Cetinje

Es bleibt bei Albanien. Am Ende hatte ich einfach keine Lust auf Serbien, das muss ich ein anderes Mal erkunden.
Mitten im Wald wachte ich heute Morgen auf, sehr ruhig und beschaulich. Es hat wirklich etwas Besonderes, der Nationalpark. Doch bei näherem Hinsehen wird er vielleicht nicht so beschaulich bleiben. Es gibt bereits eine große Baustelle, aus der bald ein Hotel werden wird. Der Campingplatz am Info-Centre wird nächstes Jahr fertig sein. Also hatte ich Glück, denn auf der gestrigen Wanderung bin ich nur einem Pärchen aus Italien begegnet. Ansonsten hatte ich die Berge für mich. Die sehr netten Leute hier am Info-Centre haben mich gratis nächtigen lassen, denn für das Austreten im Wald mochten sie dann keine Euros nehmen. Ich erzählte ihnen von der Wanderung gestern, sie erzählten etwas über ihren Frust, dass Dinge für sie nicht schnell genug gingen. Not much money, not much time. Also das Übliche. Meine Einstellung, dass man eben aus dem, was man hat, das mögliche tun muss, teilt kaum jemand. Eigentlich schade, aber bei mir wäre der Campingplatz bereits in Betrieb und wenn er mit provisorischen Toiletten- und Duschkabinen ausgestattet wäre. Genügend Besucher, die meist wieder abfahren müssen, weil es keine Unterkünfte gibt, hat der Park. Aber das war Öl in Wasser, so etwas will niemand hören.

Ich beschloss, mir heute die alte Hauptstadt Cetinje anzuschauen, an der ich gestern so achtlos vorbei gefahren war. Es war eine gute Idee, denn ich mochte den kleinen Ort sehr. Vom 15. bis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war Cetinje Hauptstadt Montenegros. Es sah nicht so aus, aber ich bin voreingenommen, habe Berlin, Paris und London vor mir, Prag und Wien. Cetinje war bis ins letzte Jahrhundert Hauptstadt und es schien, als ob die Zeit stehen geblieben war. Die alten Botschaften sind zum Teil noch erhalten. Ich parkte den Camper nichts ahnend direkt vor der ehemaligen französischen, einem besonders prachtvollen Bau.
Sofort bemerkte ich die entspannte Atmosphäre. Ich lief eine Fußgängerzone entlang, mit einigen recht einfachen Geschäften, dann begannen die Cafés. Hunderte von Plätzen, alle draußen, es muss das Paradies der Caféhauskultur sein. Ich würde das später ausprobieren.
Irgendwie schaffte ich es nicht, die Stadt als ehemalige Hauptstadt ernst zu nehmen. Der ehemalige Königspalast ist heute ein Museum, sah für mich eher aus wie eine bescheidene Villa. Doch auf den zweiten Blick wirkte es alles sehr sympathisch, eine oder zwei Stufen kleiner als sonst, wenn die Bevölkerung mit Steuern belegt wird, nur um Prachtbauten zu errichten. Obwohl es hier sicher nicht viel anders war, nur scheint die Bevölkerung einfach etwas ärmer gewesen zu sein.
In einiger Entfernung sah ich das Kloster, von Weitem sehr beeindruckend mit seinen mächtigen Mauern und Rundbögen dahinter. Aber letztlich konnte ich mich nicht dazu durchringen, das Museum des Klosters anzusehen, auch wenn es die natürlich echte einbalsamierte Hand von Johannes dem Täufer enthält. Bis auf zwei Finger, die sich wahrscheinlich in Rom, Venedig, Florenz, Bari, Paris und noch weiteren zwei Dutzend Orten befinden.

Am interessantesten hörte sich für mich die Gemäldegalerie an. Zwar steckt der Tourismus in Cetinje noch in den Kinderschuhen, was die Stadtväter aber nicht daran gehindert hat, die Preise bereits dem Massentourismus anzupassen. Dazu gehört übrigens auch ein zu bezahlender Großparkplatz in der Nähe des Zentrums, als wenn es nicht Hunderte von freien Parkplätzen in der Umgebung gäbe. Jedenfalls besteht das städtische Museum aus zwei Etagen, eine mit der Gemäldegalerie, die andere mit dem historischen Museum. Der Rough Guide berichtete noch von einem einzigen Gebäude mit zwei Ausstellungen und einem Eintrittspreis, doch das haben sie inzwischen geändert. So entging mir die historische Ausstellung, die der Rough Guide ohnehin nicht empfahl. Allerdings hat er besonders oft nicht recht, wenn man diesen Band über Montenegro betrachtet.
Die Gemäldegalerie überraschte mich sehr. Ich sah viele Kunstwerke von mir völlig unbekannten Künstlern, vor denen ich lange stehen blieb. Ein Gemälde entzückte mich förmlich, es hatte eine unglaubliche erotische Ausstrahlung auf mich, die ich kaum erklären kann. Das würde ich mir sogar ins Zimmer hängen.
Ein Raum ist einem Künstler aus Cetinje, Milo Milunovic, gewidmet. Auch seine Werke beeindruckten mich. Es waren eigentlich nicht nur die Bilder. Wie selten konnte ich Werke aus ganz unterschiedlichen Epochen seines Lebens sehen. Er hatte mit einfachen Porträts begonnen, die allerdings einen wie ich finde expressionistischen Touch haben. Dann kam in den Dreißigern eine kubistische Phase, sehr erotische Bilder mit nackten Menschen. Dann ging er zur Landschaftsmalerei über, jetzt eindeutiger expressionistisch. Später, in den Fünfzigern/Sechzigern wurden seine Bilder abstrakter. Ein Künstler also, der viel probiert hat, immer wieder aufs Neue. Ich hoffe, ihm nacheifern zu können.
Was mich im Museum ziemlich kalt ließ, waren die Ikonen, die anscheinend ausgewählt und exquisit sind. Aber ich kann mich mit sakraler Kunst immer weniger identifizieren, schon gar nicht mit solch stilistischer. Man mag mir meinen Unverstand verzeihen. Auch eine sehr berühmte Ikone ist ausgestellt, von der ich allerdings kaum etwas erkennen konnte. Nur sah ich, dass der Rahmen sehr verziert sein muss, aber im schummrigen Blaulicht erkannte ich nicht viel.
Trotzdem kann ich das Museum jedem empfehlen.
Ich hielt mich anscheinend länger auf, als ich sollte, denn irgendwann kam eine Angestellte und schaute nach mir, ob ich auch nicht verloren gegangen sei. In diesen Momenten gehen die Aufseher nicht einfach, sondern bleiben in den Räumen und beäugen einen misstrauisch. Damit war der Besuch beendet, was nichts machte, denn ich hatte den Bereich der modernen Kunst erreicht, die mir wie üblich nichts sagte. Manche Bilder empfand ich sogar als Beleidigung, ein Geschmiere sondergleichen. „Franz Schildknecht in Reinkultur“, unmöglich also.

Danach war es Zeit für Koffein. Die entspannte Stimmung setzte sich fort, ich saß lange in einem Café, bevor ich in die Pizzeria nebenan wechselte. Nach einem weiteren Spaziergang durch das Zentrum war die Luft heraus, Zeit also abzufahren. Wieder wand ich mich die Straße nach Budva hinunter, diesmal ging es natürlich schneller. Bald schon war ich auf einem echten Campingplatz bei Petrovac, der diesen Namen auch verdient. Echte Duschen und Toiletten. Ich machte nach einer Schreibsession noch einen Strandspaziergang, morgen muss ich davon einmal berichten, denn ich hatte ein Deja Vue. Trotzdem, die Gedanken kreisten eigentlich um den Roman. Ich weiß jetzt mit Bestimmtheit, dass ich in meinem Leben nichts anderes mehr machen möchte als zu schreiben. So deutlich hatte ich es noch nie gespürt. Der Gedanke macht mich glücklich, und auch wenn es ein weiter Weg wird, es ist meiner. Und ich gehe ihn bereits.
Ist das nicht schön?