Bled

Willkommen im Krombacher Land. Ich weiß nicht, was es ist, jedenfalls ließ ich mich heute vom hier üblichen Müßiggang anstecken. Trotz meines sehr frühen Erwachens – um sieben Uhr – konnte ich mich nicht dazu entschließen aufzustehen. Als ich auch das endlich auf die Reihe bekommen hatte, es war nicht später als acht, begann ich mit der Morgenlektüre, Stephen Frys Hypapothamus. Damit war der Tag eigentlich gelaufen. Ich weiß auch nicht warum, erst brauchte ich eine Woche, um die Hälfte des Buches zu lesen, dann musste ich die andere Hälfte an einem Tag erledigen. Irgendwann um die Mittagszeit riss ich mich kurz davon los und lief zur Burg hinauf. Es war ein einsamer Aufstieg durch den Wald, der Pfad so schmal es nur ging. Ab einem gewissen Punkt waren unebene Stufen in den Berg gelassen, ich denke, dass hier kaum jemand entlang läuft. Irgendwo hinter der Burg kam ich oben an, hatte von dort malerische Aussichten auf den See und auf die Insel samt Marienkirche darauf. Ich lief noch ein Stück höher, die Treppe führte zu einem Hinterausgang der Festung. Der war natürlich verschlossen, so dass ich wieder ein ganzes Stück absteigen musste, um auf den Hauptpfad zu gelangen, der mich zum Haupteingang brachte.
Wer denkt, dass mir eine Burg, wenn auch mit Museum, 7 Euro Eintritt aus der Tasche leiern kann, der irrt. Mein Reisebudget ist ziemlich eingeschränkt, so dass ich mich dagegen entschied.
Ich genoss noch ein wenig die Aussicht, zusammen mit einigen Hundertschaften von Touristen, die sich hatten hochfahren lassen und wagte dann den Abstieg, vorbei an keuchenden, britischen Rentnerehepaaren, die mich irgendwann glücklich passieren ließen, um endlich eine Entschuldigung für eine winzige Verschnaufpause zu haben.
Danach lief ich noch ein wenig durch die Stadt, wie gestern auch schon war es eine eher kurze Angelegenheit, so dass ich jede Menge Zeit für meine Geschichte hatte. Und natürlich für das Buch.
Es ist ein gutes Buch, das mich sehr nachdenklich macht. Zum einen, weil darin eine Metapher steckte, die ich für mich etwas weiter entwickelt habe.
Es ist die Rede von einem Fluss, der auf dem Weg ins Meer verschmutzt wird. Ich liebe diese Art von Vergleichen, besonders wenn es um den Fluss des Lebens geht. Und natürlich machen mich die vielen Verunreinigungen nachdenklich. Wir beginnen unser Leben völlig rein, klar ist unser Wasser, ungetrübt. Irgendwann jedoch beginnt die Verschmutzung durch andere. Sie schütten ihren Dreck einfach in uns hinein, fragen oft nicht, ob sie das dürfen. Das Leben, das sich gerade in uns entwickelt, wird dadurch beeinflusst. Die Frage, die sich mir stellt, ist natürlich, wie wir verhindern können, dass andere uns verschmutzen. Manchmal ist es ja kein Schmutz, sondern durchaus sinnvoll, doch wenn man es genau bedenkt, braucht ein reiner und klarer Fluss keine Zusätze. Er fließt auch so. Gegen Ende seiner Reise muss er ziemlich verdreckt sein, dann mündet er in das Meer, dessen reinigende Kräfte jede Verschmutzung schnell besiegt. Dann beginnt der Kreislauf von Neuem, durch Verdunstung, Niederschläge beginnt die Quelle wieder zu sprudeln, alles ist wieder rein und klar. Nur um wieder verdreckt zu werden.
Ziel ist es dann aber, dieses Verdrecken zu vermeiden, um klar zu bleiben. Andere dürfen ihren Schmutz, von dem es viel zu viel gibt, nicht mehr bei uns abladen. Sie dürfen gerne ans Ufer treten und sich an unserem kühlenden und frischen Wasser erlaben, aber verschmutzen dürfen sie es nicht.

Ich glaube, so klar wie heute habe ich es noch nie gesehen, auch wenn ich über den Fluss des Lebens vor einigen Jahren eine mich ziemlich bewegende Kurzgeschichte verfasst habe.
Auf diese Weise bekam der Tag einen echten Sinn, auch wenn ich die vorgenommene Wanderung nicht gemacht habe. Und doch habe ich sie gemacht, denn Reisen bedeutet nicht immer die physische Fortbewegung.
Das Bild, das sich ziemlich tief in mir verankert hat, muss ich nun auf seine Bedeutung hin prüfen. Auch muss ich den Schmutz, den ich bereits mit mir herumtrage, loswerden, denn es ist nicht meiner. Was ich allerdings dagegen tun muss, um andere davon abzuhalten, weiter Müll in den Fluss zu werfen, kann ich noch nicht sagen. Ich werde es wohl zu verhindern wissen.

Was meine Reise betrifft, so setze ich sie morgen fort. Ich habe genug von diesem Lala-Land, Villach und Bled, alles so ruhig und perfekt. Der Berge so grün, die Wassern so blau, der Kirchen so Barrock (au man!), die Menschen so glücklich (Scheinheiler). Ich muss hier jedenfalls raus. Ljubijana, die erste Hauptstadt ruft, verrottet wie meine Seele, schmutzig wie mein Wasser (:-)), lebendig, so stelle ich mir das vor. Seit Genua die erste echte Geliebte, die ich aufsuche, mit zerrissenem, verheiltem, wieder zerrissenem, wieder verheiltem, nun starkem Herzen.
Ich hoffe, etwas vom echten Slowenien zu sehen. Das hier war ein viel zu sanftes Vorspiel. Es darf jetzt gerne etwas heftiger und härter werden.