Fahrt nach Izmir

Ich habe es geschafft. Noch vor sieben Uhr morgens war ich wach, um acht abfahrbereit. Ich zögerte keine Sekunde mehr, sondern verabschiedete mich aus dem Süden der Türkei.
Erst nachdem ich Kas verlassen hatte, verstand ich wirklich, dass ich mich auch vom Sommer verabschiedet hatte. War es das, was mich die ganze Zeit gebunden hatte? Wahrscheinlich. Einen anderen Grund kann ich mir nicht erklären. Während der Fahrt sah ich die Sonne langsam aufsteigen, spürte, wie sie noch einmal intensiv Wärme spendete. Beinahe wehmütig dachte ich an die vielen Wochen zurück, die ich nun hier gewesen war. Ich vermisste nicht nur die Orte, sondern auch die Jahreszeit, von der ich wohl niemals genug bekommen kann.

Bis Fetiye kannte ich die Strecke noch nicht, danach wandelte ich auf alten Wegen. Dabei begann ich mich immer besser zu fühlen, befreiter, denn auch wenn ich den Sommer hinter mir ließ, fing auch er an, mich loszulassen. Nichts darf ewig dauern und vielleicht habe ich aus Bequemlichkeit schon viel zu lange gezögert. Natürlich war mein Herz auch an den Bereich um Antalya gefesselt, wo ich so wundervolle Tage mit Nina verbracht hatte. Aber spätestens ab Fetiye ließ ich auch diesen Teil der Türkei hinter mir. Ich fuhr und fuhr, kam wesentlich schneller voran, als ich gedacht hatte. Kurz vor Mugla dann änderte sich alles. Binnen weniger Kilometer stieg ich auf ungefähr 600 Höhenmeter hinauf. Auf der Hochebene um diese Stadt herum war es dann wirklich bereits Herbst. Das wird sich auch nicht mehr ändern. Ohne viele Pausen setzte ich den Weg fort, fuhr unablässig. Nur einen Tankstopp und einen kurzen Lunch ließ ich zu.
Dann kam ich wieder in Bekannte Gefilde. Ephesus, Selcuk. Ich entschied mich für die Strecke um die Bucht von Ephesus, vermied somit die Fahrt durch Izmir. Mittlerweile war ich bereits acht Stunden unterwegs, hatte beinahe 500 Kilometer zurückgelegt. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so weit am Stück gefahren bin. Ich glaube, in Marokko. In jedem Fall strengte mich diese Gewalttour unheimlich an. Doch ich hielt durch, kurz vor Sonnenuntergang um fünf erreichte ich den bekannten Campingplatz bei Izmir, wo ich vor beinahe sechs Wochen bereits gewesen bin. Als ich ausstieg, um mich anzumelden, wehte ein frischer Wind. Mittlerweile sitze ich im Camper, habe Socken an, das erste Mal seit vielen Wochen. Langsam verstehe ich, dass die Sandalenzeit wahrscheinlich ebenfalls für eine Weile beendet ist.

Als ich vor vielen Wochen das erste Mal hier war, dachte ich schon, dass ich mich sehr weit in der Türkei befinden würde. Jetzt bin ich schlauer. Vor fünf Tagen war ich abgefahren, 1100 Kilometer entfernt, auch von dort war ich noch weit entfernt von der syrischen Grenze. In Izmir selbst muss ich ebenfalls noch 500 Kilometer nach Griechenland fahren. Die Türkei ist gewaltig, größer, als ich sie mir vorgestellt habe. Auch gibt es so viel zu sehen. Morgens bin ich an all den Ausgrabungsstätten vorbei gefahren, habe alle ignoriert. Sie werden auf mich warten, wenn ich wieder aufgeschlossener für Trümmertouren bin.

Heute gibt es nicht mehr viel zu tun. Da ich es jetzt geschafft habe, mich loszureißen, brauche ich nicht mehr jammern. Das macht man nur vor einer Entscheidung. Jetzt bin ich hier, wieder im Norden. Es ist nun einmal so. Und bevor mir das hess’sche Erschlaffen droht, werde ich mich bewegen. Morgen aber steht erst einmal ein Tag Pause auf dem Programm. Ich hoffe inständig, dass „Harry Potter“ hier bereits angelaufen ist. Und ganz sicher werde ich meine letzten Lira auf den Kopf hauen.
Somit hat meine Rückfahrt begonnen. Ich werde sie auskosten. Monatelang.