Ephesus

Mich hat es erwischt. Gestern Nacht. Lärmbeschallung. Es ist der Albtraum eines jeden Campers, irgendwo wird eine private Party gefeiert, zu der man nicht eingeladen ist, aber deren Krach man ertragen muss. So war es gestern, vom Restaurant auf dem Campingplatz organisiert. Ich halte es recht gut aus, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich schlafen möchte. Ich hatte allerdings noch Glück im Unglück, denn meine Ohrenstöpsel halfen und hielten den Lärm wirklich ab. Das geschieht nicht immer, vor allem wenn irgendein irrer DJ die Bässe bis an den Anschlag aufdreht.

Am folgenden Tag ist es trotzdem lustig zu beobachten, wie die meisten Gäste abfuhren. Das geschieht immer, vor allem bei Campern, die ziehen einfach weiter. Ich bin allerdings der Auffassung, dass man solcherlei Feiern nicht organisieren darf, wenn man einen Campingplatz betreibt. Aber das ist nur meine Meinung.
Heute Morgen schaffte ich es pünktlich aus dem Bett, ich wollte rechtzeitig zur meistbesuchten Ausgrabungsstätte der Türkei. Schon kurz nach acht radelte ich los, in der Hoffnung, dem Touristenandrang zu entgehen. Schon um diese Uhrzeit überholten mich jedoch Reisebusse, die eindeutig Menschen nach Ephesus karrten. Ich trat in die Pedale, doch kam ich erst kurz nach halb neun an. Alles schien ruhig. Ich wunderte mich jedoch bereits beim Anketten des Fahrrades über die Parkpreise. Wäre ich mit dem Camper gekommen, hätte ich 15 Lira berappen müssen. Heftig. Aber ich war mit dem Rad da, also durfte ich gratis parken. Noch waren all die Verkaufsstände leer, kaum jemand beachtete mich. Auf die 20 Lira Eintrittskosten war ich vorbereitet.

Einmal drinnen, lag eine beinahe leere Straße vor mir. Überall an den Seiten lagen Trümmer, manchmal wohlgeordnet. In der Ferne sah ich bereits das Theater, das ich bereits von der Straße hatte sehen können. Als ich jedoch näher kam und es betrat, kam es mir merkwürdig vor. Nichts wirkte echt, die Sitzbänke waren teilweise aus altem Beton, die Aufbauten wirkten bunt zusammengewürfelt, lieblos aufgetürmt. Etwas stimmte nicht. Noch war kaum jemand unterwegs, erst als ich weiter ging und auf ein geschmackvoll restauriertes Tor und den Eingang zur berühmten Bibliothek stieß, traf ich auf zwei Reisegruppen, deren Mitglieder sich in der großen Anlage ziemlich verliefen. Noch ging es also. Dieser Teil der Stadt ist sehr sorgfältig aufgebaut. Trotz des Alters wirkt er authentisch, ich bekam einen guten Eindruck davon, wie es einmal ausgesehen haben mochte.

Ab jetzt allerdings begann die Katastrophe. Irgendwoher strömten die Menschen zusammen, sie kamen nicht aus meiner Richtung. Anscheinend gab es oben noch einen Eingang, von dort ergossen sich die Massen auf die recht engen Gassen. Bald schon musste ich mich durchkämpfen. Dabei stellte ich fest, dass ein Bereich, der anscheinend einen Palast enthielt, abermals mit Eintritt belegt war. Wieder 15 Lira. So etwas macht mich wütend. Eintritt zahlen, um die Gelegenheit zu haben, nochmals zu blechen. Im Topkapi-Palast in Istanbul kann ich es noch ansatzweise verstehen, wenn auch nicht gutheißen. Hier aber ist es einmal wieder die Gier. Auch wurden, je höher ich lief, die Ruine unansehnlicher. Ich habe nichts gegen gute Restauration, aber sie muss einen Eindruck von dem erwecken, was hier früher gewesen ist. Stattdessen sind wahllos Giebel auf Betonklötzer gesetzt, Kapitelle stehen auf Säulenfundamenten, die Säulen liegen teilweise daneben. An einer Stelle war der Andrang am größten. Ich versuchte herauszufinden, was es dort zu sehen gab. Bald wusste ich es: Latrinen. Vor anderen Bauwerken standen weniger Menschen. Warum um alles in der Welt sind Scheißhäuser so faszinierend? Ist es die Tatsache, dass die Römer Toiletten hatten? Oder dass sie als Menschen genau so funktionierten wie wir? Ich werde es nicht herausfinden. Jetzt war kaum noch ein Durchkommen möglich. Im Schneckentempo drängte ich mich an den Reisegruppen vorbei, die auch nur durchgeschleust wurden. Selten sah ich etwas Geschmackvolles, meist nur Beton und Marmor in wüster Zusammenstellung.

Dann kam der Regen. Ich war ausgerüstet, die meisten Besucher nicht. Letztlich machte es nichts, denn wir konnten ohnehin nicht weg. Ich kämpfte mich langsam wieder nach unten. Irgendwo entdeckte ich einen kaum beachteten Seitenpfad, an dem fast alle vorbei liefen. Ich erreichte eine Kirchenruine, die einmal ein gewaltiges Bauwerk gewesen sein muss. Sicher über hundert Meter lang. Auch hier haben Barbaren restauriert, den Ruinen ihren Zauber genommen. Ich lief weiter, denn ich sah noch mehr Ruinen. Ein Trampelpfad führte mich dorthin, hier war ich endlich allein. Es sind nicht-restaurierte Gebäude, vor sich hinbröckelnde Ruinen inmitten freier Natur. Hier hatte ich endlich das Gefühl, etwas Grandioses zu sehen. Gewaltige Rundbögen, in der Mitte abgebrochen, zeugten von einstiger Pracht. Ich dachte darüber nach, wie man es hinbekommen könnte, eine solche Stadt zu restaurieren. Eigentlich ist es einfach. Den Griechen und später Römern galt die Schönheit als oberstes Gebot. Niemals hätten sie Abstriche gemacht. Das ist der Schlüssel. Eine Restauration muss den Anspruch haben, genau diese Schönheit wieder zu erschaffen oder zumindest so nahe heranzukommen wie möglich. Das ist hier nicht geschehen, es waren Pfuscher am Werk.

Ich bin trotzdem sehr froh, dass ich hier war. Ich erinnere mich wieder langsam daran, warum ich diese Reise mache. In den letzten Wochen wurde sie ein wenig durch den Roman zur Seite gedrängt. Der Rough Guide empfiehlt, Ephesus unbedingt zu sehen. Ich kann mich dieser Empfehlung nicht anschließen. Zu viele Touristen, zu viel Schlamperei und Gier. Keine gute Mischung. Als ich den Rückweg antrat, bekam ich auch zu sehen, was wirklich vor den Eingängen los war. Die Geschäfte waren jetzt alle offen und voll, es herrschte Jahrmarktsstimmung. Ich musste hier weg, auch wenn es regnete, schwang ich mich auf mein Fahrrad. Ich kam nicht weit, denn es begann sehr stark zu schütten und zu stürmen, so dass ich Unterschlupf suchen musste. Manchmal ist ein Blätterdach besser als keines. Als der schlimmste Sturm vorbei war, fuhr ich weiter nach Selcuk. Hier suchte ich sofort ein Café auf, genoss einen türkischen Café und ließ die Welt an mir vorüberlaufen. Das liebe ich. Ich konnte ebenfalls gut arbeiten, ging konzentriert zur Sache, ehe ich mich entschied, zum Camper zu fahren. Nach einem erneuten Regeneinbruch kam ich klitschnass an. Trotz des zweifelhaften Vergnügens des Besuches der antiken Stätten war es ein guter Tag. Denn ich kann morgen weiter fahren und das mit guten Gewissen, eine der berühmtesten Orte in der Türkei gesehen zu haben. Am Ende sind es diese Erlebnisse, von der diese Reise lebt. Und sie müssen nicht immer positiv sein.
Das wäre wahrscheinlich langweilig.