Figueres – Teatre-Museu Dalí

Gestern Abend füllte sich der Campingplatz in Olot allmählich, denn das Wochenende stand vor der Tür. Der Platz war fest in spanischer Hand, 98% der Parzellen mit Wohnquartieren gefüllt, also eine Art Schrebergartenkolonie. Es war eine nette Erfahrung, denn bis spät in die Nacht hinein spielten Kinder, während die Erwachsenen sich hörbar austauschten. Meine Befürchtungen die nahe gelegene Diskothek betreffend bewahrheiteten sich nicht, kein Lärm, nur das leichte Rauschen der Blätter im Wind, unterbrochen nur von meinem heuschnüpflichen Niesen.

Am nächsten Tag hatte ich mir vorgenommen, mich ganz nach meinem Gefühl zu richten, ob nicht doch noch ein Wandertag einzuschieben sei. Mein Gefühl sagte mir mit brutaler Klarheit, dass dies nicht so wäre, also packte ich. Im Gegenteil, mein Körper schmerzte überall und an meiner geistigen Frische zweifelte ich sowieso schon länger. Warum sollte das Wochenende nicht auch einmal für mich gelten? Ich glaube noch nicht recht daran, aber mal sehen, zumindest den Sonntag könnte ich doch einmal freinehmen, was für mich bedeutet, nicht so viel zu reisen. Das Schreiben werde ich nur sein lassen, wenn mir etwas auf den Kopf fällt, nur um das einmal klarzustellen.
Ein Ausflug nach Katalonien ist nichts wert, wenn man sich nicht eine Ausstellung eines seiner größten Söhne anschaut: Salvadore Dali. In Figueres befindet sich eines der am meisten besuchten Museen der Welt, sein eigenes, das er 1974 eröffnet hat. Einmal in dem entzückenden Ort, konnte ich es nicht verfehlen, denn es ist Dali-Land. Bislang habe ich mich bei Museen sehr zurückgehalten, doch heute bin ich froh, dass ich dem Geiz eine lange Nase zeigen und mir ein Ticket leisten konnte. Dieser Tag wird sicher als ein sehr großartiger in meiner Erinnerung bleiben, denn es ist der erste, an dem ich einem Universal-Genie etwas näher kommen durfte. Ich kannte vorher nur einige wenige Werke von ihm, die mich samt und sonders beeindruckt hatten, aber ich greife vor. Vielleicht war es gut, dass ich nicht viel über Dali wusste, denn seine Kunst spricht für ihn und sie zu entdecken, heißt mehr als bei anderen Künstlern eine Reise ins eigene Ich zu unternehmen. Denn besonders seine Werke sind so reich an Symbolen und damit Grundlage für die Wahrheiten, die in uns schlummern. Ich habe es bereits an anderer Stelle geschrieben, ich schreibe es noch mal, es ist unerheblich, was ein Künstler mit seinem Werk bezweckt hat, es ist wesentlich, was derjenige, der das Kunstwerk erlebt, in sich spürt, wie dieser es für sich interpretiert. Es gibt dabei kein richtig oder falsch, das gehört in die Welt der Lehrer, nicht aber in die der Künstler.

Ich trat jedenfalls in dieses Museum ein, und die Welt, die sich eröffnete, war eine völlig andere, die mit der Realität draußen nichts zu tun hat. Ich ließ mich sofort gefangen nehmen von Tintenzeichnungen, die Dali angefertigt hat, bizarre Bilder, die wie aus einer anderen Welt stammen. Es war grotesk und eigenartig, besonders weil ich mich davon so faszinieren ließ. Ich sah aufgespießte Käfer, an deren Zitzen Vögel saugten, tanzende Narren mit Wasser speienden Krügen anstelle der Köpfe, Ziegenköpfe als Phallus, Elefantenrüssel, wo Nasen hingehörten, kotzende Greifen mit menschlichen Gesichtern, höchst ordinäre Penetrationen jeglicher Art. Alles in allem verstörend und ich fragte mich von Anfang an, wie dieser Mensch gedacht oder welche Art von Träumen er wohl gehabt hatte.
Die Bilder wurden immer verrückter, Flüssigkeiten tropften zäh, die Extremitäten zeigten sich immer bizarrer, Muskeln verkrümmten sich. Hier fand ich meinen Weg in einen Raum, in dem Bilder hingen, die Dali gemalt haben muss, als er noch kein Surrealist war. Es waren „normale“ Bilder, in denen er probiert hat, seinen Weg zu finden. Manche waren kubistisch, sogar einige expressionistische Werke waren dabei, soweit ich das verstanden habe. Doch irgendwann begannen die Bilder anders zu werden, wie gesagt surrealistischer. Hier fand ich ein Werk, das mir mehr noch als alle anderen gefiel. Die Farbgebung war es nicht, aber die Ausstrahlung insgesamt. Es handelte sich um einen Felsen am Meer, der ein Gesicht trug.
Hier begann ich auch zu merken, woher sich Dali Inspiration geholt hat, nämlich eigentlich überall her. Ich bemerkte berühmte antike Skulpturen, die hinter Dalis Interpretationen standen, auch die vatikanischen Fresken Rafaels, die Schule von Athen, hat er frei interpretiert. Michelangelo hatte Einfluss auf seine Werke, die Skulpturen in der Medici-Kapelle in Florenz ließ Dali in seine Kunst einfließen. Ebenso Werke von Velazques habe ich erkannt, ich glaube auch von Bosch. Viele andere erkannte ich nicht, aber es waren sicher noch einige mehr. Dazu kamen noch Werke, die nur aus ihm selbst zu stammen schienen. Sicher sind das die Verrücktesten.

Im Haupthof befinden sich eigenartige Skulpturen, in einem alten Cadillac sitzt ein uraltes Pärchen, sicher Dali und seine Gala, von der Decke des Fahrzeugs tropfte Wasser auf Plastikpflanzen. Aus dem Kühlergrill ertönte bizarre Kirchenmusik, die überhaupt nicht dorthin passte, aber das ist das Wesentliche an Dalis Kunst: Vieles gehört nicht dorthin, wo es ist.
Auf einer riesigen Leinwand sah ich ein Bildnis von Dalis Muse Gala, der nackte Oberkörper hatte ein viereckiges Loch, ein Symbol, das Dali oft verwendet hat. Oberhalb des Lochs wächst ein Baum, höchst bemerkenswert und frei interpretierbar. Selbst aus etwas, das eigentlich fehlt, kann noch etwas wachsen. Wie gesagt, das, was sich in mir bewegt, ist wichtig, nicht das, was Dali bezwecken wollte.

Es wurde noch bizarrer, in einem Raum musste man eine Treppe hinauf steigen. Oben angelangt, stand ein Dromedar, an deren Bauch eine riesige Lupe auf Augenhöhe hing. Wenn man durch diese hindurchschaute, bekam der Raum darunter ein Gesicht, das Sofa war der Mund, zwei Feuerstellen bildeten die Nase, zwei Gemälde an der Wand die Augen. Das Ganze wurde auf eigenartige Weise von einer riesigen Perücke umrahmt, die blonden Haare waren zu Zöpfen gebunden. Sehr niedlich.
Sicher, die Gegenstände hatten dort auch vorher gestanden, dort oben jedoch bekamen sie erst den Zusammenhang und Sinn. Manchmal muss man eben die Perspektive ändern, um richtig zu sehen, sonst erkennt man nur unbedeutende Einzelheiten, deren Zusammenhang völlig unklar bleibt.

Es ging in dieser Form weiter, eigentlich war meine Aufmerksamkeit bereits eingeschränkt. Denn jedes von Dalis Werken erzählt eine Geschichte, es ist aufregend, jedes Mal kann man auf Reisen gehen, Abenteuer erleben. Dazu braucht man Zeit, und wenn ich ehrlich bin, genügte es vollkommen, sich auf zwei oder drei seiner Werke zu konzentrieren. Damit wäre ein Tag ausreichend ausgefüllt und sinnvoll genutzt. Ich aber verschaffte mir einfach einen weiteren Überblick, sah die ungewöhnlichsten Werke, betrachtete die Federn von körperlosen Rebhühnern, Baguettes auf Köpfen und immer wieder Löcher in den Körpern.
In einem Raum hat Dali ein Fresko in Rennaissance-Manier an die Decke gemalt. Die Bilderwelt verwirrte mich immer mehr, freizügig, surreal, die berühmten Elefanten mit Insektenbeinen tauchten hier auf, ebenfalls die tropfenden Uhren. Diese bunte Welt zog mich immer mehr in den Bann, zeigte mir aber auch meine Grenzen. Was mich unglaublich beeindruckte, ist die Tatsache, dass Dali sich niemals auf nur eine Art, Kunst auszudrücken, beschränkte. er malte und zeichnete, ob in Öl, Wasserfarben, Kohle oder Tinte, er kreierte Möbel, erschuf Skulpturen, verarbeitete Metall, entwarf Schmuck. Ein universeller Geist, der keine Grenzen kannte. Seine Schmuckstücke sind im Museum um die Ecke ausgestellt.
Ich jedenfalls erlebte vier herrliche Stunden in diesem Museum, mehr habe ich nicht geschafft. Irgendwann wird es zu viel, die Eindrücke sind unbeschreiblich intensiv und erschöpfend, eine Art Overkill, der gut tut.

Nach dem Museumsbesuch lief ich noch wie betäubt durch den Ort, er ist eigentlich sehr schön. Da es Samstag war, gingen viele Leute einkaufen, so dass ich es vorzog, mich auf den Weg zu machen.
Nun bin ich wieder auf einem Campingplatz, einer dieser Orte an der Costa Brava, der perfekt organisiert und animiert ist, an dem ich morgen einen Tag ausruhen werde.
Auch wird es Zeit, meinen Aufenthalt in Spanien Revue passieren zu lassen, denn die französische Grenze ist nur noch wenige Kilometer entfernt. Aber dafür ist Morgen noch Zeit, denn heute wird meine Aufmerksamkeit wieder meinem Roman gelten.
Es war ein wunderbarer Tag, was für ein toller Abschluss meines Aufenthalts in Spanien.