Catania

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Mit zwei Holländern wurde es gestern eine lange Nacht, erst um halb drei trennten sich unsere Wege, nachdem wir sicher jeder eine Flasche Wein ihrem vorbestimmten Schicksal zugeführt hatten. Es sind diese raren Momente, in denen sich die Einsamkeit auflöst. Ich könnte das nicht jeden Tag machen, aber manchmal ist es nötig. Es war ein schöner Abend. Auch die Holländer werden ein Jahr unterwegs sein und ich merke, dass es ein besonderer Schlag Mensch ist, der sich die Freiheit nimmt, die Welt zu entdecken. Es sind allesamt Menschen, die nicht nur mit einem Übermaß an Intelligenz ausgestattet sind, sondern auch mit einer nicht zu stillenden Neugier, die sich in alle möglichen Gebiete erstreckt. Dieses Pärchen ist zum Beispiel mit dem Fahrrad von Holland nach Santiago de Compostella gefahren. Eine unglaubliche Strecke. Sie haben vorher nicht trainiert, sind losgefahren. In den flachen Gebieten haben sie sich praktisch auf die Bergetappen vorbereitet, sobald sie geografisch anspruchsvollere Gegenden erreicht haben, hatten sie ihre Muskeln aufgebaut, um die Pässe hinauffahren zu können. Sie haben es geschafft, auch ohne große Vorbereitung. Bei der Unterhaltung merkte ich, dass auch ich mich eines Tages gerne einer körperlichen Herausforderung wie dieser stellen möchte. Sicher werde ich wandern und nicht mit dem Fahrrad fahren, aber das ist meine Freiheit. Der lykische Weg bietet sich an, vielleicht finde ich jedoch auch etwas anderes. Auch in Deutschland gibt es lange Wanderwege, der Goldsteig zum Beispiel. Ich werde mich erkundigen.

Dank des Saufens und des späten Schlafens wachte ich erst gegen zehn und mit monströsen Kopfschmerzen auf. Selbst Aspirin half nur bedingt, den ganzen Tag lit ich unter dem gestrigen Gelage. Trotzdem war es der Abend wert. So oft kommt es ja nicht vor.
Ich schaffte es nicht, heute am Roman zu arbeiten, brauchte stattdessen Luft. Es war auch der erste Tag, an dem sich die Temperaturen deutlich in den zu ertragenden Bereich gesteigert hatten. Meinen Schal musste ich nach einiger Zeit abnehmen, denn das war zu heiß. Ich lief in Richtung Innenstadt, kam dabei am samstäglichen Markt vorbei. Dabei bemerkte ich, dass Catania ganz und gar nicht touristisch ist, denn dieser Markt ist für Einheimische. Es gibt neben den üblichen Fisch-, Fleisch-, und Gemüseständen auch Zweite-Hand-Kleidung, gefälschte Markenprodukte, DVDs mit gecrackten Filmen und einiges mehr. Ich schaute mir den Trubel an, Märkte wie dieser lassen eine Stadt noch authentischer werden. Irgendwann stand ich wieder auf der Via Etna. Da sah ich ihn. Das erste Mal, denn bis jetzt war das Wetter zu schlecht gewesen. Mir war gar nicht bewusst, wie nah Catania an diesem aktiven Vulkan dran ist. Er erhebt sich beinahe zum Berühren über der Stadt. Seine Hänge waren weiß und ich meinte, eine kaum wahrnehmbare Rauchwolke zu sehen, was für den Ätna nicht ungewöhnlich ist. Mir gelang allerdings kein gutes Foto, auch wenn ich die halbe Stadt nach einem geeigneten Standort dafür absuchte. Die ganze Via Etna ist leider so verbaut, dass ich nirgends ein gutes Foto schießen konnte. An einem Punkt war der Vulkan sogar wieder völlig außer Sichtweite. Auch gefiel mir die Gegend, in der ich mich versehentlich aufhielt, ganz und gar nicht. Zusätzlich hatte ich mich verlaufen, wusste nicht, wo ich war. Aber wie es so oft geht mit Städten, die nicht allzu groß sind, kommt man irgendwann einmal an einem Ort vorbei, an den man sich düster erinnert. So auch hier, die ganze Zeit über war ich nie weit von Straßen entfernt, die ich im Grunde schon gut kannte. Allerdings hat mir diese kleine Wanderung auch gezeigt, wie schnell man in Gegenden landet, die alles andere als sicher zu sein scheinen. Unterwegs besorgte ich übrigens endlich eine Winterjacke, mein herbstliches Kleidungsstück ist definitiv zu dünn, wenn sich das Wetter hier wieder verändern sollte.

Als ich wieder auf dem Heimweg war, am Ufer entlang ging, sah ich plötzlich den Vulkan wieder. Der Blick auf den Ätna war jetzt beinahe ungestört, ich war wirklich überrascht. Er war die ganze Zeit da gewesen, nur hatte er sich tagelang nicht gezeigt, sich hinter Wolken versteckt. Er scheint wirklich die ganze Gegend zu dominieren, mit seiner majestätischen Spitze. Besonders gefielen mir die schneebedeckten Hänge. Sie haben etwas Königliches.
Auch der morgige Tag wird ruhig, an Sonntagen geschieht in Italien selten etwas. Busse fahren nicht, Geschäfte haben nur kurz geöffnet. Also kann ich mich von meinem Kater erholen und wieder am Roman arbeiten. Da England auch dabei ist, den sicheren Sieg beim dritten Cricket-Spiel der Ashes beinahe ohne Gegenwehr zu verschenken, werde ich nicht in die Versuchung kommen, ständig das Ergebnis zu verfolgen. Denn wenn ich aufwache, wird alles schon vorbei sein, ich werde von der bitteren Niederlage lesen, mich kurz ärgern, dann aber nach vorne schauen. So wie immer eben. Denn nichts ist kurzlebiger als Erfolg oder Misserfolg im Sport. Das ist schon eigenartig, wenn man bedenkt, wie hart Erfolge oft errungen werden und wie lange es dauert. Die Frage muss gestattet sein, ob es sich überhaupt lohnt. Für den Sportler sicherlich. Aber für den Zuschauer? Ich kann nicht umhin, manchmal am Nutzen dieser aufgeblasenen Veranstaltungen zu zweifeln. Aber dem Volk gefällt es. Und solange das so ist, ist es wichtig. Schließlich hat es dann keine Zeit, sich um andere Fragen zu kümmern. Wie zum Beispiel mit all den Skandalen der Republik, dem Klüngel und der allgemeinen Käuflichkeit einiger Politiker. Es macht alles etwas leichter. Und das wollen wir ja.
Ein stressfreies Leben.
Wie langweilig