Fahrt nach Chania
Ich komme immer mehr an.
Schon gestern hatte ich dieses Gefühl, endlich auf dieser Reise einzutreffen. Gedanklich und körperlich. Vielleicht liegt es wirklich an dieser langen, langen Pause von dreieinhalb Jahren. Es beginnt langsam, ein Gefühl von Richtigkeit und Freiheit. Auch werde ich allmählich mit meiner Art zu reisen vertraut, weiß nun wirklich mein Rad zu schätzen. Vielleicht komme ich nicht über Berge hinüber, aber eine kurze Fahrt zum Supermarkt und zurück dauert eben nur noch eine halbe Stunde und ich muss mich darum kaum kümmern, denn es ist nicht tagesfüllend, wie das häufig ohne Rad der Fall war. Ich werde dadurch viel selbständiger, was der Sinn der Sache war. Auch das Anfahren von Campingplätzen, die oft außerhalb der Städte liegen, ist leicht. Ein paar Kilometer sind mit dem Rad schnell überwunden. Mit Bus oder zu Fuß eben nicht, das setzt einerseits Planung, andererseits viel Zeit voraus. Es hat schon Vorteile mit dem Rad, auch wenn es erst einmal gewöhnungsbedürftig ist.
Die letzte Nacht aber war herausfordernd. Es war schlichtweg kalt. Das ist eigenartig, wenn ich an Griechenland denke, dann kommen mir als Erstes die lauen Sommernächte in den Sinn, die bis in den Oktober anhalten. Nächte, in denen ein leichtes Baumwolltuch zum Zudecken reicht. In Heraklion habe ich das erlebt. Die drei Nächte waren wirklich heiß. Aber das ist, seit ich in Rethymno angekommen bin, vorbei. Diese letzte Nacht hier habe ich gefroren, trotz Schlafsack. Irgendwann habe ich mir meine lange Wanderhose angezogen, dann war es besser. Aber befremdlich war das schon. Vielleicht ist das die neue Realität hier. Zu meinem Unglück kam noch hinzu, dass mein deutscher Nachbar, ein Tattergreis von angemessenem Alter, vergessen hatte, seine Festtagsbeleuchtung an seinem Wohnwagen auszuschalten. Es war taghell. Er hat es nachts gemerkt und ausgeschaltet, aber da hatte ich es schon geschafft, einzuschlafen. Lustig, diese Angelegenheit.
Gegen halb/dreiviertel Sechs war die Nacht aber endgültig zu Ende. Und zwar, weil ich entschieden hatte aufzustehen. Wie oft bleibe ich einfach liegen, komme dann meist nicht vor Sieben aus dem Bett. Aber die frühen Tage tun mir gut. Ich habe sogar Yoga machen können, auf der Terrasse der Campingplatz-Taverne. Es war ja niemand da. Am Strand war es zu kühl. Vielleicht habe ich dort morgen mehr Glück.
So kam es dann auch, dass ich relativ früh anfangen konnte zu packen. Ich habe noch keine Routine darin. Erst die Fahrradtaschen. Und zwar mit der Ausrüstung für das Campen, es passt beinahe alles hinein. Zum Schluss dann packe ich alles in die Decathlon-Tasche, die enorm ist. Die ist natürlich in diesem Zustand viel zu groß. Aber so ist es nun einmal. Sobald ich anfange, sie auf das Rad zu schnallen und mit den Gurten festzurre, drückt sie sich zusammen.
Kurz vor acht fuhr ich los. Zu dieser Zeit schlief der Campingplatz in großen Teilen noch. Mir war es recht. Ich glaube kaum, dass ich noch einmal herfahre. Ich hatte den Eindruck, die Gegend erst einmal abgeklappert zu haben.
Die Fahrt zum Busbahnhof verlief ruhig. Ich kannte den Weg gut, erreichte 20 Minuten später mein Ziel. Es ist einfach, selbst in Coronazeiten, Tickets zu bekommen. Ich hatte mir darüber vor der Reise oft Gedanken gemacht. Aber das ist alles keine Schwierigkeit. Nur die Angestellten von Ktel, der Bus-Company, sind unfreundlich und ich spüre, dass ich die meisten einfach nerve. Dabei ist es doch ihr Job, Tickets zu verkaufen. Was hindert Menschen daran, das mit etwas mehr Freude zu tun? Schlechte Laune hört sicher nicht auf, wenn der Arbeitstag vorbei ist. Aber das muss jeder selber wissen.
Ich musste 40 Minuten auf den Bus warten, kein Problem, ich hatte Zeit. Es würde nur eine kurze Bustour von 60 bis 70 Kilometer werden. Der Bus war ein paar Minuten zu spät. Dieses Mal funktionierte der Transport des Rades schon besser. Ich wartete einfach, bis alle anderen fertig waren, dann half mir der Busfahrer, alles zu verladen.
Kreta ist eine schöne Insel, das merkte ich definitiv auf dieser Busfahrt. Links von mir türmten sich eindrucksvolle Berge auf, rechts bewegte sich sanft das Meer, das sich wieder beruhigt hatte. Ich kam vorbei an schroffen Felsen und glatten Sandstränden, unterbrochen manchmal von einer Insel aus Sonnenschirmen, die meist zu Ressorts gehören. Sonst ist ja da kaum etwas zwischen Rethymno und Chania, mein heutiges Ziel. Kurz vor Chania passierten wir Souda, den Hafen der Stadt. Dort entdeckte ich alte Bekannte. Eine Blue Star Ferry und eine Minoan. Auf der Blue Star prangte die Leuchtinfo: Piraeus. Ich war hocherfreut. Tatsächlich ist es bislang an mir vorbeigegangen, dass ich auch von hier aus in fast drei Wochen zurückfahren kann. Auf diese Weise kann ich Heraklion meiden, das ich als etwas hässlich und unwirtlich empfinde. Sehr schön.
Auf dem Busbahnhof von Chania angekommen, packte ich das Rad erneut. Es geht immer besser und schneller. Ich bekomme den Dreh heraus. Dann die Fahrt zum Campingplatz. Es war etwas anstrengend, denn einige Hügel lagen auf meinem Weg. Aber dieses Mal trat ich durch, musste nicht schieben.
Als ich ankam, wurde ich schon beinahe herzlich begrüßt. Vielleicht komme ich langsam in die Hippie-Gegend. Freundlichkeit schadet jedenfalls nie.
Nach einem kurzen Aufenthalt auf dem Platz, bei dem ich alles Wesentliche organisiert hatte, zum Beispiel einen Tisch und einen Stuhl, machte ich mich wieder auf den Weg. Ich stellte fest, dass ich etwas Muskelkater habe. Kein Wunder nach der Wanderung gestern und den Radtouren, die, wenn nicht weit, so doch für mich ziemlich intensiv waren. Gegen Eins war ich in der Altstadt und begann eine kleine Erkundungstour.
Ich habe kaum etwas gelesen, wollte Chania einfach auf meine Art und in meinem Tempo erkunden. Zumindest heute. Es begann schon sehr vielversprechend. Durch enge Gassen hindurch erreichte ich fast sofort den venezianischen Hafen. Herrlich. Vielleicht noch nicht Nebensaison genug, aber so ist das jetzt eben. Was mir sofort ins Auge stach, waren die Farben. Natürlich sind die Eingrenzungsmauern des Hafens sehenswert, in hellem Sandstein, und das blaue Meer. Aber was ich meine, sind die farbenfrohen Häuser. Fast erinnerten sie mich an italienische Städte. Es ist für mich der ultimative mediterrane Stil, der noch über dem der Kykladen steht, der simpler ist. Hier setzte ich mich auf eine Bank am Wasser, abseits der Restaurants und ihrer Touts, die so ziemlich jeden ansprechen. Ich hasse das. Aber ich bleibe immer freundlich, lehne lächelnd ab, in dem ich mich bedanke. Eine Art, die ich in Marokko gelernt habe, die dort aber an ihre Grenzen stieß. Hier geht es.
Ich ließ mich danach einfach treiben, durch die Gassen und Straßen. Die Reste der byzantinischen Mauern beeindruckten mich, der große Platz vor der Kathedrale ebenfalls. Sicher ist das Meiste in der Stadt venezianisch, auch wenn das kleine Badehaus am Hafen osmanisch ist. Jetzt sitze ich in einem hippen Café, das hier exquisiten Kaffee kredenzt. Ich fühle mich sehr an Berlin erinnert. Warum auch nicht? Hipster kommen auch hier an, so neu ist diese Bewegung ja nicht. Ich werde noch etwas durch die Stadt flanieren, dann hier ein für allemal ankommen. Und noch Einkaufen, denn morgen ist Sonntag. Das darf ich dieses Mal nicht vergessen.
Jedenfalls ist der Campingplatz hier leerer als in Rethymno. Das erleichtert mich.
Morgen werde ich etwas über Chania lesen, bevor ich herkomme. Und dann mal sehen, worauf ich Lust habe.