Novo Mestro

Es ist ein Tag, an dem ich über geschickte Bilder nachdachte. Ist es nicht unser aller Metier, auf die eine oder andere Weise die Realität um uns darzustellen? Und in dem wir das tun, sie zwangläufig bei jedem Versuch zu verfälschen, weil wir immer nur unsere eigene, völlig beschränkte Sichtweise auf Dinge wiedergeben können. Manchmal natürlich setzen geschickte Marketiere und PR-Verdreher diese Taktik sehr bewusst ein, in dem Fall verbreiten sie aber auch bewusst Unwahrheiten.
So weit will ich natürlich heute mit meinem Erlebnis nicht gehen, aber ein bisschen gefoppt fühle ich mich schon.

Ich erwachte zu dem seit zwei Tagen bekannten Geräusch des Trommelns. Die Tropfen auf dem Dach machen dabei immer ein etwas anderes Geräusch, heute war es eher schnell und flach, während beim Unwetter vor zwei Tagen, durch das Blätterdach darüber aufgefangen und intensiviert, das Trommeln eher wie Paukenschläge klang. Ich war schon morgens deprimiert, hatte ich mich eigentlich auf eine schöne Radtour entlang des Flusses gefreut, um dann Novo Mesto zu besichtigen. Aber noch ein winziger Umstand machte mir zu schaffen. Zwar waren meine Rückenschmerzen deutlich geringer, dafür hatte ich einen Hexenschuss. Eine interessante Geschichte, lustig vor allem, wenn man sich das Bild vorstellt, das ich beim Aufstehen abgegeben haben musste. Mühsam zog ich mich hoch, stützte mich dabei auf die Kommode, von der ich jeden Moment vermutete, dass sie nachgeben würde. Aber sie hielt, so dass ich die halbe Strecke geschafft hatte. Ich saß zumindest. Das Robben zur Bettkante war kein geringerer Akt, langsam schob ich mich vor, machte dabei Geräusche wie ein Jungfrau beim…na, ist klar, oder? Irgendwann war ich am Bettrand angelangt, ein kurzer Ruck, ein Schrei, aber ich stand. Damit war viel gewonnen, denn Hexenschüsse lassen erfahrungsgemäß durch Bewegung nach. Heute war es nicht so leicht, den ganzen Tag musste ich mich damit herumplagen.

Durch den Regen hatte ich es nicht besonders eilig, doch die Tatsache, einen weiteren Tag durch Untätigkeit zu verlieren, behagte mir gar nicht. Ein frischer Cappuccino hilft da oft Wunder, er gibt mir den Koffein-Schuss, den ich oft brauche, um von Null auf Hundert zu kommen. Es sah alles schon wieder etwas besser aus, der Regen hatte nachgelassen, fünf Minuten später sogar aufgehört.
Natürlich traute ich der Angelegenheit nicht, also ließ ich mir noch etwas Zeit mit dem Aufstehen.
Irgendwann musste ich jedoch eine Entscheidung treffen. Fahrrad oder Auto, das war die Frage. Ich wählte am Ende das Fahrrad. Zur Überraschung aller anderen Campinggäste schnallte ich das Gefährt ab, erntete ungläubige und bemitleidende Blicke. Mir ist so etwas immer egal. Ich redete mir ein, dass ich sogar die Sonne schon ein bisschen spüren könnte, durch die dicke Wolckendecke natürlich. Familie Schwan begrüßte mich, natürlich in Erwartung einer Mahlzeit, aber auf Füttern hatte ich heute keine Lust.
Mit Regenjacke im Gepäck, die im Zweifelsfall nur wenig helfen würde, mir aber ein besseres Gefühl gab, machte ich mich auf in die Stadt. Es war letztlich eine Fahrt auf einer recht befahrenen Landstraße, also eine nicht ungefährliche Angelegenheit, auch weil ich so einigen Schlaglöchern ausweichen musste, die mit Regenwasser gefüllt manchmal sehr schlecht zu sehen waren. Im Grunde ist es eine Seltenheit, denn die Straßen bislang waren einwandfrei geleckt. Kein Wunder, bei der Vignetten-Abzocke hier. Wenigstens liefern sie.

Als ich in der Stadt ankam, musste ich mich erst durch eine ziemlich dicke Speckschicht aus hässlichen Industrieanlangen hindurch kämpfen. Das beeindruckt mich selten, denn oft ist dann das Zentrum um so schöner. Und in Städten zählt der Spruch: „Der erste Eindruck zählt.“ oft überhaupt nicht. Man stelle sich Paris vor, mit seinen Satellitenstädten voller Armut, da müsste jeder Reisende umkehren, bevor er auch nur den Eiffelturm aus der Ferne sieht. Oder Berlin. Die Besucher müssen durch Brandenburg. Aber lassen wir das, sonst verderbe ich anderen noch die Lust am Reisen.
Bei Novo Mesto merkte ich kaum, dass ich angekommen war. Ich stand jedenfalls irgendwann auf einem breiten Platz, das musste es sein. Kaum hatte ich mein Fahrrad angekettet, begann es leicht zu nieseln. Eigentlich kam mir das wie gerufen, denn die Fahrt war etwas anstrengend gewesen, schon weil sich der Hexenschuss partout nicht abmelden wollte.
Das Schöne an Slowenien ist, dass es wie alle anderen Mittelmeerländer – ja, die wenigen Kilometer Küstenstreifen zählen vollwertig, daher ist Slowenien Mittelmeerland – eine entspannte Outdoor-Caféhauskultur gibt. Ich saß unter einem Schirm, der alles abhielt, Regen oder Sonne einerlei. Und sie gehen mit ihren Wifi-Anschlüssen sehr freizügig um. Davon wiederum können andere lernen. Also chattete ich bei einem Event-Cappuccino – er war aromatisiert – und verfolgte das Cricketspiel England gegen Pakistan. Zu meiner Freude scheinen die Engländer endlich ein Team zu haben, das so gut ist, dass es allen anderen locker Paroli bieten kann. Es lässt mich für die Ashes-Tour im Winter hoffen.
Nach einiger Zeit hatte sich da Wetter beruhigt, die Sonne strahlte zwar noch nicht, aber ab und zu sah ich blaue Streifen am Himmel.
Also konnte ich endlich die Stadt erkunden. Womit wir beim Thema sind, denn so toll fand ich sie nicht. Ein Foto im Baedecker hatte mich verführt, es sah interessant genug aus, um nach Novo Mesto zu fahren. Ich fand auch den Ort, wo es aufgenommen worden war, auf der Brücke zum Zentrum sah der Ort wirklich malerisch aus. Doch leider hielt die Stadt nicht, was das Foto versprochen hatte. Ich lief umher, suchte nach der malerischen Altstadt, die aber einfach so nicht existiert. Also setzte ich mich wieder ins Café und tat das, was hier alle anderen auch tun: Kaffee trinken. Oder aber, wenn sie kein Geld haben, trinken sie am Straßenrand etwas anderes. Es waren noch recht junge Leute, sicher jünger als ich, sahen aber nicht besonders gesund aus. Kein Wunder, die Flaschen, die sie in der Hand hielten, waren sicher nicht mit Orangensaft befüllt und auch nicht mit teuren Spirituosen. Selbstgebranntes, wenn nicht gar Spiritus. Wir kommen eben immer näher an Russland heran. Schön, dass wieder einmal meine Vorurteile greifen.

Auf diese Weise jedenfalls verbrachte ich mehrere Stunden in Novo Mesto, ging sogar noch in eine Kirche. Schon am Eingang blieb ich verdutzt stehen. Es roch wie bei meiner Urgroßmutter früher, die in einer winzigen Weddinger Einzimmer-Wohnung lebte. Eintopf, es roch nach Eintopf, dazu nach Rauch vom Feuer und scharfen Putzmitteln.
Ich ging weit zurück in meine Vergangenheit, wie viele Jahre hatte ich schon nicht mehr an diese Bilder gedacht, die düstere Bude, meine 90-Jährige Urgroßmutter. Sicher typisch, dass dieser Ort hier mich daran erinnerte, denn meine Vorfahren mütterlicherseits kommen aus dem Osten. Es war die stärkste Erfahrung heute.
Gegen Nachmittag radelte ich wieder zurück, begegnete auf der Holzbrücke zum Campingplatz einer Hochzeitsgesellschaft. Aber von wegen, statt des melodischen Slowenischen hörte ich den abgehakten englischen Akzent. Auch eine Art, sich zu verheiraten, einfach mal nach Slowenien fahren. Diese Londoner verdienen zu viel.
Am Ende genoss ich die Wiederkehr des schönen Wetters, der Fluss Krka ist wirklich die echte Sehenswürdigkeit hier. Aber das trifft auf die meisten Orte in Slowenien zu, die Natur ist atemberaubend.
Alles andere sind Trugbilder, günstig geschossene Fotos von geschickten Marketieren.
Vielleicht kann ich von ihnen lernen?