Kaş

Wie sich jeder denken kann, konnte ich der Versuchung natürlich nicht widerstehen und bin einen weiteren Tag geblieben. Eigentlich wusste ich es bereits gestern Abend, wollte es aber nicht zugeben. Ich bin dabei immer noch erstaunt darüber. Als ich diese Reise begann, bin ich meist bereits oft nach einem Tag wieder abgefahren. Höchstens zwei Nächte blieb ich im Schnitt in Marokko, von Fes einmal abgesehen, wo ich drei Nächte blieb. Aber nur aus dem Grund, weil ich eine solch lange Fahrt hinter mir hatte. Nun ist alles verrückt. Kaum noch jucken mich Ausgrabungsstätten oder sonstige kulturelle Köstlichkeiten. Es genügt mir mittlerweile, mich einfach nur an der Wärme zu erfreuen und dem Meer zuzuhören. Es ist ein größeres Novum, als ich es hier beschreiben kann. Mein ganzes Leben lang hat es mich immer weiter getrieben. Plötzlich ist es anders. Noch in Griechenland war es da, die Eile, das ständig Neue, das drängte und mich immer weiter trieb. So verbrachte ich auch die letzten zwanzig Jahre meines Lebens. Sobald ich mich an etwas gewöhnt hatte, habe ich es zerstört. Beim Reisen ist es etwas leichter, man kann einfach ins Auto steigen und abfahren. Ich möchte nicht sagen, dass dieser Drang völlig verschwunden ist. Aber er ist nicht mehr so stark. Vielleicht liegt es aber auch am Mangel von Optionen.

In jedem Fall wollte ich den Tag nutzen. Und tat es. Auf der Fahrt hierher hatte ich ein Wanderschild gesehen, dessen Design und Farbe mir bereits aus Ölüdeniz bekannt war. Hier läuft der Lykische Weg entlang. Ich musste nur den Anfang wiederfinden. Natürlich war ich mir gar nicht mehr sicher, wo ich diesen Pfad finden konnte. Aber heute war mir das Glück hold. Als ich durch Kas durchgelaufen war, kam ich an eine Kreuzung. Rechts oder links, das war die Frage. Ich wusste, dass der Wanderweg von dieser Hauptstraße wegführte. Ich entschied mich für links…. und lag damit goldrichtig. Schon nach 200 Metern sah ich das Schild.

Steil ging es nun nach oben. Vielleicht hatte ich wieder einmal auf einen sanften Anstieg und dann einen lässigen Pfad am Hang entlang gerechnet. Doch weit gefehlt. Es ging stetig bergauf und die Mär von meiner guten Kondition musste ich schon bald berichtigen, denn ich war gehörig außer Atem. Trotz der Anstrengung an diesem Sonntag wurde ich umgehend belohnt. Die Aussicht auf die Bucht unter mir wurde immer besser je höher ich stieg. Auch überwand ich meine „Schwäche“, ignorierte sie und bald schon hatte ich mich an die Wanderung gewöhnt. Wo würde mich der Pfad hinführen? Bald schon ahnte ich es. Direkt auf den Gipfel dieser Bergkette. Tief unter mir sah ich den kleinen Hafen.
Ich erreichte eine Höhle, entdeckte Spuren von anderen Wanderern, die hier sicher übernachten haben. In mir wächst der Wunsch, diesen Weg eines Tages wirklich vollständig zu erwandern. Oder zumindest etappenweise, vielleicht nicht die ganze Strecke. Um mich etwas zu belohnen, hatte ich die Hälfte meines Omeletts eingesteckt, dass ich gestern zubereitet hatte, eine Variante des Spanischen, mit Kartoffeln, Zucchini, Zwiebeln und frischen Kräutern. Mir lief noch beim Laufen das Wasser im Mund zusammen. Der Weg weitete sich, beinahe hätte ich ihn ganz oben als befestigt bezeichnet. Es war sehr malerisch, die braunen Pflaster hoben sich von der Vegetation und der weißen Felsen ab. Es ist immer wieder aufbauend, ganz oben anzukommen. Auch wenn es sicher nur ein Hügel ist, verglichen mit anderen Wanderungen, hat es etwas Besonderes, ganz oben zu stehen. Die Aussicht hier oben ist wirklich atemberaubend. Das Meer mit den Inseln, die Bucht, die Stadt mit dem Hafen, die schroffen Felsen drum herum, alles passte. Ich staunte eine Weile und genoss den Augenblick.

Dann wollte ich mich belohnen. Lunch in den Wolken. Nun, nicht ganz, aber zumindest ziemlich weit oben. Ich schnallte mir den Rucksack ab, mir lief das Wasser im Munde zusammen. Ein Griff in die Tasche….. und ich holte die leere Hand wieder heraus. Das gab es nicht. Vergessen. Mein schönes Omelett lag unten im Camper, sorgfältig mit Brot zusammen in eine Tüte eingewickelt.
Die Enttäuschung kann sich niemand vorstellen. Plötzlich hatte ich Heißhunger, der sich kaum bändigen ließ. Ich dachte an fettige Döner, würzige Pide, beladene Sandwiches – nichts von alledem hatte ich. Es half kein Jammern, wer zu blöd ist, seine Tasche richtig zu packen, muss eben hungern. Trotzdem hat meine Vergesslichkeit Einfluss auf die Wanderung. Sicher wäre ich noch ein Stück in die Ebene hineingelaufen, die sich hier oben vor mir erstreckte. So aber machte ich kehrt, nachdem ich mich ausgeruht hatte. Im Grunde machte es nichts, denn auf diese Weise wurde es ein ausgedehnter Sonntagsspaziergang. Eine Stunde lang war ich hinaufgekraxelt, mein Abstieg hingegen dauerte keine 20 Minuten. Ungerecht, so etwas. In Kas kaufte ich mir erst einmal zwei kleine Pizzabrötchen. Ich schaute hinauf, gedachte meiner Wanderung, sah auch die Felsen, auf denen ich gesessen hatte.
Ich liebe so etwas, einfach noch einmal den Weg von unten nachzuvollziehen. Ich hätte es mir nicht träumen lassen, heute so hoch zu wandern. Trotz des verunglückten Lunches war ich glücklich über die Leistung.

In einem Hafencafé versuchte ich, meine Geschichte etwas voranzutreiben. Wahrscheinlich jedoch war ich zu müde. In jedem Fall zeigte sie sich noch nicht genug, aber es wird schon. Sollte dieser Zustand länger dauern, schreibe ich mich einfach hinein. Das wirkt immer. Aber ich denke, ich werde noch etwas Geduld mit mir haben. Denn die Ideen kommen langsam und ich bin ganz überrascht, wohin diese Story laufen möchte. Sie scheint tiefsinniger zu werden, als ich es mir gedacht habe. Aber warum nicht? Ist ohnehin mein Stil.
Nur für’s Protokoll, ich werde morgen einen weiteren Versuch starten abzufahren. Ich möchte kurz in Izmir halten, um mir den siebten Teil von Harry Potter anzuschauen, sicher meine einzige Chance, diesen Film im Original im Kino zu sehen.
Trotzdem ist Kas ein wunderbarer Ort und ich bereue es beinahe, nicht mit Nina hergekommen zu sein. Es ist natürlich zu spät und oft sieht man Besseres erst, nachdem man etwas Anderes ausprobiert hat. Sei es drum. Es war trotzdem schön.
Ich bin gespannt, wo ich morgen sein werde, wenn ich dieses Journal weiter schreibe. Insgeheim hoffe ich, nicht hier. Aber sicher bin ich mir nicht.