Ölüdeniz

Meine Faulheit gestern rächte sich heute. Da ich eine Menge Obst gekauft hatte, beschloss ich, mich wenigstens dieses eine Mal auf der Fahrt gesund zu ernähren. Das schlug mir sofort auf den Magen, der so viele Vitamine anscheinend nicht vertrug. Von Krämpfen geschüttelt erwachte ich also, mein Wunsch, heute einen Teil des Lykischen Weges zu erwandern verpuffte somit. Mir war es eigentlich recht, denn so konnte ich mich meinem Roman widmen. Es ist ein echter Endspurt. Den Schluss habe ich heute überarbeitet, entgegen meiner vorherigen Vorstellung gefiel er mir. Ich habe ihn erst vor sechs Wochen geschrieben, aber gnädiger Weise fast vollständig vergessen, so dass ich selbst an einigen Stellen überrascht war, wie gut er ins Konzept passt. Wie gesagt, die Story schrieb sich von allein. Nachdem ich einige Stunden korrigiert habe, spukte noch ein kleines Problem in meinem Kopf herum. Eine besonders wichtige Stelle musste ich noch schreiben, die im Grunde die Weichen für die nächsten beiden Fortsetzungsromane stellt. Es war mir ein besonderes Vergnügen, in alten Mythen antiker Kulturen zu stöbern. Die Idee ließ nicht lange auf sich warten, denn in Mythen bin ich zu Hause. Rein sprachlich war es ebenfalls interessant, denn ich wählte einen etwas altertümlichen Weg, ähnlich dem der Bibel. Durch meine Erziehung war es nicht schwierig, diese Sätze abzurufen, jahrelang war es die Lektüre, die meine Eltern uns Geschwistern vorgelesen haben. Natürlich für Kinder geeignet, denn die Bibel ist mitunter ein grausames Buch mit vielen Geschichten über Sex und Gewalt. In jedem Fall gefällt es mir schon recht gut, morgen werde ich diese Stelle aber nochmals kritisch beäugen. Auch haben sich dadurch einige Änderungen ergeben, die ich natürlich in den nächsten Tagen in die Geschichte einweben muss. Ich werde allerdings nicht mehr allzu viel Gewese machen, denn es ist nicht die letzte Überarbeitung. Erst werde ich die Geschichte an einige ausgewählte Menschen schicken, von denen ich weiß, dass sie kritisch genug sind, um mir die Schwachpunkte zu sagen. Es wird nicht ganz leicht, aber ich habe allmählich gelernt, so etwas für mich konstruktiv zu nutzen. Auch wenn ich stolz und zufrieden bin, diese Geschichte in so kurzer Zeit geschrieben zu haben, bin ich recht müde und werde mir sicher einige Tage Pause gönnen. Erst wenn Nina wieder fort ist, mache ich mich an die Fortsetzung, rechne dann allerdings damit, dass das Feedback eintrudeln wird. Ich habe es mir angewöhnt, eine Geschichte in dieser Phase mindestens einen Monat nicht mehr anzusehen. Das hilft in jedem Fall gegen die Selbstverliebtheit, macht mich kritischer. Also vor Dezember starte ich in keinem Fall mit der letzten Überarbeitung. Was danach kommt, kann ich mir schon vorstellen. Verlagssuche, Roman verschicken, Absagen oder unsittliche Angebote. Ich bin weiterhin im Zwiespalt. Das Schreiben ist mir wichtig. Nichts anderes. Ich weiß, dass die Geschichten gut sind, nachdenklich und tiefschürfend. Eben etwas für einen kleinen Teil der Bevölkerung. Vielleicht ist mir mit dieser gotischen Novelle etwas anderes gelungen, das mehrere Kunden ansprechen kann. Wer Sinn sucht, findet ihn dort. Wer Abenteuer mag, wird bedient. Sogar eine leicht-angedeutete Liebesgeschichte ist mit dabei, auch wenn das kaum der Rede wert ist.

So also füllte sich der Tag mit allerhand Nützlichem. Wenn ich ihn beschreiben würde, sagte ich, dass es Herbst wird. Ein Umstand, der Ende Oktober nicht überrascht. Trotzdem, es wird neblig, die Sonne scheint etwas trüber und weniger intensiv, langsam verfärben sich die Blätter an den Bäumen. Das kommt sicher wesentlich später als sonst in Europa, aber immerhin.
Auch der Regen kommt wieder. Vielleicht schaffe ich es morgen, etwas zu wandern, es wäre sicher die letzte Gelegenheit, bevor der Himmel in zwei Tagen die Schleusen öffnet. Bisher ist die Wettervorhersage ziemlich genau gewesen, also zweifle ich nicht. Am Samstag kommt Nina in Antalya an. Einige Hundert Kilometer muss ich noch fahren.

Ich habe mir einige Gedanken wegen der Fahrt nach der Türkei gemacht. Etwas zieht mich wieder zurück nach Italien, von dem ich völlig zurecht das Gefühl habe, es vernachlässigt zu haben. Rom wäre traumhaft. Vielleicht Sizilien? Ich weiß es noch nicht. Hier endet die Saison endgültig. Sonnenschirme werden entfernt, die Strandliegen ebenfalls. Bars und Cafés schließen. Ich kann mich entsinnen, dass das in Griechenland auch geschehen ist, doch war es hier noch nicht ganz so leer.
Am Sonntag wir die Zeit umgestellt, meines Erachtens auch hier. Dann wird es um fünf dunkel. Daran mag ich nicht denken, es macht mich depressiv. Also genieße ich diese letzten Tage dieses Altweiberherbstes, alles andere erreicht mich früh genug.
Es wird Winter. Auch im allegorischen Sinne meiner Reise.