Gorges Todra/Todra-Schlucht

Es war einer dieser Campingplätze, den ich noch eine Weile in Erinnerung behalten werde, und zwar wegen seiner Einzigartigkeit. Nicht nur erwachte ich jeden Morgen mit dem Panorama-Blick auf die Affenfelsen, auch wegen einiger anderer Dinge. Zum Beispiel gibt es auf dem ganzen Platz keinen Strom, so dass es gegen 19:30 stockfinster wird. Der Betreiber, Said, hat sich deshalb für die Sanitätsräume etwas Besonderes einfallen lassen, was man eben tut, wenn es keinen Strom gibt: Er hat Kerzen aufgestellt. So romantisch habe ich mir noch nie die Zähne geputzt oder sonst etwas getan, was man eben in sanitären Einrichtungen so erledigt.
Aus irgendeinem Grund erwachte ich gegen vier Uhr morgens und trat vor die Tür des Campers. Es war nicht stockfinster wie abends, als Gewitterwolken den Himmel bedeckten. Die Wolkendecke war ziemlich zerrissen und ließ den fast vollen Mond scheinen. Die Affenfelsen erhoben sich düster vor meinen Augen und ich dachte mir, dass es fast so unheimlich aussieht wie in den Karpaten, was ich freilich nicht wissen kann, denn ich war noch nie dort. Trotzdem hab ich es genossen. Als ich am nächsten Tag abfahren wollte, wurde der Abschied regelrecht zelebriert. Said spendierte einen frischen Minztee, wir plauderten in verschiedenen Sprachen, die uns gerade in den Sinn kamen, dann, als ich losfahren wollte, kam er nochmals und schüttelte meine Hand, alles mit dem freundlichsten und entwaffnendsten Lächeln, das man sich vorstellen kann. Ich versprach, wieder zu kehren und das nächste Mal Nina mitzubringen. Ich weiß nicht genau, ob er verstand, aber am Ende sagte er: „Bis zum nächsten Mal.“ Also denke ich schon.
Da meine Vorräte zur Neige gingen, hielt ich in Boulemaine Dades, um ein wenig einzukaufen. Es war das erste Mal, dass ich das nicht in einem Supermarkt erledigte. Es funktionierte bestens.
Ich fuhr also weiter, wieder durch die Steinwüste. Nach einer Viertelstunde fiel mir auf, dass ich mich an diesen sonst so ungewöhnlichen Anblick bereits gewöhnt hatte. Kaum nach nahm ich die bizarren Felsgebilde war oder das Flimmern der Hitze am Horizont, das so merkwürdige Spiegelungen zaubert. Kaum noch erkannte ich die verschiedenen Farbenspiele, die mich die Tage vorher so beeindruckt hatten. Ich muss gestehen, dass ich mich schämte. Die Schönheit war dort, zum Greifen nahe, ich konnte hinschauen und sie erblicken, genießen, aufsaugen. Was tat ich? Ich hatte mich daran gewöhnt. Ich empfand es als Sünde, dachte an andere, ähnliche Momente zurück. Zum Beispiel, als ich in Florenz drei Monate lang täglich über die Ponte Vecchio spazierte, sie bald nicht mehr wahrnahm. Oder in London an der Themse entlang lief und die Silhouette dieser einzigartigen Stadt mir kaum noch auffiel. Warum ist es so, dass wir uns so schnell an Kunst und Schönheit gewöhnen, dass sie uns kaum eines Blickes mehr würdig ist? Vielleicht liegt es an uns, an unserer sinnlosen Gier nach stetig Neuem, so zumindest ist es sicher bei mir. Vielleicht bleibe ich deshalb immer nur kurz an einem Ort, geistig wie körperlich. Dass ich dabei nur an der Oberfläche kratze, selten penetriere, ist mir heute das erste Mal in meinem Leben bewusst geworden. Vielleicht schaffe ich es mithilfe dieses Journals, das ich unendlich lange weiterführen könnte, auch wenn ich schon längst wieder feste vier Wände um mich herum habe, um den Dingen ein wenig näher auf den Grund gehen zu können.

Gorges Todra/Todra-Schlucht

Ich erreichte den anvisierten Campingplatz in der Todra-Schlucht recht schnell, war bereits gegen 11 Uhr dort. Ein herrliches Fleckchen Erde, direkt an der Oase und nicht weit entfernt von der Schlucht. Ich wartete noch ein wenig die Mittagshitze ab, machte mich dann aber auf den Weg, ohne rechtes Ziel. Ich lief einfach die Oase entlang weiter Richtung Schlucht, kam dabei an vielen Parzellen mit allen möglichen Nutzpflanzen vorbei, die ich nicht kannte. Der Weg war mir dabei alles andere als klar, doch wurde die Schlucht immer enger und somit brauchte ich mich nur am Fluss zu orientieren, dem ich folgte und den ich ab und an auf Steinen und wackligen Holzbrettern überquerte.
Anders als die Dardes-Schlucht sah ich hier schroffere, höhere Berge, so dass die Oase in der Mitte noch eindrucksvoller wirkte. Ich glaube, dass ich erst heute verstanden habe, was Wasser für ein wertvolles Gut ist. Erst der Anblick der unwirtlichen Landschaft, in deren Mitte es so gewaltig und üppig blüht, hat mich einsehen lassen, dass es kaum etwas Wertvolleres geben kann, etwas, das so viel Leben spendet. Immer habe ich es gelesen oder gesagt, an diesem Ort jedoch ist es Wirklichkeit, man sieht es förmlich. Sollte das Wasser je versiegen, wäre hier nichts mehr außer Steinen. So aber steht hier ein riesiger Palmenwald, der intensiv landwirtschaftlich genutzt wird und der die Menschen mit dem Nötigsten versorgt. Allein diese Erkenntnis hat diesen Tag so wertvoll gemacht wie selten ein anderer.
Als ich gerade wieder am Rande einer bepflanzten Parzelle vorbei kam, hörte ich plötzlich ein scharfes Bellen. Mehrere Hunde waren aufgesprungen und kamen auf mich zu. Es war einer dieser Momente, in denen das Leben in Zeitlupe abläuft. Ein kurzer Blick nach hinten und mir war klar, dass ich da nicht lang konnte, also reagierte ich, in dem ich meinen Stock, der durchaus die Größe eines beachtlichen Knüppels hat, in beide Hände, machte, statt zurückzuweichen, einen Schritt auf die Biester zu. Nur einer der Hunde machte Anstalten, wirklich anzugreifen. Als er mich jedoch nach vorne kommen sah, wendete er sofort, kläffte noch einige Male und wich dann zurück. Feigling. Ich glaube, wäre er noch einen Schritt näher gekommen, hätte er jetzt eine ordentliche Beule am Kopf. Komisch ist es schon, wie instinktiv wir in solchen Fällen handeln. Erst an Flucht denken, dann zum Angriff übergehen, das alles in ein oder zwei Sekunden. Die Viecher beobachteten mich noch ein wenig, doch beide Parteien hielten einen geordneten Rückzug für das gesündeste, wobei ich seelenruhig meinen Weg fortsetzte. So ruhig war ich allerdings nicht, der Schreck saß mir gehörig in den Gliedern, doch zeigte ich es nicht. Mein Herz klopfte gewaltig und ich glaube nicht, eine Minute lang auch nur einen Gedanken gefasst zu haben. Sicher war mein Blut in meine Extremitäten gewandert, die es in diesem Augenblick sicher am ehesten haben gebrauchen können. Ich lief nicht mehr weit, da hörte ich das Donnern. Ein gewaltiges Gewitter war im Anmarsch, so dass ich schleunigst umkehrte. Erst auf dem Campingplatz sagten mir die Mitarbeiter, dass es hier so gut wie nie regne, immer nur woanders, außerhalb des Tales. Macht nichts, ich jedenfalls erkundigte mich sofort nach möglichen Wanderungen, erfuhr auch einiges, so dass ich morgen einen weiteren Versuch unternehmen werde, die bereits beachtlichen Eindrücke dieses Tages weiter zu vertiefen. Es regnete übrigens wirklich nicht an diesem Tag.