Jajce

Es war ein atmosphärischer Morgen. Der Himmel zeigte allerlei Farben, von Dunkelviolett bis fast weiß, dabei waren die Wolken ausgebildet und interessant. Viele hingen an den Hügeln, so tief, dass man sie fast berühren konnte. Vom Camper aus hatte ich Blick auf eine Burgruine, die gar nicht so weit oben lag, aber dennoch von Wolken umringt war. Dieser Anblick entschädigte mich etwas für das nicht gerade sommerliche Wetter. Dabei war es nicht kalt, nur sehr nass.
Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich nicht doch noch einen Tag bleiben sollte, denn ich spürte in mir eine Reisemüdigkeit, die ich schon öfter überwunden habe, in dem ich einige Tage Pause gemacht hatte. Am Ende aber schien mir die Gegend etwas zu langweilig, auch fühlte ich mich auf dem Campingplatz ein wenig einsam. So ganz allein ist das doch nichts.

Mein nächstes Ziel hieß Jajce, tief in Bosnien, ungefähr 150 Kilometer in Richtung des Landesinnern. Dabei entpuppte sich Bosnien als landschaftlich sehr interessant, Hügel und Plateaus wechseln sich ab, dazu kam das atmosphärische Wetter, dass die Berge im Hintergrund so sehr betonte, dass es ein Schauspiel der besonderen Art wurde. Zwar ist es nicht gerade Wanderwetter, aber wäre ich Maler, ich hätte keine Sekunde gezögert, meine Staffelei aufzustellen. In den wenigen Orten, durch die ich hindurch kam, war trotz der Nässe einiges los, die Menschen waren auf der Straße, machten Besorgungen oder trafen sich auf ein Schwätzchen. Ich kam gut voran, besser als ich gedacht hatte und bereits nach drei Stunden hatte ich die heutige Etappe geschafft. Und das inklusive etlicher Pausen. Auf diesem Campingplatz bin ich zwar nicht allein, doch ist er weit davon entfernt, gut gefüllt zu sein. Ein paar Holländer, Kroaten, Italiener, wir teilen uns Bosnien zur Zeit, natürlich nur touristisch.
Als ich mich auf dem Platz etabliert hatte, begann es leider gerade wieder zu regnen, so dass ich erst einmal gezwungen war, im Camper zu hocken. Es machte nichts, denn aus irgendeinem Grund war ich ausgesprochen erschöpft. Hätte ich mal auf diese Zeichen gehört, ich sollte es später noch bereuen.
Am frühen Nachmittag hatte ich die Faxen dicke und schnallte das Rad ab. Es versprach, eine malerische Tour am Fluss entlang zu werden. Wurde es auch, aber prompt war ich auf halber Strecke, überraschte mich ein Schauer, der nicht von schlechten Eltern war. Ich suchte Schutz unter einem Baum, der mich halbwegs trocken hielt. Wozu Bäume alles gut sind.
Ich fuhr weiter als es nur noch tröpfelte. Von nun an hatte ich Glück und es blieb trocken.
Mein erster Eindruck von Jajce war etwas zwiespältig. Es ist keine sehr schöne Stadt, zumindest nicht auf den ersten Blick. Viele Wohnsilos, Typ 60er Jahre. Dazu unansehnliche Mehrfamilienhäuser. Und überall sind die Spuren des Krieges noch gegenwärtig, zerfetzte Häuserfassaden, zerstörte, noch immer brandgeschwärzte Gebäude, dazwischen aber immer wieder die Menschen, die sich ihre Fröhlichkeit nicht haben nehmen lassen und bei denen ich fast immer nur gute Laune sehe. Es ist etwas in den Gesichtern, etwas gelassenes, was uns Deutschen fehlt. Ich kann es nicht benennen, weil ich es nicht kenne, aber es steht ihnen im Gesicht, eingeschrieben durch das Leben selbst.
Sobald ich die Burgruine sah, kettet ich das Rad an und ging zu Fuß weiter. Der Hügel ist am Ende nicht so steil wie er aussieht. Als Erstes sah ich wieder einen romanischen Glockenturm, der vor einer Kirchenruine stand, die sich später – wieder – als konvertierte Moschee herausstellte. Dabei übersah ich fast die sogenannten Katakomben. Ein kleines Schild wies darauf hin, der Wärter kam erst, als ich direkt davor stand. Wieder wurde ich die gewaltige Summe von einer Mark los. Fantastisch, ich wusste, dass es eine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen. Ich stieg also hinab, in die Gruft des Herzogs Hrvoje Vukcic Hrvatinic, der diese Katakomben im 15. Jahrhundert für sich aus dem Fels hat schlagen lassen. Das Licht wirkte schummrig und gespenstisch, es war eine freudige Erfahrung, denn in meinem gotischen Roman kommt eine Höhlenstadt vor, die genau so in den Fels geschlagen ist wie diese Katakomben. Schön, dass ich jetzt weiß, wie es wirklich aussieht, immer wieder stoße ich auf diese Orte, die ich eigentlich im Roman bereits erwähnt hab. Man muss eben nur hinschauen. Die Katakomben haben die Form einer kleinen Kapelle und sind in jedem Fall einen Abstecher wert.
Danach lief ich an der romanischen Ruine vorbei, Kirche oder Moschee, zur Burg. Auch hier wurde ich wieder nur eine Mark los. Allein die Aussicht auf das Tal samt Stadt ist dieser Obolus wert. Die Objekte sind alle recht gut durch Hinweistafeln beschrieben, auch in Englisch. Laut diesen Tafeln war Jajce vom Krieg in den 90ern stark betroffen, viele der antiken Baudenkmäler mussten durch die Finanzierung der Unesco wieder aufgebaut werden. Dabei hat Jajce eine ganze Rehe von sehenswerten Gebäuden, einige Türme sind dabei, auch die mittelalterliche Mauer, die in weiten Teilen erhalten ist. Auf Weg nach unten kam ich ins Zentrum, das sehr kompakt ist und von einer modernen Moschee beherrscht wird. Hier setzte ich mich, schon ziemlich am Ende meine Kräfte, und hatte nichts Besseres zu tun, als mir für meine Geschichte das Gehirn auszuquetschen. Diese Session strengte mich an, auch wenn sie gut und sinnvoll war.

Ich schaute mir noch ein Stadttor an, danach wollte ich eigentlich gehen. Zum Glück fiel mein Blick auf einen Stadtplan, der mir anzeigte, dass sich ganz in der Nähe ein Wasserfall befand. Also machte ich mich auf den Weg. Am Ufer saßen eine Reihe von Anglern, ich schaute ihnen noch einen Moment zu. Die Fische, denen ich ebenfalls zuschaute, machten aber keine Anstalten, anzubeißen. Also lief ich weiter. Der Wasserfall war beeindruckend, auch wenn ich glaube, dass er künstlich ist, sicher umgeleitet. Trotzdem ist fallendes Wasser immer einen Besuch wert.
Der Weg zurück war anstrengend, die wenigen Kilometer schaffte ich kaum. Vielleicht waren die letzten Wochen etwas viel, ich spüre diese Müdigkeit, die mich fast davon abhielt, dieses Journal weiter zu schreiben. Aber ich habe mich durchgesetzt und heute einen Meilenstein geschafft. 200.000 Worte – 135000 das Journal, 65000 die Geschichte – habe ich nun seit meiner Abfahrt geschrieben, das macht diese Reise zu der schriftstellerisch erfolgreichsten Zeit meines Lebens. Das feiere ich heute Abend. Und morgen ruhe ich etwas aus.