Lucignano
Die Fähre kam gestern recht pünktlich an. Gegen 16 Uhr italienischer Zeit wurden wir alle in die einbrechende Dunkelheit und den Nebel Anconas entlassen. In dieser Suppe suchte ich mir den Weg, bzw. überließ Garmin diese Aufgabe. So schlecht wie an diesem Tag hatte ich mich lange nicht vorbereitet, so folgte, was folgen musste, ein gut gemeinter Versuch meines Navis gegen Ende der Fahrt führte mich über einen hohen Pass. Die Straße war glatt und voller Laub, dazu eng, der Nebel so dicht, dass ich oft nur wenige Meter sehen konnte. Ich brauchte für diese Strecke von 20 Kilometern gut 40 Minuten und war am Ende so fertig, dass ich die Nachricht auf dem Campingplatz in Arezzo, dass es kein warmes Wasser gebe, widerspruchlos und ohne Feilschen hinnahm.
Die Nacht wurde kalt, doch eigentlich machte es mir nicht viel. Als ich aufwachte, wusste ich, dass ich in Italien war. Wie bereits vor fünf Monaten hatte ich das Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Selbst der eisige Regen und die grauen Wolken konnten an dieser Tatsache nichts ändern. Wieder einmal änderte ich einen Entschluss. Bei Florenz sollte sich ein Campingplatz befinden, der sich allerdings in großer Höhe befindet. Da ich gestern bereits an Schneeresten vorbeigefahren war, entschied ich, meine alte Liebe noch nicht zu besuchen. Sie hat neun Jahre auf meine Wiederkehr gewartet, nun kann sie sich noch ein wenig gedulden. Stattdessen fuhr ich nach Siena. Diesen Tag allerdings wollte ich einigen dringenden Anschaffungen widmen, zum Beispiel hatte ich beschlossen, einen Heizlüfter zu kaufen. Zumindest um in den Morgenstunden nicht Eisfüße zu bekommen, die dann stundenlang nicht mehr warm werden. Auf der Fahrt kam ich an einem Ort vorbei, Lucignano, den ich noch nicht kannte. Kurzerhand suchte ich einen Parkplatz und schaute ihn mir an.
Es ist eines dieser typischen toskanischen Städte, mittelalterlich, charmant, malerisch, allerdings ohne von den Massen entdeckt zu sein. Die Straßen winden sich um einen kleinen Hügel, der natürlich mit Kirchen besetzt ist, so wie es sich hier gehört. Ich muss gestehen, dass ich schwelgte. Ich liebe es einfach, könnte immer wieder durch diese Straßen schlendern. Dabei fiel mir ein, dass ich etwas vergessen hatte. Wie konnte ich nur. Eigentlich feiere ich meine Ankunft in Italien immer mit einem Cappuccino. Da der gestrige Tag nicht zählt, da ich ihn mit Fahren verbracht habe, war es jetzt also höchste Zeit. In einer urigen Bar machte ich es wie die Italiener, blieb an der Bar stehen, bestellte und bekam diesen wunderbaren Kaffee. Neben mir unterhielten sich einige Italiener, jung und alt. Ich verstand nicht, mir fiel aber wieder ein, dass ich jahrelang versucht habe, diese Sprache zu lernen. Mit meiner Entscheidung vor neun Jahren, nicht hierher zu ziehen, hatte ich es aufgegeben. Ich bereue es heute bitterlich. Wie konnte ich es vergessen? Ich fühle mich hier so heimisch, wieso spreche ich die Sprache nicht? Die wenigen Worte, die ich kannte, blieben mir heute im Halse stecken, was mich nicht besonders beunruhigt. Mein Gehirn braucht immer einige Tage, bevor es sich wieder an den fremden Klang gewöhnt. Es wird schon wiederkehren. Ich weiß, dass ich schon viel versprochen habe, mir viel zu oft Dinge vornehme, die ich dann sowieso lasse. Aber italienisch möchte ich schon lernen. Genauso sehr wie eines Tages hier wohnen. Vielleicht als semi-erfolgreicher Schriftsteller, der sich zumindest von seiner Arbeit ernähren kann. Es ist nach wie vor ein Traum, den ich nicht vergessen habe. Durch diese Reise bekommt er neue Nahrung.
So plätscherte die Zeit dahin, ich genoss es, bis ich wieder aufbrach. Die Fahrt nach Siena dauerte nicht sehr lang, natürlich verfuhr ich mich trotz Garmin, das eine helle Freude daran zu finden scheint, mich entweder auf unwegsame Straßen zu lotsen oder aber in Städte, in die nur ausgesuchte Fahrzeuge hinein dürfen. In Siena war das so, also nahm ich einen gehörigen Umweg in Kauf, musste mir danach das Gejaule Garmins anhören, das mir alle zehn Sekunden mitteilte „Bitte wenden“.
Das Einkaufen geriet zu einem Fest. In Griechenland und der Türkei spielt das Essen nur eine untergeordnete Rolle. Das ist hier anders. Selbst Discounter sind reichlich bestückt, die großen Ketten sowieso. Zur Feier des Tages gönnte ich mir eine Korbflasche Chianti, so ziemlich mein ultimatives Lebensgefühl. Dazu Rucola-Salat, Mozzarella und Schweinesteak samt Risotto. Auch habe ich entschieden, mein Budget ein wenig anzuheben. Statt 32 Euro am Tag habe ich nun 40, was ganz sicher zum größten Teil von den Campingplatzgebühren aufgefressen wird. Aber sei es drum.
Auch den Heizlüfter bekam ich nach einigem Suchen. Die letzte Stunde mit Tageslicht nutze ich zur Suche des Campingplatzes, der allen Ernstes geöffnet hat. Ich konnte sogar warm duschen, was allerdings bei Außentemperaturen von um die zehn Grad und ungeheizten Anlagen kein Vergnügen war. Allerdings merke ich, dass ich mich an Extreme gewöhne. Heute Morgen zum Beispiel zeigte das Thermometer acht Grad an. Ich stand auf, doch trotz der Kälte schien es mir nicht schwierig. Ich frühstückte sogar, saß mit meinem Kaffee in der Hand eine Weile auf dem Stuhl im Camper und es machte mir nichts aus. Sicher kann man sich an so etwas gewöhnen. Zumindest zum Teil.
Als ich mich dann doch noch in Casciano aufmachen wollte, um den Tag abzurunden, begann es heftig zu regnen. Ich zog mich also rasch wieder in die Wärme zurück. Der neu erstandene Heißlüfter macht mir den Aufenthalt gerade sehr angenehm, zumal der Ort sicher genauso hoch liegt wie der Campingplatz bei Florenz. Aber so ist es nun mal.
Ich werde morgen Siena besichtigen. Hier war ich ebenfalls seit neun Jahren nicht mehr, es wird also sicher ein freudiges Wiedersehen. Ich breche damit auch mit dem Vorsatz, nichts zu besuchen, was ich schon kenne. Aber das ist mir egal, denn es ist an der Zeit, meine eigenen Regeln zu brechen. Sonst macht es doch keinen Spaß.
Es kommt nun aber doch ab und zu vor, dass ich an die Zeit in der Türkei denke. Nicht so sehr an die Orte, aber die angenehmen Temperaturen. Heute Nacht werden es hier um die zwei Grad. Das ist kalt. Finde ich. Aber ich habe das so entschieden. Und werde jetzt damit leben.