Überfahrt nach Dover

Jetzt ist es soweit. Nach vier Jahren kehren Nina und ich zurück nach England (Anmerkung: Wir haben beide hier jahrelang gelebt, Nina vier Jahre, ich sieben). In diesem Moment befinden wir uns auf der Fähre, standardgemäß von Calais nach Dover.
Die Fahrt von Berlin aus begann gestern bereits um 6:30, sogar etwas später als geplant. Sie verlief ohne Zwischenfälle, alle 200 Kilometer legten wir eine Pause ein, so dass wir am Ende ungefähr 14 Stunden unterwegs waren. Garmin lotste uns kurz vor dem Etappenziel noch auf einen unnötigen Umweg, den besonders ich als ärgerlich empfand, denn er verlängerte einen ohnehin schon langen Reisetag um weitere 30 Minuten. Und die zählen nach 14 Stunden im Auto doppelt. Wir gönnten uns einen Campingplatz ungefähr 100 Kilometer von Calais entfernt. Genau das Richtige also, zum wieder Energie zu tanken.

Mich wunderte allerdings meine Teilnahmslosigkeit. Nach vier Jahren würde ich wieder in das Land zurückkehren, das mich geformt und auf den richtige Weg gebracht hat. Und ich fühlte gar nichts. Ich wollte es so sehr, wollte eine Art „Nachhausekommen“ spüren, doch gestern Abend war davon nichts zu merken. Erst jetzt, in den Augenblicken, in denen es real ist, in denen ich das Wasser riechen und die weißen Klippen beinahe schon erahnen kann, ist es soweit. Ich fühle mich frei. Selbst auf meiner langen Reise um das Mittelmeer habe ich nicht dieses grenzenlose Gefühl gehabt, diese Ungebundenheit. Hier brauche ich nicht spielen, brauche nicht ständig Neues zu entdecken, weil ich eigentlich schon fast alles gesehen habe. Ich kann sehen, wozu mir ist, einfach um es nach all den Jahren wiederzuentdecken.

Wir werden uns wie in alten Zeiten dem Naional Trust anschließen, englische Gärten sehen, herrschaftliche Anwesen, die es in dieser Art und Fülle nur in England gibt.
Aber ich greife vor. In Calais haben wir noch ordentlich Lebensmittel eingeladen. Besonders Wein und Kaffee, die mir beide besonders wichtig sind. Dann ging es zur Fähre. Wir waren beide sehr erfreut, dass wir statt um 15 Uhr bereits um 13 Uhr fahren konnten. Selbstverständlich zog uns die britische Grenzkontrolle aus der Schlange, meine langen Haare und der alte Transporter treffen einfach zu sehr das Klischee eines schmuggelnden Hippies. Doch was mir sofort auffiel, war die einfache Höflichkeit der Beamtin. Immer ein Lächeln auf den Lippen, sogar eine Entschuldigung, weil wir zwei Minuten gewartet hatten. Das ist es, was ich so sehr vermisst hatte. Sie nehmen sich einfach nicht so wichtig und leben entsprechend entspannter. Jetzt drifte ich in die Klischees ab. Aber irgendetwas ist ja immer dran.

Auf dem Boot begegneten wir weiteren Engländern, von überall her war das Englisch zu hören, das ich so gut kenne. Die etwas in die Länge gezogenen Vokale in der Mitte von Worten, die dann in einem etwas abrupten Ende ausklingen. An Bord auch die alt bekannten Marken, ein Costa Café, wabbelige Sandwiches und Softdrinks. Letztere habe ich eigentlich nicht vermisst. Aber auch das gehört dazu.
Ich bin gespannt auf unsere Ankunft. Es freut mich jetzt ungemein und Nina hat bereits Tränen in den Augen. Sie hat wie es aussieht eine noch stärkere Bindung.
Wir werden die zwei Wochen hier sicher in Nostalgie schwelgen. Und warum auch nicht.