Am Meer

Wieder brannte die Sonne vom Himmel. Seit Nina hier ist, haben wir das wundervollste Wetter, glorreiche Wärme, und auch wenn die Nächte natürlich kühler werden, können wir und nicht beschweren. Nachdem wir nun bereits den fünften Tag hier sind, gingen uns heute langsam die Ausflugsziele aus. Es ist letztlich nicht die interessanteste Gegend, um Antalya herum wäre es ganz bestimmt wesentlich besser gewesen. Mit dem Nachteil, dass eine interessante Gegend auch immer eine Form von Stress nach sich zieht, denn ich meist alles sehen will, was möglich ist. Auf jeden Fall, wenn ich mit Nina irgendwo bin. Allein habe ich diesen Drang jetzt besser unter Kontrolle, zu zweit überhaupt nicht. Vielleicht war es ganz gut, an einen ruhigen Ort zu fahren, einen, der uns nicht so stark ablenkt. Auch hätten wir sicher nicht einen Tag wie heute verbracht. In Ermangelung anderer Ideen entschieden wir uns dafür, einen ausgedehnten Strandspaziergang zu machen. Ich hätte es eigentlich Strandwanderung genannt, aber das wäre von vornherein unklug gewesen, denn das hätte anstrengend geklungen, was nicht in Ninas Urlaubswortschatz passt. Aber ich wollte testen, wie weit wir es schaffen konnten. Insgeheim hatte ich Side als Ziel ausgewählt, ein strammer Marsch von geschätzten 15 Kilometern. Letztlich wurde es ein Spaziergang. Am Anfang war es noch sehr schön, der Strand lag einsam vor uns, der Sand war fest, es lief sich hervorragend darauf. Dann aber wurde er weicher, ich erinnerte mich an meinen Ausflug in die Wüste in Marokko, spürte bereits die Muskeln. Aber ich behielt es für mich. Nach und nach veränderte sich auch die Gegend. Von der Straße aus beinahe unsichtbar, stießen wir nach einem Kilometer auf die ersten Hotels, die beinahe lächerliche Ausmaße haben. Bettenburgen von gigantischer Größe, leider mit dem Effekt, eine entsprechende Klientel auf dem Strand auszuspucken. Dort lagen sie nun, brieten sich, hatten Spaß. Und versperrten uns ein ums andere Mal den Weg, ganz zu schweigen von der zerstörten, stillen Atmosphäre am Strand. Nina hatte bald genug, wollte keine Urlauber mehr sehen, denn es hatte den Anschein, als ob es unendlich mit den Ressorts weitergehen würde. Ich hätte es noch etwas probiert, aber Nina war nicht dazu zu bewegen, vom Spaziergang zur Wanderung überzugehen. Letztlich hatte ich aber nicht das Gefühl, dadurch etwas zu verpassen. Wir setzten uns in den Sand und machten eine ausgiebige Pause.

Lange schon hatten wir nicht mehr über die Zukunft gesprochen, wie auch, ich war auf Reisen, beide wussten wir nicht, wie diese mich und sie und uns beide gemeinsam verändern würden und ob ich nochmals in eine Form des normalen Lebens zurückkehren könnte. Da es zurzeit so aussieht, dass ich nicht ewig weiterreisen möchte, konnten wir darüber reden, was wir in der nächsten Zeit vorhaben. Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass das Reisen sicher für mich immer eine besondere Wichtigkeit haben wird. Doch drei, vier Monate am Stück reichen sicherlich. So können wir es schaffen, Ninas Leben, das sich auch an ihrer Karriere orientiert, und mein unstetes zusammen zu führen. Es wird eine der Herausforderungen, denen ich mich nach meiner Rückkehr stellen möchte. Denn glücklich sein müssen wir beide, in einer Partnerschaft haben Abstriche in dieser Richtung kaum etwas zu suchen.
Wir setzten unseren Weg fort, waren bald wieder am Campingplatz… und beide völlig erschöpft. Das Laufen im Sand ist anstrengend, die Füße sinken ein und man braucht mehr Kraft für die Schritte. Da es Zeit für einen leichten Lunch war, beschlossen wir, ein Strandrestaurant zu suchen. Wir wurden nach einigen Metern fündig, es war herrlich, in diesem Garten zu sitzen, Blick auf den Strand und das Meer. Kulinarisch war es kein Höhepunkt, aber das war nicht wichtig. Manchmal ist die Lokation wichtiger als alles andere, und diese Mahlzeit werden wir sicher beide nicht vergessen. Da der Strand an diesem Tag nun eine so große Rolle gespielt hatte, beschlossen wir, die helle Zeit hier auch ausklingen zu lassen. Unter einem Sonnenschutz fanden wir Ruhe, ich konnte etwas arbeiten, Nina schwimmen. Alles war friedlich, nicht nur äußerlich. Selten habe ich mich so frei gefühlt wie heute, so sehr im Einklang mit mir selbst. Es sind diese Momente, nach denen ich mich auf dieser Reise so gesehnt, sie aber selten gefunden habe. Für einige Minuten war ich im Paradies, nichts brauchte ich, nichts begehrte ich. Ich weiß, dass so etwas nie lange anhält, aber ich bin froh, es ab und an erleben zu dürfen. Man stelle sich vor, permanent in diesem Zustand leben zu können. Das müssen die glücklichsten Menschen der Welt sein. Vielleicht hat auch die Musik heute mitgeholfen. Ich hörte ein Stück von Paganini, die Musik glitt in mich hinein, erklärte sich von selbst. Das abgehackte, rhythmische Spiel von höchster Eleganz und Schnelligkeit, eine Musik, die nie zur Ruhe kommt. Komisch, dass ich besonders dabei ins Reine gekommen bin. Vielleicht liegt es daran, dass ich einen anderen Künstler aus einer anderen Zeit gefunden habe, der seine eigene Unruhe in seine Kunst integriert hat. Ich muss an so etwas glauben können, sonst werde ich verrückt.
So endete unser Strandtag, der bewegender und interessanter war als so manch anderer, an dem ich auf große Entdeckungstour gegangen bin. Manchmal muss man vor seiner Haustür nachsehen und nicht in die Ferne ziehen.
Ich werde versuchen, es mir zu merken.