Plitvice

Entweder es ist unerträglich heiß. Oder es kühlt auf Gefrierschranktemperaturen ab. Dazwischen gibt es in diesem Jahr anscheinend nichts. Letzte Nacht ergoss sich wieder einmal ein Gewitter auf uns hernieder, das sämtliche klebrigen Reste der Lindenblüten auf dem Auto binnen Minuten hinweg wusch. Mein Kreislauf spielte schon in den späten Stunden völlig verrückt, es wurde eine Nacht, die den Namen nicht verdient. Um vier Uhr plante ich einen Teil meiner Reise, bevor ich mich wieder entschloss, wieder zu schlafen. Mit dem Effekt, dass ich vor acht Uhr nicht einmal mit den Wimpern zuckte. Ich entwickle mich somit zu einem echten Langschläfer, was mir auf die Dauer nicht bekommt. Als ich aus dem Camper schielte, sah ich noch die Schwarzwälder, die sich gerade aus dem Staub machten. Die Glücklichen, um acht Uhr aufzubrechen, das hätte schon etwas.

Ich beeilte mich, um ebenfalls in Schwung zu kommen. Ich hatte mir vorgenommen, die Mautgebühr zu sparen und mich irgendwie über die Dörfer nach Karlovac zu schmuggeln. Ich scheiterte grandios, fuhr Dutzende Kilometer in der Gegend umher, bevor ich einsah, dass mich jeder weitere Versuch so viel Sprit kosten würde, dass ich mich am Ende auch noch darüber ärgern würde. Die Beschilderung ist einfach mies, somit blieb mir nur die Autobahn, die hier auf dem Preisniveau von Frankreich schwebt, das in Europa zu den teuersten gehört. Aber es war mir egal, denn mittlerweile stand der kleine Zeiger schon fast auf der elf, also höchste Zeit, einige Fortschritte zu machen.
In Karlovac fuhr ich von der Autobahn, immer in Richtung Plitvice zur Seenplatte. In dieser ausgesprochen hässlichen Stadt sah ich zum ersten Mal überhaupt, dass der Krieg hier stattgefunden hat, denn einige Häuser weisen noch Schäden auf. Es ist für mich immer noch völlig unvorstellbar, hier, nur wenige Hundert Kilometer von Deutschland entfernt, haben sich Menschen wieder einmal aufgrund ethnischer Konflikte gegenseitig geschlachtet. Und mit welcher Grausamkeit. Für mich steht damit unwiderruflich fest, dass der Mensch sich niemals ändern wird, dass Grausamkeiten, die im II. Weltkrieg geschehen sind, immer wieder geschehen können. Auch in der Form und Intensität. Denn den Krieg im ehemaligen Jugoslawien konnte niemand verhindern. Erst Jahrzehnte danach wurden die Kriegsverbrecher überhaupt erwischt, Karadic zum Beispiel ist erst vor wenigen Jahren verhaftet worden, er arbeitete als eine Art New Age Heiler mit langem Rauschebart irgendwo in Serbien, wo er von oberster Stelle geschützt wurde. Unglaublich, aber wahr. Und die kroatischen Verbrecher, allen voran Franjo Tudjman, haben den Krieg eben gewonnen und waren damit zum großen Teil aus dem Schneider. Nicht ganz, einige der schlimmsten Verbrecher sind verurteilt, aber die vielen Grausamkeiten, die unsichtbaren Morde, an die sich niemand mehr erinnern möchte, sind noch lange nicht gesühnt. Manchmal ertappe ich mich dabei, wenn ich 40 bis 50-jährigen hier ins Gesicht schaue, mich zu fragen, ob diese Menschen vielleicht damals dabei waren.
Wie gesagt, ich halte die Art und Weise, wie die Nachwelt mit verbrecherischen Regimen umgeht, für viel zu lasch, ob es sich um das Dritte Reich, die DDR oder Ex-Jugoslawien handelt.

Auch dieses Gebiet, in dem ich mich jetzt aufhalte, war lange Zeit von den Serben besetzt. Davon ist hier, wenige Kilometer entfernt vom Naturschutzgebiet und Eingang zu Nationalpark, allerdings nichts mehr zu sehen. Alles ist ausgebaut, die Straßenränder mit Werbung beschriftet. Ich hoffe, dass mein Besuch morgen nicht allzu sehr von touristischen Hürden behindert wird, im Moment hat es den Anschein, dass es sich bei der Seenplatte um ein ausgesprochen aufgebauschtes Objekt handelt. Wir werden sehen.
In jedem Fall hoffe ich auf etwas besseres Wetter morgen, denn ich kann es nicht leugnen, dass die Kühle und Feuchtigkeit lähmt. So auch heute, denn im Grunde bin ich nur die ca. 150 Kilometer gefahren, konnte mich danach nicht dazu durchringen, etwas Sinnvolles zu unternehmen. Auch die Routine des Schreibens fiel mir heute schwer, wobei es durchaus sein kann, dass ich in Kürze einmal eine kreative Pause brauche. Allerdings hoffe ich, dass ich noch einige Wochen durchhalte, um meine gotische Geschichte in der ersten Fassung zu vollenden, doch erzwingen kann man nichts. Vielleicht würde es wieder etwas besser gehen, wenn ich mir die schon lange vorgenommene Woche Zeit nehme, die ich an einem Ort verbringe, mit nichts weiter zu tun, als zu schreiben. Vielleicht in Griechenland. Oder Montenegro. Mal sehen. Denn nichts ist so anstrengend wie die reine Routine, die ich mir im Augenblick selbst auferlegt habe.
Vielleicht muss ich aber auch einfach nur auf die Sonne warten, dann bessert sich bestimmt auch meine Stimmung.