Skoura

Ich habe mich morgens nicht sehr lang mit der Entscheidung aufgehalten, bin einfach losgefahren und werde sehen, ob ich die Runde zurück bis Ouarzazate schaffe oder nicht. Am Ende ist es nicht so wichtig, wahrscheinlich fahre ich nur bis Erfoud und biege dann wieder gen Norden ab. Hier, am Rande der Wüste, bräuchte ich sicher viel Zeit, um die Gegend im Detail zu erkunden, daher werde ich mich mit einigen Eindrücken davon begnügen. Vielleicht schaffe ich sogar eine Wanderung in einer der Gorges, die in den nächsten Tagen folgen werden, doch so viel Planung ist für den Augenblick zu viel für mich. Ich hatte mir für heute die wahnsinnige Strecke von 40 Kilometern vorgenommen, bis Skoura, von dem der Lonely Planet empfahl, etwas Zeit zu verbringen. Die Strecke bis dorthin wurde immer wüstenähnlicher, wobei es sich um eine karge Steinwüste handelt. Die Straße war jedoch einwandfrei, ab und zu sah ich einige Jeeps, die, wie befreit von der Last der Straße, off-road ihr Vergnügen suchten und dabei mächtig Staub aufwirbelten. Schon hier sah ich ab und zu eine Kasbah, es sollte der Tag dieses traditionellen Berbergebäudes werden. Die Berühmteste habe ich aber anscheinend verpasst, in Ait Benhaddou ist eine perfekt renoviert worden, sie stellte die Kulisse für den Film „Gladiator“. An der bin ich gestern unbemerkt vorbei gefahren und spielte mit dem Gedanken, die 35 Kilometer zurückzufahren. Ich sparte es mir jedoch, wahrscheinlich aus einem Anfall an Bequemlichkeit oder meiner Abneigung, zurückzuschauen, oder -zufahren, wie in diesem Fall. Die Lehre daraus ist jedoch, sich den Lonely Planet vor einer Fahrt durchzulesen anstatt erst hinterher, um so die Enttäuschung des Übersehens zumindest zu minimieren. Es ist immer besser, sich bewusst für oder gegen etwas entscheiden zu können, es gibt einem mehr Befriedigung, wenn man etwas sieht und eine höhere Akzeptanz, wenn man etwas nicht sieht. Eine Attraktion einfach zu übersehen ist schlichtweg ärgerlich.
So also benötigte ich nicht einmal eine dreiviertel Stunde, um nach Skoura zu gelangen. Es ist auch einmal schön, nicht so weit fahren zu müssen und noch vor 10 Uhr konnte ich – bereits auf dem Campingplatz angekommen – mein Fahrrad abschnallen, um die Gegend zu erkunden.
Einmal vorweg, in Skoura ist eine riesige Palmeria, ein Palmenhain mit vielen Kasbahs dazwischen, in denen auch Menschen leben. Die Palmeria liegt jenseits eines ausgetrockneten Flussbettes, und ist größer als ich schauen konnte. Ein herrlich friedvoller Ort, der viel Schatten in der bereits um diese Uhrzeit sengenden Hitze bot.
Als Erstes sah ich mir die Kasbah Amerdihl an, die als Einzige zugänglich ist und in der ein Teil traditionell restauriert ist. Der Weg dorthin stellte mich vor einige Mühen, obwohl ich bereits mit dem Mountain-Bike unterwegs war. Man kann die kurze Strecke nicht einmal als Piste bezeichnen, denn es sind auch viele sandige Abschnitte dabei, in denen normale Fahrzeuge sicher stecken bleiben. Allerdings kam ich diesen Umständen entsprechend noch recht gut voran.
Die Kasbah wird zurzeit im traditionellen Stil aufgebaut. In einem Teil ist ein Hotel, wieder ein anderer nur Ruine. Der Innenhof des zu besichtigenden Teils ist mit Pflanzen bestückt, ein Brunnen aus Lehm spendet Wasser. Auch kann man dort in einige karge Räume anschauen, in denen meist nicht viele Möbel stehen, im Wohnzimmer beispielsweise waren nur Pritschen mit Berberteppichen und ein niedriger Holztisch. Es hatte trotzdem einen rustikalen Charme, denn was braucht man schon sonst in einem Wohnzimmer? Ich mochte diese Kasbah lieber als diejenige gestern in Ouarzazate, denn hier bekam ich viel eher einen Eindruck, wie es ist, hier zu wohnen.
Auch konnte ich einige Handwerker beobachten, die dabei waren, die Kasbah zu renovieren. Ich lag richtig, denn einer von ihnen war damit beschäftigt, Erde mit Wasser und Stroh zu vermischen, was andere zum Aufbau der Mauern verwendeten. Die Sonne backt das Ganze dann zu einem betonartigen Gemisch.

Kasbah Amerdihl bei Skoura und Umgebung

Danach machte ich mich auf, um in der Palmeria weitere Kasbahs zu suchen. Das Schöne hier ist, dass man diese Gebäude in allen Zuständen findet, von perfekt restaurierten bis hin zu erodierten Lehmhaufen, die nur noch rudimentär andeuten, dass es sich einmal um ein Gebäude gehandelt hat. Sicher ist, dass das Material dafür überall zur Verfügung steht. Sicher ist jedoch auch, dass man nach jedem Regenfall oder größeren Sturm ausbessern muss. Sobald man eine Kasbah für einige Zeit vernachlässigt, geht sie rasch den Weg aller Dinge: Sie verschwindet und wird wieder Teil ihrer Umgebung. Asche zu Asche sozusagen. Besonders in der Palmeria ist das besonders deutlich, insgesamt ein wundervoller Ort von Bewegung und Vergänglichkeit. Was mir ebenfalls aufgefallen ist, ist das ausgeklügelte Bewässerungssystem. In kleinen Gräben wird Wasser zu den einzelnen Teilen des Haines geleitet, dieses kostbare Gut und die Geschicklichkeit von Menschen haben dieses kleine Paradies geschaffen.
Inzwischen war es brütend heiß, trotzdem fuhr ich noch etwas weiter, stieg noch auf einige Anhöhen gegenüber der Palmeria, auf denen ebenfalls Ruinen von Kasbahs standen. Es war meine erste Berührung mit der Wüste, unbarmherzig und karg. Erst als ich schon einige Zeit gelaufen war, fiel mir ein, dass es doch sicher allerhand Viecher gab, einige davon vielleicht nicht so harmlos wie die Fliegen, die mich seit einigen Tagen auf den Campingplätzen verfolgen. Die bloße Annahme von Skorpionen ließ mich schütteln, doch was wusste ich denn schon? Wegen einer bloßen Idee Angst bekommen, ohne Grund oder Beweis? Ach nein, das ist dann doch nichts für mich und ich setzte meinen Weg unbeeinflusst und selbstbewusst fort. Vielleicht wird mir diese Einstellung eines Tages schaden, doch im Moment lässt sie mich frei atmen. So frei wie noch nie.
Als es endgültig zu heiß wurde, flüchtete ich zum Camper, der allerdings eher einem Backofen glich. Also verbrachte ich die heißesten Stunden des Tages unter dem Sonnenschirm, beendete Ghandis Autobiografie und hoffe, dass er am Ende seines Lebens noch mehr von der Wahrheit hat sehen können, nach der er sein Leben lang so sehr gesucht hat. Es ist kein ganz selbstloser Gedanke, denn ich habe mich in vielen seiner Beschreibungen wiedergefunden und weiß, dass wir beide vor allem eines gemeinsam hatten: die Suche nach der Wahrheit. Und für mich wäre es eine ungemeine Befriedigung zu wissen, ob er noch mehr von dem Schleier hat heben können, um diese glänzende Einheit betrachten zu können, allein schon deshalb, weil ich dann vielleicht auch die Chance habe, eines Tages dieses göttliche Licht sehen zu können.
Einen Eindruck davon habe ich bereits.

Nachmittags machte ich mich auf in die Stadt Skoura, die sich recht trostlos entlang der Hauptstraße befindet. Man sieht, dass es eine arme Gegend ist, doch auch hier wird überall gebaut. Marokko ist im Aufwind, keine Frage, Das wird man bald selbst im entlegensten Teil des Landes merken. Hier ebenfalls.