Bodrum

Das Donnern war nicht mehr zu ignorieren. Mitten in der Nacht zuckten die Blitze, dann krachte es eine halbe Sekunde später in einer Lautstärke, die mich befürchten ließ, dass mein letztes Stündlein geschlagen habe. Auch wenn ich gewollt hätte, mir fiel nicht ein, was im Notfall zu tun wäre. Außerdem, welcher Notfall? Was konnte bei einem Gewitter geschehen? Sollte der Blitz einschlagen, dürfte ich das Fahrzeug nicht verlassen, der faradaysche Käfig würde mich schützen. Oder? Ich wusste es nicht. Das Beste schien mir, alles zu ignorieren und weiterzuschlafen. Den Regen bekam ich natürlich mit, der trommelte wild und unbändig.
Der nächste Morgen begann früh gegen halb sieben. Aufgrund eines Selbstexperiments war ich bereits um halb elf im Bett gewesen, daher der frühe Start. Es war noch dunkel, als ich aus dem Camper trat. Das Licht am Horizont war bereits zu sehen, das Meer rauschte gleichmäßig. So als wäre es eine ruhige Nacht gewesen. Das Erstaunliche, es war ausgesprochen warm, sicher an die 20 Grad, schwül-feucht, daher etwas unangenehm. Doch der Regen hatte nicht für Abkühlung gesorgt. Die Wolken am Horizont versprachen weitere Niederschläge, welcher Art, konnte ich allerdings noch nicht ahnen.

Ich blieb bei meiner Entscheidung, abzufahren. Wäre ich noch einmal in der gleichen Situation, hätte ich es nicht getan. Ich arbeitete ein wenig, bevor ich gegen zehn losfuhr. Ich hatte ein ruhiges Gewissen dabei, denn durch die frühen Stunden hatte ich viel geschafft und doch noch eine Menge Tageslicht vor mir. Vielleicht mache ich das ab jetzt immer so, obwohl es sicher eine Ausnahme war, dass ich noch im Dunkeln aufgewacht bin. Trotzdem tut es mir gut.
Also fuhr ich los. Schon nach 20 Minuten begann ein Gewitter, das sich gewaschen hat. Nein, es hat gewaschen, und zwar alles um sich herum. Das Wasser fiel in Eimern vom Himmel, so dass ich anhalten musste, weil die Wischer den Dienst versagten. Sie bekamen die Scheibe nicht mehr frei, trotz höchster Stufe. Das Gute an Gewittern ist jedoch, dass sie irgendwann nachlassen. Also konnte ich einige Minuten später wieder abfahren. Und kam in den nächsten Sturm. So wechselte sich das Geschehen ab, sobald es zu stark regnete, pausierte ich. Ich bin kein Weichei, was das Fahren betrifft, möchte immer so schnell wie möglich von A nach B, aber heute wäre das Selbstmord gewesen. Selbst Türken parkten, LKWs standen an den Rändern, um das ärgste abzuwarten. Nur einige Wahnsinnige überholten sogar.

Zu einem Problem wurden bald die Straßen selbst. Die waren überflutet und manchmal betete ich, nicht stecken zu bleiben, denn ich konnte kaum abschätzen, wie tief das Wasser war, durch das ich hindurch musste. Riesige Fontänen spritzen meterhoch, wenn ich diese Stellen passierte, braunes, dreckiges Wasser auf den Straßen, die ohne Ablauf zu reißenden Bächen wurden. Leider habe ich keine Fotos gemacht, zu sehr musste ich mich konzentrieren. Es wäre sicher spektakulär gewesen.
Dann fiel der Temperaturmesser im Auto aus. Keine Ahnung warum, aber die Nadel bewegte sich kaum noch. Vielleicht hakte sie, oder der Sensor ist defekt. So etwas nervt mich immer etwas. Ab und zu ging es wieder, zu meiner Beruhigung war der Motor nie zu heiß, also ist es nur die Anzeige, nicht die automatische Kühlung, die vom Sensor anscheinend nicht abhängt. Hoffe ich zumindest. (Anmerkung ein Jahr später: Wenn ich das lese, könnte ich vor Wut explodieren. Die Auswirkungen dieses Schadens bekam ich erst im Februar vollends zu spüren. Dafür aber richtig.)

Das Wetter wurde zu keinem Zeitpunkt besser. Polizisten patrouillierten, ich bin mir sicher, dass sie kontrollierten, ob sie Straßen sperren sollten. Vielleicht haben sie es später getan, ich jedoch kam durch. Auch durch die Bäche.
Kurz vor Bodrum wurde ich dann noch durch eine Polizeikontrolle angehalten. So etwas Sinnloses. Sie wollten nicht einmal Papiere sehen, ich war auch nicht zu schnell gewesen. In alter, englischer Tradition sprach ich die Weltsprache mit Oxford-Akzent. Das hilft oft, denn anscheinend haben Angehörige anderer Nationen ein Ohr dafür. Eigenartigerweise gibt es mir auch ein Selbstvertrauen, das mir sonst unbekannt ist, daher bekomme ich selten Ärger. So also durfte ich nach einer Minute weiterfahren. Als ich auf dem Campingplatz einfuhr, hörte es auf zu regnen. Von den Wolken, die immer noch dunkel und bedrohlich aussahen, ließ ich mich so sehr beeindrucken, dass ich an diesem nicht mehr viel unternahm, auch wenn es nicht mehr regnen sollte. Ich schaute mir die Bucht an, in der ich campierte. Es ist das Eigenartigste, das ich je gesehen habe. Hier sind zurzeit nur Engländer. Die Speisekarten sind alle auf Englisch, die Preise gleichen Londoner Niveau. Also heißt es weiter selber kochen. Nicht schlimm.
Es ist ein Ressort, das ich normalerweise meiden würde. Aber im Moment tut es mir ganz gut, denn es ist nicht einsam. Die Restaurants sind noch geöffnet, der Strandboulevard ist belebt. Auch wenn ich nur Zuschauer bin und sicher kein Kunde der vielen Bars werde, ist es dennoch gut zu wissen, dass außer mir noch jemand da ist. Das wird sicher ein seltenes Gefühl in den nächsten Wochen.
Morgen werde ich endlich versuchen, das Öl in meinem Camper gegen Neues einzutauschen. Bodrum selbst werde ich danach erkunden oder noch einen Tag später. Bis Antalya sind es noch 430 Kilometer. Und ich habe noch 11 Tage Zeit. Das ist gemütlich. Finde ich zumindest.
Das Wetter ist jetzt beinahe gut, die Sonne kämpft, wenn auch zurzeit vergeblich. Aber sie ist zu sehen, scheint hell durch das Band der Wolken.