Besalu

Und der Schlendrian hat ein Ende, denn es geht doch. Solange nicht eine erdrückende und stressende Stadt wie Barcelona im Hintergrund lebt, die eifersüchtig darauf achtet, von mir meine gesamte Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen, schaffe ich auch das Schreiben. Die morgendlichen Sessions sind die fruchtbarsten, denn die Worte fließen unbeschwert und schnell, so dass ich sehr zufrieden und auch erleichtert war. Der Platz tat einiges dazu, denn hier saß ich im Schatten, hinter mir die Berge mitten in der Natur, nur ab und zu von einem Spatz gestört, der sich einen Krümel Brot stibitzte.

Danach wusste ich nichts Rechtes mit mir anzufangen, sollte ich nach Olot fahren oder vielleicht ein wenig wandern, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wohin. Die Antwort gab der meist zuverlässige Rough Guide, der einen Ort namens Besalu empfahl. Der war vielleicht zwölf Kilometer entfernt und ich dachte mir, es wäre sicher eine schöne Radtour. Wer mir solch einen Mist immer einimpft, würde ich wirklich gerne einmal wissen. Mitten in der größten Mittagshitze, es war natürlich bereits gegen eins, machte ich mich auf den Weg. Ich wunderte mich ernsthaft, warum es so warm war, ignorierte das aber. Die Route selbst stellte sich schon nach wenigen Hundert Metern als viel zu anspruchsvoll für mich heraus, ständige Steigungen oder Gefälle ließen mich entweder schieben oder mit affenartiger Geschwindigkeit den Berg hinunter sausen. Kaum einmal trat ich dabei in die Pedale, doch schaffe ich Bergtouren einfach noch nicht. Zumal mir die Hitze ziemlich zusetzte. Ich kam irgendwann in Tortella an, besichtigte den kleinen Ort, auch um ein wenig durchzuschnaufen. Viel hat er nicht zu bieten, eine wehrhafte Kirche, die leider nicht offen war. Danach fuhr ich nach Argelaguer, war innerhalb von Minuten dort, da es laufend bergab ging. Vor diesem Teilstück graut mir schon jetzt, wenn ich an die Rückfahrt denke. Aber zum Jammern ist später noch genug Zeit. Dort überlegte ich ernsthaft, ob ich noch weiter fahren sollte, wischte den Gedanken aber weg, denn ich war jetzt so weit gekommen, die letzten Kilometer wollte ich nicht meiner unverständlichen Schwäche und Faulheit opfern.

Den Schritt habe ich nicht bereut, die Route war ab diesem Zeitpunkt angenehmer. Besalu erreichte ich ca. eine Stunde, nachdem ich losgefahren war, also alles in allem keine unmögliche Strecke.

Ich musste mich durch die moderne Stadt durchkämpfen, ehe ich den historischen Kern erreichte. Der entschädigte mich für alles. Eine rustikale kleine Stadt, umgeben von Teilen der mittelalterlichen Wehranlage, einige sehr schöne, wie ich meine romanischer Kirchen, allesamt nicht geöffnet, und einer beeindruckenden mittelalterlichen Brücke. Besonders am Fluss lies es sich gut aushalten, denn es war angenehm kühl und die Anstrengung der Fahrt fiel rasch von mir ab. Ich genoss den darauf folgenden Spaziergang durch diesen kleinen Ort, die verwinkelten Gassen auf dem rauen Kopfsteinpflaster und die winzigen Läden wirken auf mich immer entspannend. Auch hier hat es einst eine jüdische Gemeinde gegeben, die im 15. Jahrhundert nahezu ausgerottet worden sein muss. Die Quellen erzählen keine Einzelheiten, doch die Unterdrückung dieser Minderheit muss gewaltig gewesen sein. Am Ort der ehemaligen Synagoge sind eine ganze Reihe von Informationstafeln, die einen kleinen Teil dieser Geschichte erzählen. Sie berührt mich auch heute wieder, vielleicht weil ich die Situation im Nahen Osten einfach nicht begreifen will. Warum zivilisierte Menschen es nicht schaffen, friedlich miteinander zu leben und wenn schon nicht in Freundschaft, dann zumindest in gemeinsamer Koexistenz. Wahrscheinlich ist aber das der Fehler, ich gehe vom Verstand aus, der keine anderen Schlüsse zulässt, vergesse dabei Politik, also die Verteilung der Macht an Einzelne oder zumindest kleine Gruppen. Was diese anrichten können, kenne ich im Kleinen aus den wenigen Firmen, in denen ich die Ehre hatte zu arbeiten. Diese Erfahrungen haben mich für die Arbeitswelt verdorben, denn ich bin nicht mehr gewillt, die Demütigungen zu ertragen, die die Machtspiele selbst in diesen winzigen Mikrokosmen mit sich bringen. Im Kleinen wie im Großen, es ist der absolute Wahnsinn und manchmal frage ich mich, warum so viele Leute sich diese Spiele gefallen lassen. Das gilt natürlich auch für den Nahen Osten. Sicher verstehe ich es nicht richtig und sehe die Dinge zu einfach. Vielleicht ist es aber genau das, was fehlt, eine einfache Sicht, die Komplikationen von vornherein ausschließt.

Viel zu düstere Gedanken für einen Tag wie diesen. Ich sitze gerade in der Stadt, im Schatten einer Mauer, umgeben von Pflanzen und schaue den Schwalben zu, die leider viel zu niedrig fliegen. Ich hoffe, das ist kein schlechtes Zeichen für das morgige Wetter, wir werden sehen. Langsam spiele ich mit dem Gedanken an den Heimweg, jetzt gegen 17 Uhr sollte es besser sein. Auch mache ich mir Gedanken darüber, wie ich die letzten Tage in Spanien verbringen soll. Vielleicht fahre ich morgen nach Olot, um mir den Nationalpark und einige der schlafenden Vulkane anzuschauen, vielleicht führt mich mein Weg aber auch wieder an die Küste. Ich werde entscheiden, wonach mir morgen ist. Lasst Euch also überraschen.