Heraklion, Knossos

Die Nacht war tropisch.
Was wir in den letzten 14 Tagen nicht erlebt hatten, durfte ich jetzt erfahren. In der kleinen Ferienwohnung herrschen des Nachts weit über 20 Grad. Und ich habe noch Glück, denn sie liegt in der ersten Etage. Die Fernbedienung für die Klimaanlage hat mir die Vermieterin allerdings vorenthalten, sodass ich abends die Wohnung nicht auf ein erträgliches Maß abkühlen kann. Fragen dazu hat sie bislang geflissentlich ignoriert. So ist das wahrscheinlich öfter bei Airbnb.
Aber das sind Kleinigkeiten. Morgen geht es weiter in Richtung Rethymno, dann, so hoffe ich, auf den ersten Campingplatz seit dreieinhalb Jahren. Günstiger und flexibler kann man nicht reisen.
Heute aber war ich noch hier, wollte den zweiten Teil meines minoischen Abenteuers bestreiten, das gestern im archäologischen Museum der Stadt begonnen hatte. Eigentlich wollte ich schon um acht in Knossos angekommen sein, aber bei so etwas macht sich mein von der Hitze gestörter Schaf gerne mal einen Strich durch die Rechnung. Jedenfalls kam ich erst um 20 vor neun dazu, das Haus zu verlassen. Die Sonne brannte schon auf mich nieder. Es war unglaublich heiß und ich war das erste Mal hier auf dem Fahrrad unterwegs. Ein kleiner Härtetest für das, was ich nächstes Jahr vorhabe. Ich hatte das Smartphone an die Halterung geklemmt, das Navi eingeschaltet, Echtzeit-Probe sozusagen. Und dann ging es los, ins Gewühl der Stadt.
Bei Navigationssystemen, so habe ich schon vor Jahren gelernt, ist es immer angemessen, vorher mal die Route zu kontrollieren. Manchmal ist es besser, nicht blind zu vertrauen, denn oft gibt es bessere und einfachere Routen, die vielleicht nur ein paar Meter weiter sind. So war es heute auf der Hinfahrt. Denn das Navi (Osmand) führte mich durch winzige Straßen, sodass ich bald schon nicht mehr wusste, wo ich hinfuhr. Ich vertraute aber darauf, dass es mich ans Ziel bringen würde. Und irgendwie geschah das auch, zwar nicht auf der üblichen Route, sondern auf der kürzesten, gerne über ein paar Hügel hinüber, was ziemlich anstrengend war. Und so näherte ich mich meinem Ziel, hatte aus angenommenen 20 Minuten fast 50 gemacht, aber irgendwann tauchte Knossos auf. Schon jetzt, noch vor zehn, war es schon gut besucht, aber nicht voll. Mein Impfzertifikat wollte niemand sehen, jemand scannte mein Ticket, dann war ich drin.
Es ist eine der wichtigsten archäologischen Stätten Europas, so viel steht fest. Jahrtausende alt, entdeckt vom Engländer Evans vor mehr als 100 Jahren. Zu einer Zeit, als die Archäologie noch in den Kinderschuhen steckte. Ich war froh, dass ich gestern im Museum war, so hatte ich den Kontext einigermaßen verstanden. Die Palastanlage war natürlich nur ein Teil der gewaltigen Stadt damals, die wie heute 100.000 Einwohner gehabt haben soll. Zumindest können wir heute erahnen, wie die obersten, wahrscheinlich Könige und/oder Priester, gelebt haben. Und das ziemlich prächtig. Mehrgeschossige Häuser umgeben einen weiten Innenhof, der den Mittelpunkt der Anlage darstellt. Die Sonne brannte gnadenlos auf die Besucher herunter, ich bereute, nicht einen Hut gekauft zu haben. Immer wieder vergesse ich so etwas Essenzielles.

Jedenfalls betrachtete ich mit Interesse, was Evans hier veranstaltet hat. Im Grunde ist es ganz einfach: Er hat versucht, Teile des Palastes wieder aufzubauen, und zwar so, wie er es für richtig hielt. Das ist heute natürlich umstritten, aber auf diese Weise hat er diesen Palast grafisch aufgewertet. Heute sind die roten Säulen und überall angebrachten Fresken (Repliken natürlich) das Merkmal der Anlage, überall bekannt, aber eben umstritten. Diese Restaurierungen machen die Paläste aber auch interessant, wie ich finde. Sonst würden wir heute nur Grundmauern und graue Steine betrachten können, was ich immer etwas langweilig finde, weil man noch nicht einmal mit viel Fantasie eine Vorstellung davon bekommt, wie alles ausgesehen haben könnte. Fakt ist aber auch, dass der Palast zweimal zerstört wurde. Und wieder aufgebaut. Welchen also restauriert man? Zu welcher Epoche? Das ist schwierig. Trotz all dieser Zweifel kann ich sagen, dass ich Evans Versuche für gelungen halte. Ich bin aber auch kein Archäologe.
Nach einer Dreiviertelstunde hatte ich eigentlich alles gesehen, fragte mich, ob es das jetzt schon war. Also begann ich, die Anlage nochmals zu begehen. Aber die Besucherströme hatten zugenommen. Am Thronsaal, den man nur einzeln betreten durfte und an dem, als ich ihn gesehen hatte, niemand hatte warten müssen, standen jetzt sicher 40 Menschen an. So schnell war es voll geworden. Und noch viel heißer. Trotzdem ging ich nochmals durch die Anlage, hörte dem einen oder anderen Touristenführer zu, schnappte dadurch ein paar Details auf. Aber nach anderthalb Stunden wurde es so voll, dass uns die Guards aufforderten, die Masken aufzusetzen. Eine FFP2-Maske bei 35 Grad im Schatten? Herausfordernd. So sehr, dass ich einsah, genug gesehen zu haben. Als ich die Anlage verließ, hatte sich eine Hundert Meter lange Schlange vor der Kasse gebildet. Als ich vorhin angekommen war, stand dort niemand. Also früh hinfahren, bevor die ganzen Tourenbusse ihre Massen abladen.
Die Fahrt zurück in die Stadt entpuppte sich jetzt als leichter. Ich folgte einfach der Hautstraße, die mich geradewegs in die Innenstadt führte. Kaum 20 Minuten brauchte ich, oder hätte ich gebraucht, wenn ich nicht aus Spaß ein paar Umwege gefahren wäre. Ich gewöhnte mich relativ rasch an den Verkehr und stellte fest, dass die Griechen aufmerksam fahren, auch wenn sie mich manchmal ein wenig zu schnittig überholten. Ich hoffe, dass es so bleibt.
Morgen also verlasse ich Heraklion. Ich finde, dass es an der Zeit ist, das zu tun. Drei Nächte hier reichen erst einmal und auch wenn ich weiß, dass ich noch lange nicht alles gesehen habe, so ist das nicht schlimm. Heraklion ist keine besonders schöne Stadt.
Gestern hatte ich mich noch zu Fuß auf den Weg zum Strand im Westen gemacht, hatte den aber aus der Ferne so langweilig gefunden, dass ich ihn mir nicht genauer angesehen habe. Dabei habe ich Teile der Stadt entdeckt, die ich als ziemlich hässlich bezeichnen würde. Wahrscheinlich völlig normale Wohngebiete, aber ich kann an dem überall herumliegenden Müll kaum noch vorbeisehen. Vielleicht ändert sich auch hier langsam mal die Einstellung. Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass die Griechen ihre Streuner jetzt besser behandeln als früher. Oft sehe ich ausliegendes Trockenfutter und Wassereimer. Ich empfinde das als beruhigend.
Die Veränderung ist also da und spürbar.
Mal sehen, wie es sich in den nächsten Jahren entwickeln wird.