Valencia

Ein ereignisreicher, wenn auch schriftstellerisch etwas schmalspuriger Tag geht zu Ende. Dabei begann er wieder mit einer erfolgreichen Schreibsession, allerdings der einzigen für meine gotische Novelle. Noch vor 11 Uhr machte ich mich auf den Weg, der, wenn man ihn kennt, immer kürzer scheint. Schon bald sah ich die Cita de las Artes vor mir. Jetzt fiel mir auch auf, dass der Palau de las Artes wie eine Webcam aussieht. Von wegen Pistazie, man muss nur genau hinsehen. Etwas anderes fiel mir ebenfalls auf, der Stahl rostet bereits und gibt dem Fliesenmosaik außen die allseits übliche hässliche rotbraune Färbung. Dabei ist das Gebäude nagelneu, wie es wohl erst in einigen Jahren aussehen wird….

Ich begann meinen Besuch in dem Museo de las Artes, im Grunde der Gemäldegalerie. Das war besser, mein Sinn für Bilder ist noch nicht ganz abhandengekommen. Es ist ein schönes Museum, hell und hoch, so dass die Luft nicht abgestanden ist wie so häufig in Museen. Besonders im unteren Teil befinden sich meist kirchliche Gemälde, von denen ich im Moment genug habe, um ehrlich zu sein. Es sind im Grunde immer die selben Motive. Ein mittelalterliches Werk fiel mir dennoch auf. Es zeigte die „Jungfrau“ Marie, wie sie Jesus die Brust gab. Aber nicht nur einmal, sondern da es wahrscheinlich ein Altarbild war, sicher ein halbes Dutzend Mal. Dabei zeigte sie immer denselben verklärten Gesichtsausdruck. Also ich kann das ja verstehen, es ist ja auch ein schöner Busen, aber ihn so oft zu malen, grenzt für mich bereits an Fetisch. Warum auch nicht, heute stellen die Menschen ihre Vorlieben zur Schau, vor Tausend Jahren war das sicher schwerer, aber der Künstler, dessen Namen ich mir nicht aufgeschrieben habe, hat seine Chance genutzt.
In der zweiten Etage entdeckte ich dann, neben einigen Werken von Velaquez, ein Gemälde von El Greco, das einzige, das ich gefunden habe. Ich weiß nicht, warum, aber El Greco hatte eine fürchterliche und unglaublich mystische Art zu malen. Die Extremitäten scheinen nie ganz symmetrisch, die Finger sind grundsätzlich zu lang, dennoch, durch die Farbgestaltung der Schatten und den düsteren Hintergrund bin ich mir sicher, dass dieser Maler mehr wusste als viel andere und das auch in seinen Werken verewigt hat. Leider war es nur ein einziges Bild, aber immerhin.
In der dritten Etage, die ich beinahe ausgelassen habe, weil es keinen Hinweis gibt, dass das Museum oben weitergeht, habe ich endlich Werke aus dem letzten Jahrhundert gefunden, die mich immer mehr faszinieren. Mehr noch als früher. Wahrscheinlich liegt es daran, dass darauf echte Menschen zu sehen sind, die entweder für ein Porträt posieren oder aber wirklich während einer alltäglichen Tätigkeit gemalt worden sind. Ich erinnere mich an eines, darauf waren Soldaten, die gerade eine einfache Mahlzeit im Felde zu sich genommen haben – der Schinken sah beinahe so gut aus wie in den örtlichen Supermärkten – und sich sicher über Lappalien unterhielten. Das ist es, was ich meine, den Augenblick einzufangen, wie er stattgefunden hat.
Wieder einmal wurde mir die Vergänglichkeit bewusst.. Ein Bild zeigte die drei jungen Mädchen des Bruders des Künstlers. Mehr noch als Fotos aus dem Ende des 19. Jahrhunderts war die Jugend der Kinder perfekt eingefangen, ihre Lebenslust und ihre Zukunft. Das ist alles bereits vorbei, ihr Leben ist gelebt und hat schon vor Jahrzehnten aufgehört. Hier jedoch lebt dieser Geist fort, dieser Augenblick der Unsterblichkeit, den nur ganz junge Menschen kennen können, bevor sie die Erfahrung des Todes machen. Ich bin jedenfalls froh, den Weg in die dritte Etage gefunden zu haben, weil dort meines Erachtens die schönsten Bilder hängen, was immer im Sinne des Betrachters liegt. Es ist dabei auch egal, wer das Kunstwerk gemalt hat, wichtig ist nur, was es in einem selbst auslöst. Es ist auch völlig unwichtig, was der Künstler sich dabei gedacht hat oder was er der Nachwelt sagen wollte, wichtig ist wieder nur, was das Kunstwerk einem selbst sagt. Das gilt für alle Künste, ob es sich um Gedichte oder Zeichnungen handelt, einerlei. Das ist es, was uns zeigt, was in uns steckt oder auch nicht. Die Kunst lässt uns verstehen wie sonst nichts auf der Welt. Und das Schöne ist, wenn man sie einfach nur genießt, ohne Eitelkeit und Besserwisserei, zeigt sie sich meist offenherzig und klug, weil man sie um ihrer selbst willen betrachtet. Und nicht, um sich des akademischen Wissens zu bedienen, um andere zu beeindrucken. Dieser kleine Seitenhieb auf Intellektuelle sei hier gestattet.

Das Museum also war eine herzerfrischende Angelegenheit. Danach ging ich zum Torres de Serranos, um von dort die Aussicht auf die Stadt zu bewundern. Leider war er geschlossen, warum auch immer. Also ging ich erst einmal zu Starbucks, zum Einen wegen des guten Kaffees – ich mag ihn wirklich, auch wenn er überall gleich schmeckt – zum Anderen wegen des kostenlosen Wifis.
Statt zu schreiben, versackte ich im Internet. Zwar weiß ich jetzt, dass Roland Koch sich von der Politik zurückzieht, was eigentlich ein echter Grund zur Freude und zum Feiern ist, aber meine Novelle ist nicht weiter gediehen. Das muss ich morgen anders machen.
Erst gegen Nachmittag kam ich aus Starbucks heraus, mit einem kleinen Koffeinschock. Da mich barocke Architektur nur peripher interessiert, wollte ich mir La Lonja anschauen, gotische Hallen und Räume. Das kam wie gerufen, denn ich suche immer noch nach Inspiration für ein bestimmtes Haus in meiner Novelle. Hier fand ich einiges, viele Details aus dieser einstigen „Seidenbörse“ werde ich sicher literarisch verwenden, vielleicht auch die gewundenen Säulen und die kleinen steinernen Figuren an den Türrahmen samt ihrer versauten Tätigkeiten.
Danach ging ich zum Plaza de Toros, nur um zu erfahren, dass die Fiesta bereits vorbei war. Kein Stierkampf für mich, ich werde mich an anderer Stelle darüber auslassen. Weiter ging es Richtung Mercado Colon, ein wirklich einzigartiges Gebäude, schöner noch als der Mercado Central. Er ist etwas kleiner, bietet aber eine ganze Reihe von Mosaiken – wie ich meine im Art-Deco-Stil, aber ich kann mich irren. Außerdem erinnert er mich an die viktorianischen Märkte in England und verdient schon deshalb hier Erwähnung. Während der Mercato Central ein echter Markt ist, sind im Mercado Colon eher Geschäfte und Cafés.
Da ich noch keinen Panoramablick über die Stadt gefunden hatte, lief ich quer durch die Stadt zum Torres de Quart. Der hatte geöffnet, also erklomm ich die teilweise engen Stufen. Vor Jahren einmal hatte ich mein Vertigo besiegt, war nahezu schwindelfrei. Das ist vorbei, wie ich heute mit Erschrecken feststellte. Ich konnte kaum nach unten sehen ohne das mir schwindelig wurde. Ganz sicher muss ich daran wieder arbeiten, das ist ja wohl unmöglich, mich von dieser einfachen Angst vor der Höhe ins Bockshorn jagen zu lassen.
Der Blick war trotzdem schön, auch wenn sicher nicht so spektakulär wie vom Turm der Kathedrale, der allerdings Eintritt kostet.
Alles in allem war es ein gelungener Tag, der perfekt gewesen wäre, hätte ich nicht meiner Leidenschaft, dem Internet, zu sehr gefrönt. Auch das ein Punkt, den ich angreifen werde.
Morgen geht es weiter. Valencia war ein Höhepunkt in Spanien, keine Frage. Ich werde sicher wiederkommen, um mich vielleicht von Nina überreden lassen, die Attraktionen in der Villa de las Artes zu sehen. Ich allein war zu geizig.
Muss ja auch mal sein.