Zagreb

Der August ist da! Und damit auch ein neuer Reiseabschnitt. Ich habe im Juli vier Länder angekratzt, wenn ich die letzten Züge in Frankreich mitzähle, habe Italien in Windeseile durchquert, beinahe auf der kürzesten Strecke, Österreich war nicht geplant und Slowenien hat sich als das herausgestellt, was es ist, winzig klein. Ich hatte heute Morgen die Wahl, ob ich an einer Therme in Slowenien halten oder einfach nach Zagreb durchfahren sollte. Als ich die Autobahnabfahrt zur Therme sah, entschloss ich mich für das Weiterfahren. Es war Sonntag und das Bad sicher angefüllt mit lauten Kindern und prolligen Erwachsenen, das ist unerträglich. Also stellte ich mich dem Grenzübertritt nach Kroatien. Es ist die erste Grenze, die ich auch als solche wahrnehme, so richtig mit Passkontrolle. Natürlich erkannten die Staatsdiener die Transe nicht sofort als Wohnmobil und linsten interessiert nach innen, als sie aber merkten, dass dort ein ungemachtes Bett und der Abwasch von gestern herumstanden, winkten sie mich angewidert durch. Manchmal hat es auch sein Gutes, eine kleine Drecksau zu sein. An der Mautstelle wurde ich – wie auch schon in Marokko – eines Euros beraubt, denn der Angestellte versäumte es, mir das Wechselgeld zu geben. Angeblich hätte er keine Euros, daher behielt er das Wechselgeld. Ich muss mir wirklich einmal angewöhnen, dann einfach einmal stehen zu bleiben und mich nicht für dumm verkaufen lassen. Denn das ist es, was mich ärgert, der winkt mich weiter und ich fahre auch noch, anstatt stehen zu bleiben und ihm einfach nur unbewegt in die Augen zu schauen. Das nächste Mal mache ich das einfach. Was soll passieren, sollen sie mich erschießen? Vielleicht in Albanien, aber ich werde schon aufpassen.

Der Campingplatz in Zagreb liegt direkt an der Autobahn. Auf meine Frage, ob man von hier mit dem Fahrrad nach Zagreb kommen könne, erntete ich ein Grinsen.
„Sicher“ perfektes Deutsch, das war zu erwarten. „20 Kilometer, aber das geht schon.“
Das ging natürlich nicht. 20 Kilometer heißt auch, dass ich 20 Kilometer wieder zurück müsste. Und auch noch die Stadt erkunden. Außerdem hatte sich die Sonne wieder die Ehre gegeben, angenehme 30 Grad, für eine Stadtbesichtigung also genau richtig, aber nicht für eine Fahrradtour. Also besetzte ich erst in aller Ruhe den Platz, breitete mich wie üblich aus, Wäscheleine, Kräuterkorb – ja, ich schleppe so etwas mit mir herum, mehrere Basilikumpflanzen, Minze, Rosmarin und Thymian, alle aus verschiedenen Ländern.

Dann machte ich mich auf in die Stadt. Es war letztlich nur eine Viertelstunde mit dem Camper, kein Problem also, mit dem Rad hätte ich locker die sechsfache Zeit benötigt.
Der Wagen stand irgendwo an einem Ort, von dem ich dachte, dass es zentrumsnah sei. Das war es auch, aber ich verstand die Stadt nicht sofort, so dass ich etwas umher irrte. Es machte nichts, denn endlich war ich einmal wieder in einer Großstadt. Ich weiß nicht warum, aber es ist einfach ein anderes Gefühl. Eine Metropole versteckt sich nicht, man sieht den Dreck, die Probleme, auch die Schönheit. Sie lügen nicht, die echten Metropolen, anders als Landpomeranzen, die überschminkt sind und doch ihre Langweiligkeit nicht übertünchen können.
Zagreb erinnerte mich an Berlin, am ehesten noch Kreuzberg, schöne Fassaden aus dem letzten Jahrhundert, gutbürgerlich einst, jetzt etwas angestaubt, eben charismatisch. Ich lief am botanischen Garten entlang, ließ den erst einmal liegen, Natur hatte ich für den Moment genug gesehen. Ich kam auf einem großen Platz an, ich vermutete, es war der Bahnhofsplatz. Davor ein hübscher Garten, die Beete alle sehr gepflegt. Aber es war noch nicht das, wonach mir der Sinn stand. Das war es noch nicht, was ich suchte, auch wenn ich im Zentrum angelangt war. Also bog ich ab und lief auf den Hauptplatz Tgr Bana (ich schlage das nach, keine Ahnung, wie man das ausspricht) zu, über den ich im Rough Guide gelesen hatte, den ich zwar dabei, aber bislang noch nicht aufgeschlagen hatte. Ich habe ohnehin festgestellt, dass ich kaum etwas über Sightseeing Objekte in meinem Gedächtnis behalten kann, wenn ich vorher darüber lese. Erst, wenn ich einen Bezug zu einem Ort aufgebaut habe, wenn die Worte eine Verbindung zur Wirklichkeit bekommen, merke ich mir Sachen. Das Erleben in Verbindung mit Wissen ist es, was mich treibt. Und sicher viele andere auch. Dann wird es kinderleicht.

So also fand ich meinen Weg nach Zagreb. Der Platz selbst beeindruckte mich nicht sehr, ich weiß auch nicht warum, einfach kein Flair. Vielleicht weil es Sonntag und kaum jemand unterwegs war. Ich lief weiter, kam bald auf einen Markt, der mich ebenfalls nicht sehr beeindruckte. Ich sah einen Stand mit Bananen. An den Preisen sah man, wie alt die Früchte waren. 6 Kuna für 3 KG, das waren die im Grunde verfaulten, so ging es dann weiter. Genauso mit den Weintrauben, also nicht besonders appetitlich. Allerdings ist das perfekt angewendetes Yieldmanagement. Irgendjemand findet sich sicher immer, der die Ware kaufen möchte. Auch wenn sie alt und billig ist.

Ein Wort noch zur Währung: Ich brauche immer einige Tage, bis ich den Wert verstehe. Ein Euro ist ungefähr sieben Kuna wert, wenn ich nicht immer sofort umrechne, falle ich regelmäßig auf Angebote herein, die keine sind. Der Campingplatz kostet zum Beispiel 100 Kuna am Tag, es dauerte eine Weile, bis ich mich aus dem metrischen System verabschiedet und festgestellt hatte, dass es sich nicht um zehn Euro, sondern eher um 15 handelte. Das nur einmal als Beispiel.
Am Markt gönnte ich mir trotzdem erst einmal ein Eis, italienisch, eine schöne Portion, zur Feier meiner Ankunft in Kroatien. Von dort war es nicht mehr weit bis zur Kathedrale, die mich fast ein wenig an die in York erinnerte oder eine der anderen berühmten sakralen Bauten in England. Aber im Grunde kann ich Kirchen immer noch nichts abgewinnen. Ich suchte etwas, dass mich gefangen nehmen konnte.
Ich fand, und zwar recht schnell. Von der Kathedrale lief ich zurück zum Markt, auf meiner Karte hatte ich eine Art Rundweg entdeckt, der mich zur „Oberstadt“ führen sollte. Es ist eigenartig, denn in meiner gotischen Novelle gibt es eine Oberstadt, doch die hier sah nicht so aus, wie ich sie beschrieben hatte.
Es war genau das, was ich gesucht hatte. Die Gebäude waren niedriger, alles sicher bürgerliche Kleinfamilienhäuser aus den letzten Jahrhunderten, sehr hübsch restauriert und hier fand ich endlich das Leben, das ich so vermisst hatte. Bar reihte sich an Bar, Café an Café, genau das richtige also für eine kleine Pause. Nur für die Interessierten, ich saß in einem Café auf der Radliceva, ein Katzensprung von der Kathedrale entfernt. Viele junge Kroaten und Touristen kamen her, People Watching oder, wie ich, Extreme Surfing, natürlich nur im Internet. Zum Glück war die Internetzeit auf eine halbe Stunde begrenzt, sonst hätte ich wieder ewig dort gesessen.
So aber vergnügte ich mich eine Weile, genoss die Atmosphäre und war froh, hier zu sein. Als ich damit einigermaßen fertig war, lief ich weiter, erkundete den Bezirk, der wirklich sehenswert ist. Ich lief auch eine ganze Zeit bergauf, so dass es mich nicht wunderte, dass ich bald auf einer Art Panorama-Terrasse ankam. Zagreb lag mir zu Füßen. Man konnte sogar, wenn man wollte, wieder mit einer winzigen Seilbahn hinunterfahren, um von dort wieder in die Unterstadt zu gelangen. Vielleicht 30 Meter weit würde dieser Spaß dauern. Ich lief lieber, es dauerte zwei Minuten. Irgendwann wollte ich mich niederlassen, um zu schreiben. Also ging ich wieder in mein Lieblingsviertel zurück, komisch, dass es nicht lange gedauert hat, bis ich mich diesbezüglich festgelegt habe, und setzte mich in ein anderes Café. Leider lief Formel 1 und ich schaffe es nicht, meine Augen vom Fernseher weg zu bewegen. Also ließ ich ein langweiliges Rennen über mich ergehen, stellte einmal mehr fest, dass es in dieser Sportart kaum Spannung gibt und schrieb später, als das Trauerspiel beendet war.
So verging die Zeit, ich lief danach gemütlich zum Auto zurück, kam an so manchem Prachtbau vorbei, sicher Museen oder Theater, hatte aber keinen Nerv, nachzusehen.
So verging ein perfekter Tag, mit dem ich zufrieden bin. Vielleicht ein Tag, an dem ich endlich wieder das Gefühl hatte zu reisen. Ganz bestimmt wird es immer schwieriger, meine Lust diesbezüglich zu befriedigen, denn ich konsumiere Ziele wie andere Leute Kinofilme. Ich hoffe, meine Begeisterung dabei niemals zu verlieren, denn es ist eine der schönsten Dinge auf dieser Welt, etwas Neues für sich erkunden zu dürfen.