäre es ein leichtes gewesen, mir alles abzunehmen, so dass ich beschloss, von nun an noch vorsichtiger zu sein. Aber es war ja noch mal gut gegangen, doch eine Lektion habe ich bestimmt daraus gelernt.
Am nächsten Morgen wagte ich es zu duschen, eine bei dem Standard der sanitären Einrichtungen eine Aktion, die etwas Überwindung kostete. Doch ich hielt mich tapfer.

Heute wollte ich endlich nach Rabat, nahm ohne Umschweife die Autobahn, die zwar etwas kostet, doch mich ohne Umwege direkt ans Ziel brachte. Es war nicht ganz mein Tag, bzw. einer dieser Tage, die ein Reisender immer einmal wieder erlebt. Der Campingplatz, der in meinem Reiseführer beschrieben stand, existierte nicht mehr. Zwei sehr nette Polizisten teilten mir das mit, einer von ihnen wünschte mir noch ein „herzliches Willkommen in Marokko“ auf deutsch und hielt sogar den Verkehr für mich an, damit ich wenden konnte. Da stand ich nun und überlegte, was zu tun wäre. Fast hätte ich bereits meinen Plan aufgegeben und wäre weiter nach Casablanca gefahren, doch auch wenn das leicht gewesen wäre, so schnell wollte ich nicht aufgeben. In Kenitra, einer Stadt nördlich von Rabat, wollte ich campen und dann überlegen, was zu tun wäre. Den Campingplatz fand ich ohne größere Probleme, er war angenehm genug, um hier auch etwas länger zu bleiben. Es war schon recht spät, der Ausflug nach Rabat hatte mich viel Zeit gekostet, so dass es schon 15 Uhr war. Ich machte mich also schleunigst auf den Weg in die Stadt, um nach dem Bahnhof zu suchen, von wo aus ich morgen nach Rabat fahren möchte. 

Ich erlebte eine Stadt, die sicher von Touristen kaum besucht wird, für mich ein außergewöhnliches Erlebnis, denn ich konnte sehen, wie Einheimische hier leben. Der Verkehr war natürlich mörderisch, doch als ich von der Hauptstraße in eine kleine abbog, war der Lärm vorbei. Dicht an dicht reihten sich die Geschäfte, alles war dabei, von Boutiquen, Krämern, Bäckereien, Pattiserien, Obstgeschäften und vielen mehr. Die Menschen machten hier ihre Einkäufe und sofort kam mir der Gedanke, dass ein Supermarkt alle diese Geschäfte mit Leichtigkeit ersetzen könnte. Doch zu welchem Preis? Ich hoffe inständig, dass sich Supermärkte nicht durchsetzen werden, denn sie würden die Kultur hier maßgeblich verändern. Es hat etwas, durch diese Straßen zu laufen, die Waren zu begutachten. Die Menschen sind unendlich freundlich, waren auch alles andere als aufdringlich und zeigten mir, aus welchem Holz sie geschnitzt sind. Ich spürte das erste Mal eine wirkliche und tiefe Freude und auch wenn ich natürlich nicht Teil dieser Gesellschaft bin, so habe ich dennoch heute zumindest einen Funken von der inneren Schönheit gesehen, die dieses Land zu bieten hat.
Den Bahnhof fand ich nach einigem Suchen, er ist nicht einmal einen Kilometer vom Campingplatz entfernt. Den Weg zurück verbrachte ich übrigens rennender Weise, denn ein Gewitter kündigte sich an. Ich schaffte es trocken ins Wohnmobil, eine halbe Minute später begann das Spektakel. Es war kein gewöhnliches Gewitter, Hagelkörner von der Größe meiner Daumenspitze prasselten auf den Camper nieder. So sitze ich jetzt hier, habe gezwungener Weise Muße, die ich gerne nutze. Auch wenn es ein Tag war, der nicht so gelaufen ist wie geplant, war es ein erfolgreicher Tag. Man muss eben die Geschenke des Chaos nutzen, wer weiß, wohin einen das Schicksal führt. Ich jedenfalls bin gespannt auf morgen, auf die Fahrt im Zug, denn ein Land lernt man am besten in öffentlichen Verkehrsmitteln kennen. Ist zumindest meine Erfahrung