Florenz

Ich erwachte heute Morgen wie gerädert. Es schien, als hätte ich nicht geschlafen. Wie erschlagen stand ich auf, spät für meine Verhältnisse. Draußen herrschte ein kalter Wind über dem Olivenhain, in dem der Campingplatz untergebracht ist. Vielleicht war das der Grund meiner physischen Schwäche. Erst gegen elf Uhr war ich bereit aufzubrechen. Mein erstes Ziel war eine Bar, in der ich nun auf den viel gerühmten Cappuccino umstieg, keine schlechte Idee übrigens. Danach fühlte ich mich wieder ein wenig menschlicher, so dass ich den nächsten Tag in Florenz beginnen konnte. Ich hatte kein festes Ziel, einfach nur durch die Gassen gehen, mich wieder ein wenig heimisch fühlen, an einem Ort, der zwar eine Zeit meinen Wohnsitz dargestellt hatte, an dem ich mich aber nicht hatte etablieren können. Ich entdeckte viele altbekannte Orte wieder, fand das Kino, das damals einmal die Woche einen Film im englischen Original gezeigt hatte. Heute übrigens auch noch. Ich besuchte den bronzenen Eber am Markt, dessen Schnauze so abgewetzt ist wie der Fuß des Petrus im Petersdom in Rom. Der Markt dahinter bot wieder einmal alles, was das Touristenherz begehrt, Lederwaren, Schreibartikel, Touristenführer. Es war, als hätte sich in den zehn Jahren kaum etwas bewegt. Hat es vielleicht auch nicht.

Ich lief wieder zum Dom, von dort zu St Lorenzo auf den Markt. Im Januar ist es sogar erträglich, kaum Menschen. Vor 17 Jahren, als ich das erste Mal hier gewesen war, musste ich mir zwangsläufig eine Lederjacke kaufen. Heute bin ich in dieser Richtung resistenter, vielleicht auch, weil ich noch eine Lederjacke in Berlin habe, die weit davon entfernt ist, vergangen zu sein, was mit einer Lederjacke geschehen muss, bevor man sie beerdigt. Debenhams sei Dank, denn von dort habe ich sie.
Lederjacken sind männlich, sie gewinnen im Laufe des natürlichen Alterungsprozesses an Charisma. Meine ist gerade erst im mittleren, das heißt besten, Alter.
Ich fand danach den Weg zu Santa Maria Novella, einer Kirche, zu der ich nie eine Beziehung aufgebaut habe. Auch heute nicht, keine Ahnung, warum, aber es ist so.
Danach verlor ich mich in den Gassen der Altstadt, verlief mich, fand altbekannte Ecken und Gassen. Ich schwelgte ein wenig, setzte mich irgendwann in ein Café, um etwas zu surfen und zu schreiben. Da sitze ich immer noch, wundervolle zwei Stunden, in denen ich mich auch dem italienischen Müßiggang des Leutebeobachtens hingab. Es ist Ewigkeiten her, seit ich das das letzte Mal getan habe. Zumindest kommt es mir so vor. Ich habe es vermisst. Sicher ist auch das ein Grund, warum mein Roman nicht die Fortschritte macht, die ich gerne sehen würde. Ich sage mir immer, morgen schreibe ich weiter, aber meist geschieht nichts weiter. Vielleicht heute. Aber ab übermorgen bin ich wieder unterwegs, lange Zeiten auf der Straße, das ist meiner Effizienz immer abträglich. Keine Ahnung, wie ich den ersten Roman beendet habe. Mit dieser Einstellung. Ich werde wieder um meine Disziplin und Motivation kämpfen müssen. Bald. Sehr bald.

Ich lief danach noch eine Weile in den Straßen herum und stellte fest, dass sobald man sich von der Haupttouristenstraße zwischen Dom und Palazzo Vecchio entfernt, in normale Gegenden kommt, und zwar schneller, als ich es in Erinnerung hatte. Das Café, in dem ich zwei Stunden gesessen hatte, berechnete nur 90 Cent für einen Espresso. Der normale Preis in der Hauptstraße liegt bei ca. vier Euro, immer ein sicheres Zeichen dafür, am falschen Ort eine Pause gemacht zu haben. Irgendwann schwenkte ich wieder auf die bekannte Route zurück, lief zur Ponte Vecchio, um mir nochmals die Gegend um Santo Spirito anzusehen. Auch hier findet man noch relativ italienische Ecken, auch wenn der amerikanische Akzent nie ganz verschwindet. Ich erwischte die Kirche geöffnet, erinnerte mich an die Vielzahl von Kapellen, die alle von wichtigen florentinischen Familien ausgestattet wurden. Was heute der Porsche oder der Ferrari ist, war damals eine Kapelle in einer Kirche. Nicht jeder bekam sie, nicht jeder konnte sich eine leisten. Kein Wunder also, dass die Familien die berühmtesten Künstler beschäftigten, um ihre Kapellen zu schmücken. Geholfen hat es nichts, denn unsterblich sind nun die Künstler, die Namen der Familien sind zwar alle bekannt, aber wofür sie standen, wofür sie lebten und kämpften, ist nicht mehr ersichtlich. Zumindest für den Laien.

Auf dem Platz vor Santo Spirito gibt es einige Trattorien und Bars, die alle noch sehr urig aussehen und sich vor allem dadurch auszeichnen, dass die Speisekarten nur auf italienisch sind. Das ist ein gutes Zeichen. Ich kämpfe mit mir, ob ich morgen Abend zum Abschied nochmals eine Pizza essen sollte. Ich habe Lust, aber grause mich davor, allein in einem Restaurant zu sitzen. Das ist nicht schön. Ich werde mich erst morgen entscheiden. In jedem Fall wurde es langsam dunkel und dann kam es zurück. Das Gefühl, wieder in Florenz zu sein. Vor zehn Jahren hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, jeden Tag spazieren zu gehen. Da es wie jetzt auch Herbst/Winter war, wurde es zeitig dunkel, so dass ich selten im Hellen durch die Stadt lief. Ich hatte es fast vergessen, aber das gehört einfach dazu. Florenz ist nachts noch völlig anders. Es ist eine schummrige Stadt, nie ganz hell, an vielen Ecken aber sehr dunkel. Es ist reizvoll. In jedem Fall wäre es ein guter Grund, morgen Abend hineinzulaufen, um ein schönes Restaurant zu suchen. Ich werde sehen.