Casablanca

Und wieder geht ein recht langer und interessanter Tag zu Ende. Ich erwachte heute Morgen durch einen unangenehmen, trockenen Husten, der mich schlimmeres Befürchten ließ. So entschied ich, es etwas ruhiger angehen zu lassen und machte mich recht spät gegen halb neun auf den Weg. Ein junger Marokkaner empfahl mir, nach Mohammedia ein sog. „Taxi Bleu“ zu nehmen. Was das war, wusste ich eine Minute später. Ich stellte mich wie andere Einheimische an den Straßenrand und wartete, bis ein uralter, blauer Mercedes neben mir hielt. Dieses setzte sich mit mir und dem Bahnhof als Ziel langsam und ächzend in Bewegung. Wir fuhren nicht sehr schnell, doch hätte ich nicht sagen können, wie schnell genau, denn keines der Instrumente im Cockpit funktionierte mehr. Unterwegs sammelten wir noch zwei weitere Gäste auf, die in unsere Richtung wollten. Die Fahrt zog sich einige Kilometer hin, doch am Ende bezahlte ich wie auch die anderen Beifahrer den für westliche Verhältnisse lächerlichen Betrag von 5 Dirham, also ca. 50 Cent. Ich meine das nicht abwertend, eher war ich überrascht. Taxen gehören, wie ich gelesen habe, zum festen Bestandteil des öffentlichen Nah- manchmal auch Fernverkehrs und sind nur unerheblich teurer als Busse. Noch günstiger als die „Grands Taxis“ sind die „Petits Taxis“, mit denen ich bereits vorgestern Erfahrung gesammelt habe, die allerdings die Stadtgrenze nicht passieren dürfen.
In Mohammedia löste ich ein Bahnticket nach Casablanca, hatte jedoch etwas Pech, denn der einmal die Stunde fahrende Zug hatte den Bahnhof vor 5 Minuten verlassen. Genug Zeit also, um meinen Husten durch Minztee zu besänftigen. Es half wirklich, denn seither ist der Husten verschwunden.
Anscheinend bereitete sich die Bevölkerung auf ein wichtiges Fußballspiel vor, denn der Zug war angefüllt mit feiernden Fans. Es war allerdings nicht so wie in Deutschland, wo man angesichts solcher Horden lieber das Weite sucht. Es herrschte eine friedliche, freudige Stimmung, auch äußerte sich das Feiern nicht, wie bei uns durch laute Gesänge, sondern eher durch Witzeln und Unterhalten. Ich weiß bis jetzt nicht, um welche Mannschaften es sich handelte, nur dass sie grün-weiße Farben haben. Auf dem Bahnhof in Casablanca ging es dann aber gehörig los, jetzt wurden Gesänge angestimmt. Ich setzte mich langsam ab.
Ich hatte einiges über Casablanca gelesen und wusste nicht recht, was mich erwartete. Ich lief erst einmal zum Eingang der Medina, um von dort meinen Weg zur Grand Mosque Hassan II zu suchen. Das Chaos, das herrschte, kannte ich bereits, ebenfalls die „Toots“, die mir alle möglichen und unmöglichen Dienste angeboten hätten, hätte ich sie dazu kommen lassen. Ich schlenderte also durch die engen Gassen und schaute mir die üblichen Produkte, hier anscheinend besonders billige Schuhe und falsche Markenartikel von Uhren bis T-Shirts an, bis ich an den Ort kam, an dem Lebensmittel verkauft wurden. Hier öffnete der Himmel das erste Mal seine Schleusen, und das gewaltig. Dicht gedrängt standen wir alle, Touristen und Einheimische, unter Baldachinen und warteten auf die Sonne, die bald schon wieder schien. Ich wagte es diesmal, über diesen Markt zu gehen und war an eine Szene aus dem Film „Parfüm“ erinnert – am Anfang auf dem Fischmarkt. Zwei Fischhändler boten hier ihre Ware zum Verkauf an, auf simplen Holzbrettern zerteilten sie die Fische, auf dem Boden lagen Köpfe und Gräten. Der Geruch, meine Güte, der Geruch. Ich stolperte weiter, achtete darauf, meine von Sandalen bedeckten Füße nicht all zu schmutzig werden zu lassen. Vorbei ging es an Hühnerkäfigen, da stapelten sich die armen Viecher übereinander, in Erwartung ihres Schicksals. Auch hier roch es fürchterlich, nur anders. Ich weiß nicht, ob ich hier meine Lebensmittel kaufen würde, allein die Erinnerung daran könnte mir den Appetit verderben, obwohl ich weiß, dass unsere Schlachtereibetriebe sicher nicht anders arbeiten. Wieder gingen mir die Worte von Ghandi durch den Kopf, die ich vor einigen Tagen gelesen hatte. Bedürfen nicht gerade die Schwächsten unter den Geschöpfen ganz besonders unseres Schutzes? Ich dachte daran, dass ich mich seit Tagen schon hauptsächlich vegetarisch ernährte, könnte nicht einmal genau sagen, ob durch Zufall oder bewusst. Sicher liegt die Wahrheit in der Mitte, im Moment denke ich gerade wieder darüber nach. Von meinem Wohlbefinden her tut es mir gut, denn alle körperlichen Strapazen der letzten Tage habe ich gut überstanden und kann mich auf eine immer besser werdende Fitness stützen. Ich werde den Gedanken jedenfalls etwas reifen lassen, denn einen echten Verzicht werde ich nicht leichtfertig beschießen.

Casablanca

Den Markt hatte ich irgendwann überstanden, jetzt kam ich in eine Gegend, die etwas außerhalb der Stadtmauern lag und ausgesprochen ärmlich wirkte. Ich hatte von einem Casablanca gelesen, dass das Business Centre Marokkos ist, doch auch viele Gegensätze vereint. Hier war ich auf dem anderen Ende der Skala angelangt, obwohl sicher noch nicht an der Schlimmsten. Denn auch von den vielen Slums hatte ich gelesen, die ich mir an diesem Tage nicht anschaute.
Trotzdem, es gefiel mir nicht besonders gut. Ich war auf dem Weg zu einer der größten Moscheen der Welt, der Moschee Hassan II, die sich fast direkt an dieses Viertel anschließt. Das Minarett sah ich bereits von Weitem, doch wirkte es nicht sehr groß, was vielleicht daran liegt, dass es durchaus robust gebaut ist, sich nicht so streckt wie andere Türme. Dennoch, es ist über 200 Meter hoch, auch die Moschee selbst kann es mit den großen Kathedralen dieser Welt aufnehmen. Leider war heute Sonntag, was ich sehr bedauerte, denn diese Moschee ist eine der wenigen im Lande, die auch von Nicht-Muslimen mit Führungen besucht werden darf. Es sollte nicht sein, das mache ich dann das nächste Mal. Ich schaute mir den prächtigen Bau von außen dafür um so genauer an, wobei ich sagen kann, dass je näher man der Moschee kommt, desto beeindruckender wird sie. Die Tore sind sicher an die zehn Meter hoch, die hellen Steine geben der Moschee etwas Freundliches und Einladendes. Die Verzierungen sind kunstvoll und ich bewunderte sie lange Zeit, sah dabei immer neue Muster. An sich ist die Moschee nicht sehr alt, wurde erst 1993 geweiht. Selbst Marokkaner, die auf dieses grandiose Gebäude sehr stolz sind, sind teilweise skeptisch wegen der hohen Kosten angesichts der vielen sozialen Probleme im Land. Das kann ich zwar verstehen, doch erfreut es mich, ein solches Kunstwerk betrachten zu dürfen. Und auf der anderen Seite stimmt eine solche Rechnung nicht, denn wenn für den Bau besonders die lokale/marokkanische Industrie bemüht wurde, ist es eine Investition ins Land selbst gewesen. Und wer könnte schon diese herrlichen Ornamente in Stein gemeißelt haben außer den arabischen Spezialisten der Umgebung, die dieses traditionelle Handwerk seit Jahrhunderten ausüben? Eines weiß ich, den nächsten Besuch Casablancas werde ich an den Öffnungszeiten der Moschee ausrichten.
Mein Weg führte mich weiter in Richtung Corniche, zu einem Nobelbezirk der Stadt. Hier wartete leider eine Enttäuschung auf mich, denn der Weg führte mich vorbei an zerfallenen, ehemaligen Clubs auf der Seeseite und prächtigen Villen auf der anderen. Ich war bereits weit gelaufen, als der Himmel sich verdunkelte. Das einzige Etablissement, das ich sah, war ein alter Bekannter: McDonalds. Einfach toll, ich wollte es ignorieren, konnte aber nicht, denn es fing heftig zu regnen an. Ich stürzte hinein und bestellte ohne viel nachzudenken einen Cheeseburger. So viel also zur vegetarischen Ernährung, auch mochte ich mich nicht, allein schon für die Tatsache, hier zu sein. Jetzt kann ich die zweifelhafte Errungenschaft vorweisen, in Afrika ein amerikanisches Fastfood-Restaurant besucht zu haben.
Nachdem es aufgehört hatte zu regnen, lief ich noch kurz zum Strand, doch die Gegend mochte mir nicht mehr gefallen, auch weil, wenn ich meinen Blick in die Ferne schweifen ließ, jede Menge Kräne noch mehr Baustellen anzeigten, so dass ich beschloss umzukehren. Ich lief einen anderen Weg, diesmal nicht durch die Medina, sondern verlor mich in den neueren Bezirken der Stadt. Der Verkehr setzte mir zu, auch die Tatsache, dass ich mich bald verlaufen hatte. Ein netter Marokkaner zeigte mir den Weg zurück, denn ich hatte jetzt den Ehrgeiz, die Art Deco Architektur der Stadt zu entdecken. Der Lonely Planet hat eine kleine Tour entworfen, der ich nun folgen wollte. Es dauerte nicht lang, dann hatte ich den Ausgangspunkt, die Cathédrale de Sacré Coeur, eine Kirche aus den 30er Jahren, erreicht. Ich fand sie nach einigem Suchen, war dann auf der richtigen Strecke. Hier versöhnte ich mich mit Casablanca, denn diese Route entlang prächtiger Gebäude, die ich jetzt nicht im Einzelnen erwähnen möchte, machte mir sehr viel Spaß. Der harte und gleichzeitig verschnörkelte Stil der Art Deco gefällt mir bisweilen sehr gut und ich sah auch während meines Spaziergangs so manche Fassade, die zwar nicht aufgeführt, mich aber ebenso beeindruckte wie die, welche der Autor ausgesucht hatte. Es waren einige Hotels dabei, von denen manche im alten Glanz erstrahlen, von einem jedoch ist nur noch die Fassade übrig, die dringende Reparaturen benötigt. Ich habe mir vorgenommen, diese Führung im Internet in eine interaktive Animation zu verwandeln, hier kann ich dann auch näher auf die einzelnen Gebäude eingehen. Ich verbrachte noch eine Stunde in einem Internetcafé, bevor ich mich auf die Rückfahrt machte. Der Zug nach Mohammedia war gerade im Begriff anzufahren, ich und einige Passagiere rannten erfolgreich, immer unter dem Gebrüll des Bahnhofwärters, der sich sicherlich einen Spaß daraus machte, uns ordentlich zu hetzen. Wir schafften es natürlich.
In Mohammedia stellte sich das Bestellen eines Taxis als etwas problematischer heraus. Erst war ich der einzige Passagier, der Fahrer wollte aber nicht nur mit mir allein abfahren. Dann waren wir plötzlich fünf, mit dem Fahrer zusammen sechs, also quetschten wir uns gehörig. Der Wagen setzte sich in Bewegung, ich hatte das Gefühl, dass die Stoßdämpfer eher nicht mehr vorhanden waren und der Fahrer uns so schnell wie möglich loswerden wollte. Sein rasanter Fahrstil ließ mich Schlimmes befürchten. Letztlich kam ich unbeschadet am Campingplatz an, ein schöner und erlebnisreicher Tag findet gerade seinen Ausklang. Zu Casablanca fällt mir noch ein, dass es eher eine Stadt ist, die einem ihre Reize nicht sofort zeigt. Ich kenne das von Städten wie Manchester oder Leicester. Ich bin sicher, dass mir der nächste Besuch besser gefällt und dieser wird ganz sicher folgen.

Jugendstil in Casablanca