Lovcen-Nationalpark

Es ist mir gestern Abend das erste Mal aufgefallen, dass es bereits vor acht Uhr dunkel wird. Damit ist im Grunde die schönste Zeit des Jahres vorbei, denn ich bin eindeutig ein Lichtmensch. Dunkelheit macht mich melancholisch, Helligkeit gibt mir Energie. Um mehr von dem so dringend notwendigen Licht zu haben, stand ich heute bereits um sieben Uhr auf. Es war eigentlich noch nicht hell, denn die Sonne stand hinter dem Bergmassiv. Als sie sich um acht langsam über den Gipfel hob, brannte sie sofort wie Feuer. Aber da hatte ich schon gepackt, auch wenn ich den kühlen Morgen mit meinem Buch zusammen sehr genossen habe.
Mein heutiges Ziel war der Lovcen-Nationalpark, nur ca. 50 Kilometer entfernt von Sveti Stephan. Aber was für eine Fahrt es werden sollte. Die Transe und ich ächzten den Berg hinauf, schlängelten uns die engen Straßen entlang, das Auto wurde dabei so heiß wie noch nie. Ich dachte, irgendwann muss es doch einmal aufhören, aber so schnell gab der Berg nicht auf. Wir schraubten uns praktisch die ganze Zeit über Budva das Gebirge hoch, die Aussichten wurden immer spektakulärer. Oft hielt ich an, um Fotos zu machen. Ich zweifle zwar, dass sie etwas werden, aber man weiß ja nie.
Wie es oft nach einem solchen Anstieg ist, öffnete sich ein Plateau, immer wieder ein erhebendes Gefühl. Die alte Hauptstadt Cetinje erreichte ich hier nach kurzer Fahrt, aber es sollte heute mein Schicksal sein, mich öfter zu verfahren, denn außer einigen hässlichen Vororten sah ich nichts. Vielleicht wäre ich stehen geblieben, aber so bin ich nur vorbei gefahren, ohne anzuhalten. Um in den Park zu gelangen, musste ich weiter nach oben, die Straße fuhr sich aber recht gut, vor allem, weil kaum einer sie benutzt.
Ich erreichte einen kleinen Posten mit einem Wächter, der mir einige kleine Münzen für das Befahren des Nationalparks abnahm. Jetzt gab es kein Zurück, zwar hatte ich vergessen, mich mit frischen Vorräten einzudecken, aber der Camper ist natürlich immer noch voll mit Nahrungsmitteln. Im Rough Guide hatte ich gelesen, dass es beim Visitor-Centre einen Campingplatz gebe. Nun, man kann dort sein Zelt auf- oder den Camper abstellen, jedoch sind Duschen nicht-existent und Toiletten nur zwischen 9 und 17 Uhr zugänglich. Eine ganz schöne Herausforderung an mein Verdauungssystem. Trotzdem entschloss ich mich, zumindest für eine Nacht zu bleiben, es gibt ja immer noch den Wald.

Der Aufstieg von Meeresniveau auf ca. 1300 Metern hatte Auswirkungen auf den Kreislauf, so dass ich mich kurz ausruhen musste. Dann aber lief ich los, das Ziel war, einen Blick auf Kotor zu werfen, das ich aus höchster Höhe betrachten wollte. Den Fjord natürlich auch. Hier verlief ich mich, obwohl ich sagen muss, dass die Wege nicht gut ausgeschildert sind. Plötzlich, an einer Kreuzung, fehlten die Zeichen, es ging in drei Richtungen, die, aus der ich gekommen war, nicht mitgezählt. Ich lief alle drei Wege ab, zumindest einige Hundert Meter, doch die Markierungen tauchten nicht auf. Ich entschied mich für den Weg durch den Wald, der mir der wahrscheinlichste schien. Er endete irgendwann auf einer Straße. Ich wandere nicht gerne auf Teer, wer tut das schon? In jedem Fall wusste ich jetzt, wo ich war, denn die Straße konnte ich einordnen. Einige Hundert Meter weiter stieß ich dann wie geplant auf den Abzweig. Direkt zwischen zwei Bergmassiven hindurch, lief ich praktisch durch eine Schlucht, leider auch immer den Berg hinunter, wohl wissend, dass ich die Strecke auch wieder hinauf musste. Beinahe wäre ich umgekehrt, doch sagte ich mir, dass es nicht mehr weit sein könne. Das stimmte, wieder erreichte ich eine Straße. Wenige Hundert Meter später schaute ich auf den Fjord, sicher aus über 1000 Meter Höhe. Es war berauschend. Ich konnte bis Herzeg Novi sehen, selbst in diesigem Zustand. Die Altstadt von Kotor versteckte sich zwar hinter Felsen, aber das machte nichts, die Aussicht war auch so fantastisch.

Es war bereits drei Uhr, meine Irrwege hatte mich aufgehalten und laut Tafeln sollte der Rückweg ca. drei Stunden dauern. Es war also keine Zeit zu verlieren, denn ich wusste ja, dass es ein beschwerlicher Aufstieg werden sollte. Am Ende ging es, unterwegs fand ich eine Menge Walderdbeeren, saftig und süß. Ich gönnte mir einige Handvoll. Ich suchte danach den Rückweg, denn hergekommen war ich über die Straße. Er war leicht zu finden, über Stock und Stein ging er geradewegs den Hügel hinunter. Es war eine bizarre Landschaft, grüne Wiesen mit riesigen, weißen Steinblöcken dazwischen. Kein leichter Weg, denn zuweilen war er rutschig und uneben. Und wieder verlor ich ihn. Zwar befand ich mich auf einem breiten Pfad, doch die Zeichen blieben verschwunden. Letztlich fand ich wieder eine Straße, die mich sicher zum Camper leitete. Irgendwie nicht Sinn der Sache, immer auf Teer zu laufen.

Es war schon nach fünf und ich hatte noch kein einziges Wort geschrieben. Das Gewissen nagt dann immer gewaltig, ich stellte jedoch fest, dass ich nach einigen Stunden des Wanderns doch etwas müde war, daher brachte ich nicht viel zu Papier. Erst als ich mich ausgeruht hatte, konnte ich wieder etwas arbeiten. Ich schaffte auch alles, ob es gut geworden ist, möchte ich bezweifeln. An manchen Tagen fehlt die Balance zwischen Reisen und Schreiben. Also habe ich noch an der Perfektion zu arbeiten.
Jetzt sitze ich hier, friere fast in dieser Höhe, während unten, nur wenige Kilometer entfernt, die Leute noch immer schwitzen.
Ich stehe morgen vor dem Scheideweg. In die Berge oder am Mittelmeer entlang. Albanien oder Serbien. Es wird nicht leicht….