Catania

Und gestern ist es geschehen.
Ich hatte es wochenlang befürchtet, insgeheim gehofft, es würde nicht passieren. Mit einer Inbrunst habe ich es geleugnet und ignoriert, so sehr, wie nur ich es vermag. Alles umsonst.
Mir ist das Gas ausgegangen.
Mitten beim Kochen, die Kartoffeln waren gerade halb gar.
Ich kann es nicht als Katastrophe bezeichnen, denn es ist keine. Nur eben das Ausgehen meiner Energiequelle. Oder zumindest meiner hauptsächlichen. Den Rest der Mahlzeit bereitete ich mit dem tragbaren Kocher zu, den ich in Berlin bei einem Türken gekauft hatte und der für draußen bestens geeignet ist, aber auch in diesen Situationen höchst willkommen war.

Trotzdem ist es keine Lösung auf Dauer. Ich machte mir Gedanken und hatte mich eigentlich bereits entschieden, eine elektrische Herdplatte zu kaufen. Da ich von anderen Reisenden weiß, dass es nahezu unmöglich ist, eine deutsche Gasflasche in Italien zu befüllen, schien mir das die beste Option.
Morgens machte ich also alles bereit, um aufzubrechen. Wie zufällig lief mir Achim über den Weg, der gute Geist des Platzes, ein Alleskönner und deutscher Auswanderer. Ihn fragte ich, ob er eine Möglichkeit wüsste, wieder an Gas zu kommen. Kein Problem, jemand könne die Flasche abholen, würde sie mir einen Tag später wiederbringen. Es koste zwar 20 Euro, also ungefähr das Doppelte vom deutschen Preis, aber es wäre immerhin noch besser, als auf ein neues System umzusteigen. Auch meinte Achim, dass das der einzige Ort in Sizilien ist, an dem man eine deutsche Gasflasche befüllen lassen kann.
Call me Lucky Jack.
Gegen 15 Uhr holte ein kleiner Sizilianer die Flasche ab, seine Fahne roch meterweit und ich wundere mich manchmal, in wessen Hände ich mein Schicksal lege. Allerdings geht es nur um eine Gasflasche, nicht um etwas Wichtiges. Der 20-Euro-Schein verschwand rasch im Overall, natürlich bekam ich keine Rechnung, aber das ist hier ziemlich normal. Nur Dumme zahlen hier Steuern, so hat es mir ein Freund einmal erklärt. Ich bin jedenfalls gespannt, ob ich morgen die volle Gasflasche geliefert bekomme. Zehn Uhr sizilianische Zeit, will wahrscheinlich heißen gegen Mittag, was immer noch rechtzeitig genug wäre, um abzufahren. Denn das ist natürlich die Konsequenz, ich konnte nicht weiter, aber das ist das Wenigste.

Es ist eine Erleichterung, denn ich muss nun nichts aus dem Hut zaubern, kann danach in Seelenruhe Energie verschwenden, denn diese Gasflasche hält bei mir ewig. Ende Juli habe ich sie in Österreich das letzte Mal befüllen lassen. Fünf Monate also, bei fünf Litern Gas macht das einen pro 30 Tage. Insgesamt werde ich also auf dieser Fahrt Energie für 30 Euro verwendet haben. Das ist natürlich vereinfacht, denn ich heize mit Strom – wenig allerdings – und Diesel ist in dieser Kalkulation auch nicht berücksichtigt. Dennoch halte ich das für grandios und überlege, ob ich nicht auch in Berlin in der Wohnung auf diese günstige und umweltschonende Kochmethode umsteigen sollte. Einen Gaskocher und zwei größere Gasflaschen kosten nicht die Welt und Kochen mit Gas ist allemal besser als mit Strom. Man verschwendet nicht so viel Energie. Ich muss einmal darüber schlafen.

Das gab mir heute einen weiteren Tag, an dem ich Catania erkunden konnte. Wieder spazierte ich in die Stadt, die vollkommen aus den Nähten platzte. Sicher haben die meisten Italiener bereits Weihnachtsurlaub. Jedenfalls herrschte ein buntes Treiben. Ich lief zum Fischmarkt, der dank der noch recht frühen Stunde im vollen Gange war. Seit Monaten habe ich nichts mehr gegessen, das aus dem Meer kommt. Muss ich einmal wieder machen, die Gambas sehen verführerisch aus.
Ich ging weiter zur Burg. Die ist beeindruckender, als ich dachte. Wichtig und gut erhalten sieht sie aus. Ich sah sie allerdings nur von außen, innen ist das städtische Museum untergebracht, die sechs Euro Eintrittsgeld wollte ich mir sparen. Ich lief stattdessen lieber in dieser Gegend umher. Und entdeckte einen ziemlich ärmlichen Bereich der Stadt. Es war interessant, überall bröckelte das Mauerwerk, Müll lag herum, was meiner Erfahrung nach immer ein Zeichen von Armut ist, denn reichere Gebiete werden von staatlichen Einrichtungen wie der städtischen Müllbeseitigung überall in der Welt bevorzugt. Das erste Mal bemerkte ich das bewusst in Manchester. Allerdings muss man dazu sagen, dass die Menschen dort meist selbst wenig unternehmen, um den Dreck nicht ausarten zu lassen. Müll wie Plastikflaschen oder Schokoladenpapier wird grundsätzlich einfach fallen gelassen. Trotz überall angebrachter Mülleimer. Hier nehmen sich Engländer, Griechen, Türken und Italiener gar nichts. Deustche wahrscheinlich auch nicht. Schade.

Mein Spaziergang war trotzdem spannend. Es ist keine Gegend, die ich unbedingt abends besuchen würde. Tagsüber war es kein Problem. In einer Bar trank ich einen Kaffee, ich sah an den eingefallenen Gesichtern um mich herum, dass die Menschen es nicht gerade leicht haben. Auch verirren sich Touristen nicht oft hierher, was man an den Blicken merkt. Leider verstehe ich italienisch zu schlecht, selbst die Brocken, die ich kann, nützen mir nichts. Der Dialekt ist zu stark, mehr als Wortfetzen kann ich nicht auffangen. Sicher wäre es interessant, mit den Leuten zu reden, aber die meisten sprechen kein Englisch. Auch das ist ein Effekt der Reise. Es fällt mir wesentlich leichter, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Es ist immer spannend, sich zu erkundigen oder ihnen einfach zuzuhören. Kein Reiseführer der Welt kann dort mithalten. Schon aus diesem Grund könnte ich mich beißen, beim Lernen von Sprachen nicht disziplinierter gewesen zu sein. Drei kann ich leidlich, vier oder fünf wären möglich gewesen, ohne viel Aufwand, aber mit etwas täglicher Arbeit. Ärgerlich.

In jedem Fall probierte ich eine Art Pizza zum Mitnehmen, die hier in Bäckereien als Lunch angeboten werden. Es war eine gedeckte Pizza, gefüllt mit Schinken, Ei, Kartoffeln, Tomaten und noch einigem Anderen. So etwas habe ich noch nicht gegessen, ich bin sicher, dass es eine sizilianische Pizza war, denn hieher verirrt sich kein Tourist. Die Verständigung war etwas schwierig, so dass die „Mama“ des Hauses beschloss, dem dürren Deutschen die Mahlzeit gehörig anzuwärmen. Es war eine herzliche Geschichte, so dass ich mich gut behandelt fühlte. Überhaupt kann ich sagen, dass es für mich eigenartig normal ist, mich hier aufzuhalten. Ich meine damit, überall. Ich laufe in den Ländern umher, als gehöre ich zum Inventar. Seit Monaten bereits fühle ich mich überall sofort heimisch, probiere gerne lokale Spezialitäten aus, rede mit den Menschen als wären wir seit Jahren Nachbarn. Die Welt ist gleichzeitig größer geworden, aber für mich auch enger zusammengerückt.
Wir sind gar nicht so verschieden.
Sicher machen wir Dinge anders, aber im Grunde wollen wir alle ähnliche Sache. Wohlstand, Sicherheit, Glück – ob Marokkaner, Spanier, Türke oder Deutscher. Ich bin mir sicher, dass das in allen Ländern der Welt so ist. Komisch, dass man sich trotz dieser vielen, vielen Gemeinsamkeiten lieber über die Differenzen definiert, die zwar da sind, aber den geringeren Teil ausmachen. Aber auch das ist menschlich. Wir neigen eben dazu, das Haar zu finden, das seine Kreise in der Suppe zieht. Erst wenn wir es gefunden haben, sind wir glücklich.
Wie erbärmlich.
Ich jedenfalls bin gespannt, ob und wann ich morgen weiter fahren kann.