Jajce – Park Plivsko jezero

Ich habe gestern etwas getan, dass vielleicht ein großer Schritt Richtung der Freiheit ist, die ich mir erhoffe.
In den letzten Monaten habe ich festgestellt, dass meine Gedanken und meine Selbstgespräche sehr häufig um Ereignisse kreisen, die längst in der Vergangenheit liegen. Ich rede mit Menschen, die schon längst nicht mehr da sind, die sich von mir bereits vor Monaten oder gar Jahren für immer verabschiedet haben. Besonders die sehr schmerzhaften Erfahrungen bei meinem letzten Arbeitgeber haben mich dabei besonders beschäftigt. Immer und immer wieder habe ich daher mit mir selbst diskutiert, habe Konflikte, die vor langer Zeit geführt wurden, wiederholt, ihnen neue Richtungen gegeben und sie verändert. Vielleicht hatte ich die Hoffnung, dadurch auf Lösungen zu kommen, eventuell mehr Ruhe zu finden oder sogar im Nachhinein noch Erfahrungen zu machen, die diese Tortur rechtfertigen. Am Ende war das alles Blödsinn, denn was vergangen ist, ist vergangen. Ob ich daraus gelernt habe, werde ich erst feststellen, wenn ich wieder in solche Situationen gerate, was sehr wahrscheinlich ist. Also bringt es für mich nichts, weiter in der Vergangenheit herumzustochern. Daher habe ich sämtliche Ex-Kollegen gestern Morgen nach einer besonders hitzigen und sinnlosen Debatte auf eine Wolke gesetzt, natürlich nur im Geiste. Komischerweise habe ich den Geschäftsführer von damals auf einer separaten Wolke platziert, das würde er sicher mögen. Nichtsdestotrotz befinden sich jetzt alle Geister, die mich besonders auf der Reise, in der die Einsamkeit oft Streiche mit mir spielt, geplagt haben, auf einer imaginären Wolke. Diese Wolken ließ ich fliegen. Sie sind noch in Sichtweite, das kann ich noch nicht ändern, aber wenn immer einer dieser Geister versucht, mit mir zu reden, sage ich ihm, dass ich ihn nicht verstehen kann, denn er ist ja auf einer Wolke, die schon ziemlich weit weg ist.
Seitdem fühle ich mich leichter. Vielleicht kam auch daher die Müdigkeit, denn auch ein Abschied ist nicht leicht. Aber dieser Schnitt war dringend notwendig. Ich frage mich, ob ich das auch mit meinen toten Eltern machen sollte, aber sie kommen nicht oft, doch ist es natürlich immer noch sehr schmerzlich. Ich werde sehen. Eigentlich will ich auf sie noch nicht verzichten.

Es ist übrigens ein schöner Morgen, die Sonne scheint endlich einmal wieder. Ich habe mich entschieden zu bleiben und mich auszuruhen. Vielleicht laufe ich nachher in die Stadt oder zumindest an den Seen und am Fluss entlang. Es ist ein friedlicher Ort, zu schön, um ihn so schnell wieder zu verlassen.
Der Tag war nützlich und erholsam zugleich. Alle paar Wochen fallen eben die ganz normalen Dinge des Haushalts an. Nach den vielen Regentagen der vergangenen Zeit konnte ich endlich wieder einmal putzen, das Bett ausschütteln und lüften, auch die Wäsche war mal wieder fällig. Zuerst aber machte ich mich zu einem Spaziergang auf. Nicht weit entfernt vom Campingplatz stehen eine Reihe von Mühlen, ich denke allerdings nicht, dass sie noch in Betrieb sind, aber ihre Gehäuse stehen noch da. Drum herum ist eine Art Erholungspark direkt am Wasser. Alles in allem war es unglaublich erholsam und friedlich, einfach hier entlang zu schlendern. Nach einiger Zeit erreichte ich einige Restaurants und Bars. Hier ließ ich mich nieder, um meine Geschichte zu schreiben. Von der gestrigen Müdigkeit keine Spur mehr, es wurde eine gute und kreative Session. Was doch einige Stunden Schlaf ausmachen. Hier leistete ich mir dann später sogar einen ausführlichen Lunch, zwar nur eine Pizza, aber es war das erste Mal seit Frankreich vor fünf Wochen, dass ich wieder einmal auswärts essen ging. Ich genoss es sehr.
Wieder zurück beim Camper schaffte ich es endlich, den Brief an meinen Onkel zu schreiben. Seit Monaten schon nehme ich es mir vor, jetzt habe ich es geschafft. Es ist einer der seltenen Momente, in denen ich mit der Hand auf Papier schreibe. Dabei stellte ich fest, dass meine Handschrift zu einer Art Hieroglyphengekrakel verkommen ist. Selten sind die Buchstaben noch zu erkennen, oft schreibe ich zu langsam für meinen Kopf, der mich die Buchstaben dann in falscher Reihenfolge zu Papier bringen lässt. Fast schon legasthenisch. Aber meinen Onkel wird es trotzdem freuen, seine Schrift ist noch schlimmer als meine, obwohl er als Pfarrer ausschließlich von Hand schreibt. Es war trotzdem eine schöne Erfahrung, denn es ist etwas anderes, auf Papier zu schreiben. Auf dem Laptop ist alles immer provisorisch, ich kann denken und schreiben zugleich, wenn etwas nicht richtig ist, lässt es sich leicht spurenlos verbessern. Das funktioniert bei einem Brief nicht, hier muss ich vorher wissen, was ich eigentlich sagen will. Ob mir dieses kleine Werk geglückt ist, wird nun mein Onkel bewerten müssen.
Es war ein sehr schöner Sonntag, der mich einmal wieder daran erinnert hat, dass Sonntag ein perfekter Tag zum Ausruhen ist. Und auch wenn ich letztlich genau so viel geschrieben habe wie sonst, habe ich es dennoch wesentlich ruhiger angehen lassen und mich niemals hetzen lassen, was mir mitunter in den letzten Tagen nicht gelungen ist. Denn irgendwie treibt es mich immer wieder voran, immer wieder muss ich Neues entdecken. Es lässt mir einfach keine Ruhe. Ein Ort verliert dann aber so schnell mein Interesse, wird mir langweilig und schal, so dass ich abfahren muss. Hier ist es auch so, auch wenn ich froh bin, dass ich das heute noch nicht empfunden habe.
Morgen aber ist Schluss. Obwohl ich noch nicht genau weiß, wo es hingehen wird.