Herzeg Novi

Immer, wenn ich eine Grenze überschreite, bin ich nervös. Das trifft zumindest auf echte Grenzen zu, denn die EU hat ja diese unmenschlichen Barrieren bereits abgeschafft. Zwischen Kroatien und Montenegro jedoch herrscht noch solch eine Schranke.
Wie so oft, wenn man von einem Land in ein anderes fährt, steht man vor dem Problem, noch viel zu viel Währung in der Tasche zu haben, die praktisch bei Grenzübertritt wertlos wird. Bislang habe ich diese kleine Schwierigkeit recht gut lösen können, in Marokko erfüllte ich mir einige geheime Wünsche, kaufte ein Hemd, das mir sehr gefällt. In Bosnien legte ich 20 Mark in Wein an, legte mir einen Vorrat zu, den ich heute allerdings über die Grenze schmuggeln musste, aber dazu später. Jetzt, in Kroatien… Versagen.

Die Nacht war etwas anstrengend, wie üblich schlief ich nicht gut. Ich kann mich an meine Überfahrt nach Afrika erinnern, auch den Weg zurück, nie waren die Nächte meine, vielleicht weil ich ahnte, dass Schwierigkeiten und Härten des Reisens auf mich zukommen, bevor sie wirklich auftauchten. In Marokko hatte ich noch richtig gelegen, die letzten beiden Male aber, da ich Grenzen überschritt, nämlich bei der Fahrt nach Slowenien und nach Bosnien, waren es so schnelle Erfahrungen, dass ich sie kaum bemerkte. Slowenien ist in der EU, also gab es keine Kontrollen, nach Bosnien war es so leicht, dass ich innerhalb von Minuten die Länder gewechselt hatte.

Heute sollte es zumindest ein wenig „grenzwertiger“ zugehen. Mein Versuch, die restlichen Kuna loszuwerden, von denen ich noch viel zu viel in der Tasche hatte, schlugen grandios fehl. Ich kaufte vorher ein, Lebensmittel und allerlei Verschiedenes, was man manchmal braucht, Putzmittel, Taschentücher, etc., aber die Kuna wollten nicht verschwinden. Ich tankte kurz vor der Grenze, quetschte noch irgendwie einige Milliliter in den Tank, auch wenn der beinahe schon überlief. Trotzdem, 300 Kuna habe ich noch.
Es half nichts, jetzt gab es kein Zurück mehr, die Grenzstation der Kroaten hatte ich so schnell hinter mir, dass ich kaum schauen konnte. Wohlweislich ist der montenegrinische Posten einige Kilometer entfernt, so dass man viel Stauraum für Fahrzeuge hat. Die Schlange jedoch war nur ca. 100 Meter lang, also stellte ich mich hinten an. Und da stand ich dann, in dieser „grenzlichen“ Situation. Wie ich das hasse. Erst die Passkontrollen, dann der Zoll. Vorher aber kam natürlich das Unvermeidliche. Zwei junge Männer im Montenegro-Shirt mit der Aufschrift „I come from here“ verkauften die Vignetten, die besagten, dass man die Ökosteuer bezahlt habe. Abzocke pur, 30 Euro, schönen Dank für nichts. Aber eines muss man sagen, sie waren sehr freundlich und ich musste mich daran erinnern, dass es ihr Job ist. Mit einem kam ich ins Gespräch, er gab mir Tipps für die Fahrt, als er hörte, dass ich tatsächlich nicht nur auf der Durchfahrt war. Das freute ihn sehr und er blieb nicht der Einzige, den die Idee, dass Menschen anderer Nationen sein Land besuchen, mit einigem Stolz erfüllt. Denn nachdem ich dem sehr mürrischen Grenzbeamten so ziemlich alle meine Papiere samt grüner Versicherungskarte hatte zeigen müssen, war der Zollbeamte an der Reihe. Ich hatte natürlich ein gehöriges schlechtes gewissen, denn neben den 5 Litern bosnischen Weines habe ich noch 5 Liter eines einfachen wie wohlschmeckenden spanischen Landweines an Bord, den ich seit Monaten in seinem Plastikkanister wähne, irgendwo vergraben unter dem Bett. So also hatte ich hier gehörigen Bammel, dass jemand meine geheimen Vorräte finden könnte, die ich dann sicher abgeben müsste. Letztlich waren alle Sorgen umsonst. Zwar schaute der Zöllner in den Camper, aber am Ende unterhielten auch wir uns über Montenegro. Auch dieser freundliche Beamte gab mir Hinweise, zeigte mir sogar auf der Landkarte, was ich unbedingt sehen sollte. Die armen Autofahrer hinter mir, aber so viel Zeit musste sein. Eigentlich war es insgesamt ein herzliches Willkommen, wenn nicht diese blöde Ökosteuer gewesen wäre. Aber vielleicht kommen die Herren Politiker hierzulande noch zu Verstand, denn ich empfinde eine solche Steuer als kontraproduktiv für ein touristisch aufstrebendes Land. Hier zerstob übrigens auch meine letzte Hoffnung, Kuna loszuwerden, denn die Kassierer nahmen nur Euro, sehr zum Verdruss eines Kroaten, der den beiden beinahe an den Hals ging.

Das also war geschafft, es fühlte sich auch gleich ein wenig anders an, hier in Montenegro. Sehr weit fuhr ich nicht, konnte ich auch nicht, denn der Küstenstreifen, den ich mir vorgenommen habe, ist nur ca. 200 Kilometer lang. Nach 20 Kilometern erreichte ich den Campingplatz in Herzeg Novi. Hier fühlte ich mich an die Zeit in Marokko erinnert, denn das hier ist noch echtes Camping, rudimentärste Sanitäranlagen, ansonsten nur ein Platz mit vielen Bäumen, somit Schatten, sonst nichts. Mehr brauche ich eigentlich nicht.
Es war noch früh, gegen elf, also machte ich mich auf den Weg in die Stadt, ein ca. 5 Kilometer langer Marsch am Meer entlang. Ich musste es mir immer wieder bewusst machen, das hier ist der südlichste Fjord in Europa. Immer am Meer zu spazieren ist entspannend, ich genoss es. Allerdings merkte ich auch, dass die Hitze zunahm, was zumindest meiner Idee abträglich war, morgen in die Berge zu wandern. Hier unten ging es einigermaßen, doch dort oben war es sicher unerträglich. Das habe ich noch nicht erwähnt, direkt neben dem Meer erheben sich die Berge, es ist ein erhabener Anblick. Die Gipfel, so nahe, die See, so nahe, eigentlich ist alles da, was ich brauche.
An Restaurants vorbei, an Stränden, manche aus Beton, andere mit Kieseln, die Menschen ließen es sich gut gehen. Ich kam mir dennoch wie ein Außenseiter vor, denn ich kann eigentlich mit Stränden dieser Art nichts anfangen. Alles war voll, kein Schatten, im Grunde auch nichts zu tun außer nahtlos braun werden. Aber das Anschauen ist ganz nett.
Ich merkte kaum, dass ich in Herzeg Novi angekommen war. Plötzlich sah ich das Schild „Stari Grad“, also Altstadt. Also folgte ich dem Wegweiser. Es ist sehr hübsch, verwinkelt, mit sehr viel Patina, zumindest teilweise. Irgendwann stand ich auf dem Hauptplatz, vor einer Kirche, die eindeutig in griechischem Stil (Kreuz) konstruiert war. Der Rough Guide erklärte mir, es mit einem nur 100 Jahre alten Gebäude zu tun zu haben, was an sich kaum zu glauben ist, denn die Kirche sieht aus als wäre sie Jahrhunderte alt. Was ich allerdings urkomisch fand, waren die vielen Leute, die hier an den schattigen Rändern saßen, alle mit dem Laptop in der Hand. Mein Netbook drückte auch etwas, aber ich hielt mich zurück. Wie sieht denn das aus, im Urlaub. Ich bin allerdings auch nicht besser. Ob das die Zukunft sein wird? Man stelle sich die Situation vor, ein Paar sitzt im Restaurant, ist gerade mit dem Essen fertig. Anstatt sich aber zu unterhalten, sitzen beide mit ihren Laptops vor der Nase da. Vielleicht chatten sie sogar miteinander: „Du, ich schick dir mal den Link, das ist zu komisch.“
Vielleicht sind wir davon gar nicht mehr weit entfernt.

Ich jedenfalls widerstand dem Drang zu surfen, das musste warten. Ein Shopinhaber versuchte mich, beinahe mit Gewalt, in seinen Laden mit englischsprachigen Büchern zu ziehen. Nun ist aber genug, in Marokko habe ich gelernt, dass man niemals in einen Laden gehen sollte, wenn man nichts kaufen will. Das habe ich mir gemerkt, den Alten ließ ich also stehen, auch wenn der ausgesprochen böse und laut wurde. Ich setzte mein freundliches Marokko. Lächeln auf, das wirkte hier auch irgendwann. Statt also meine Taschen mit englischer Literatur zu füllen, setzte ich meinen Weg fort. Die Burganlage versprach wundervolle Aussichten, und das zurecht. Unter mir die Stadt, in der Ferne das Meer und die Berge, blühender Oleander, was will man mehr. Die Burg wird auch als Theater benutzt, ich kann mir dafür keinen schöneren Ort vorstellen als diesen hier. Wenn das Stück langweilig ist, schaut man einfach auf das Meer und ist zufrieden. Ich weiß gar nicht, ob ich auf der Fahrt schon einmal einen schöneren, friedfertigeren und freien Ausblick hatte.
Nach so viel Inspiration war es Zeit, sich ein lauschiges Café zu suchen, um die Geschichte weiterzuschreiben. Vor besagter Kirche waren einige, eines davon wählte ich. Es war eigenartigerweise nicht die beste Session heute, ich weiß schon jetzt, dass ich einige Teile völlig neu schreiben werde. Das ist selten, aber ernst zu nehmen. Wahrscheinlich weil es ein Teil ist, den ich noch nicht eine Weile wiedergekäut habe, sondern von dem ich zwar wusste, dass er ungefähr so geschehen muss, aber nie genau wie. Jetzt bin ich schlauer. Danach lief ich zurück, es war genug für heute.
Und noch etwas Neues erfahre ich heute: Nach vielen Tagen habe ich auf dem Campingplatz einmal kein Internet. Es ist erfrischend, denn meine Zeit gehört heute Abend nur mir allein.