Bihac

Schon am letzten Abend fragte ich mich, ob jemand in der Gegend ein Feuerwerk abbrannte. Im Grunde war das auch so, denn die Natur ist ja auch ein „Jemand“. Das Gewitter kam dann mitten in der Nacht, der Regen peitschte aufs Dach, das Donnern erklang diesmal eher wie an lang gezogenes Brummen. Es sind Nächte wie diese, in denen ich wieder einmal meine Mit-Camper in ihren Zelten nicht beneide, denn was hier vom Himmel fiel, war nicht nur eine kleine Husche, die ein mittelmäßiges Zelt locker wegsteckt, sondern ein Unwetter, dass schon manchem Markengehäuse aus Leinen den Garaus gemacht haben könnte. So geschehen auch mit einem Dessauer, mit dem ich mich ein angefreundet hatte. Sein teures Coleman-Zelt hat den Geist aufgegeben, ein Gestänge war gebrochen, somit die ganze Konstruktion instabil.

Nach nur fünf Tagen verließ ich heute Kroatien. Der Abzweig nach Bosnien wurde von niemandem benutzt, alle fuhren weiter Richtung Küste. Auch ich war für einen Moment versucht, dachte aber daran, dass es bis Split nicht einen Ort von Interesse in Kroatien gibt, den ich noch nicht kenne. Also bog ich ab, fuhr auf einsamen Wegen Richtung Grenze. Unterwegs regnete es weiter. In einem dieser Momente fiel mir ein, dass ich nicht einmal nachgesehen hatte, was man für die Einreise nach Bosnien benötigt. In meiner grünen Versicherungskarte war zum Glück der entsprechende Länderhinweis nicht durchgestrichen, also durfte ich einreisen. Am Ende interessiert so etwas niemanden. Am kroatischen Stützpunkt fiel dem sehr jungen Grenzbeamten mein kleiner Kräutergarten auf, der sich auf dem Beifahrersitz befindet und dort prächtig gedeiht.
„Was’n das?“
Kräuter zum Kochen. Ich rieb kurz am Basilikum, das Aroma verteilte sich sofort im ganzen Auto. Bemerkenswerte Pflanze, ich wüsste gar nicht, was ich ohne sie tun würde, denn kein Salat ist auch nur annähernd vollständig, wenn nicht mindestens ein paar Blätter frischer Basilikum mit dabei sind. Die Wintermonate sind schlimm, wenn es keinen gibt, das Frühjahr wird deshalb immer wieder zu einem grünen Fest, zumindest was den Tomatensalat angeht.
Ich kam jedenfalls gut durch die Grenze, befand mich also im touristischen Niemandsland.
Nach nur wenigen Kilometern eröffnete sich mir ein Anblick, den ich seit Marokko nicht mehr gesehen hatte: Ein stolzes Minarett reckte sich vor mir in den Himmel und erinnerte mich daran, dass ich mich wieder in einem Land befand, in dem sehr viele Muslime leben. Ich fühlte mich sehr wohl dabei.

In der ersten nennenswerten Stadt machte ich Halt, in Bihac befindet sich ein Campingplatz, der sogar im ADAC-Führer erwähnt wird. Es war eine eigenartige Erfahrung, mitten in der Hauptsaison, während die Mittelmeerküsten gerammelt voll sind mit lebenshungrigen Touris, war ich hier, auf einem Feld, das sicher insgesamt 200 Parzellen hat, der einzige Gast. Jetzt, es ist bereits nach 19 Uhr, hat sich daran übrigens nichts geändert. Ich weiß nicht, ob ich so etwas auf der Fahrt schon einmal erlebt habe, selbst in Frankreich im April oder Marokko war ich nie allein.

Ich wartete erst die Regenschauer ab, die sich leider den ganzen Tag lang immer wieder die Ehre gaben. Irgendwann hatte ich genug und schnallte das Rad ab, um ins Zentrum zu fahren. Ich erwartete nicht viel, schon aus dem Grund, weil ich mir vorstellen konnte, dass diese Region nicht gerade von den kulturellen Schätzen geküsst sein würde. Also konnte ich ganz in Ruhe abwarten und sehen, was mich erwartete. Das Rad stellte ich ab, bevor ich das Zentrum erreicht hatte, einfach um nichts zu verpassen, denn es ist immer besser, sich einem Ziel langsam und mit geöffneten Sinnen zu nähern. Ich lief über eine Fußgängerbrücke auf eine Insel, von dort über eine weitere Brücke in die Innenstadt. Schon von Weitem sah ich einen beachtlichen Kirchturm. Den erkundete ich allerdings nicht sofort, weil ich mir dachte, dass er sicher einen der wenigen Höhepunkte darstellte. Ich lief vorher ein wenig durch die Stadt. Ich muss gestehen, auch wenn sie nicht vor Schönheit glänzt, fühlte ich mich wohl. Die Menschen saßen in den Cafés, beäugten mich, wahrscheinlich den einzigen westeuropäischen Gast seit Langem, doch es war eine rundum angenehme Atmosphäre. Ich traf hier etwas von der Freundlichkeit, die mir in Marokko ebenfalls häufig entgegen gelächelt hatte, ohne allerdings die bisweilen aufdringliche Art.
Es dauerte nicht lange, dann hatte ich das kompakte Zentrum in ganzer Länge durchschritten. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mir die Kirche anzusehen, deren Turm ich von Weitem gesehen hatte. Ich stellte dabei fest, dass es sich nicht mehr um eine Kirche handelte, sondern eine Ruine. Nur noch der prächtige Glockenturm stand und der Eingang. Leider roch es dort so entsetzlich nach Urin, dass ich mir die Ruine nicht näher angesehen habe.

Direkt daneben steht ein wuchtiger, mittelalterlicher Turm mit mehreren Etagen. Dort ist das Stadtmuseum untergebracht. Hier erzählte mir der Museumsführer, ein sehr freundlicher Bosnier in meinem Alter, dass die Währung in Bosnien der deutschen Mark entspricht, auch aus diesem Grund würden hier Euro und Mark sehr gerne vermischt, was ich später beim Einkaufen feststellte. Eine lustige Geschichte, denn der Liter Diesel kostet somit zwei Mark, also nicht nur in einer Hinsicht ein Relikt der Vergangenheit. Das Museum selbst ist einfach gehalten, ab und zu gab es eine englische Übersetzung. Hauptsächlich Funde aus der Bronze – und Eisenzeit sind ausgestellt, in den höheren Etagen sind antike Karten von der Stadt, die einmal sehr stark befestigt gewesen sein muss, denn alle Karten haben militärischen Charakter und dienten der Koordination von Belagerungen. Leider ist der Turm der einzige Beweis, dass hier einmal eine mächtige Stadt stand, von der heute nichts mehr übrig ist.

Danach ging ich in Richtung einer weiteren Kirche, die als Moschee benutzt wird. Es ist immer eigenartig, ein christliches Bauwerk mit Minarett zu sehen. Hier, direkt hinter der Kirche, sah ich allerdings Zeitzeugen anderer Art, die ich viel beeindruckender fand. Die Wände des (sehr hässlichen) Wohnbaus dahinter waren mit Einschusslöchern bepflastert. Ich kenne das aus Berlin, wo man selbst Jahrzehnte nach dem II. Weltkrieg noch die Löcher in den Bauten sehen konnte, die durch Schüsse verursacht wurden.
Hier in Bihac wurde ich wie auch in den vergangenen Tagen daran erinnert, wie nah doch Krieg und Frieden zusammen liegen können. Und wie glücklich wir in West-Europa sein können, dass wir in einer Zeit wie dieser leben. Wahrscheinlich vergessen wir das viel zu oft.

Nach dieser mich sehr bewegenden Erfahrung setzte ich mich in eines der vielen Straßencafés und schrieb an meiner Geschichte. Freies Wifi verhinderte dabei eine rasche Session, aber ich biss mich durch. Die Leute hier kamen ab und zu an meinen Tisch und unterhielten sich ein wenig. Touristen sind hier wirklich rar, etwas, das ich nicht verstehe, denn die Leute sind beinahe schon enthusiastisch, Fremde zu treffen. Das ist eigentlich die beste Voraussetzung für gelungenen Tourismus, aber vielleicht kommt der noch.
Es war jedenfalls ein wundervoller Tag, morgen geht es weiter Richtung Süd-Osten. Ich bin gespannt, was mich weiter erwartet.