Bogliasco

Ich stellte mir heute Morgen den Wecker, weil ich unbedingt vermeiden wollte, nochmals von der Hitze am Fahren behindert zu werden. Doch hatte ich die Rechnung ohne die Holländer gemacht, deren Fußball-Team es gewagt hatte, gestern Abend in einer grandiosen Vorstellung Urugay zu schlagen. Da halb Holland auf dem Campingplatz vereint war, stieg danach eine rauschende Party, die von den Platzeigentümern, allesamt Niederländer, erst gegen Mitternacht unterbunden wurde. Ich gönnte es ihnen, diesem so weltoffenen und reiselustigem Volk, die im Juli und August jede Gegend in Europa mit ihrer Anwesenheit beehren. Manchmal frage ich mich, ob überhaupt noch jemand da ist, in Holland meine ich, denn auf jedem Campingplatz der letzten Tage waren die Liebhaber der Tulpen und der Holzschuhe – schön, dass es so viele Vorurteile gibt – in der Mehrzahl. So also schaffte ich es gegen sieben Uhr kaum aus dem Bett, so dass ich doch erst gegen halb neun zum Aufbruch bereit war. Schon um diese Zeit zeigten die Quecksilbersäulen der örtlichen Apotheken an die 30 Grad, es wurde ein heiterer Vormittag. Meist im Schneckentempo kroch ich die Küste entlang, die zwar reizvoll ist, doch deren Orte so einladend wirken wie eine Rockerkneipe in Russland. Auch wenn ich noch nie in einer solchen war.
Vier Stunden brauchte ich für 100 Kilometer, musste einmal durch das Zentrum Genuas, um den nächsten Campingplatz zu erreichen. Erst nach zwölf kam ich dort an und brauchte einige Zeit, um mich zu erholen, denn das erste Mal in meinem Leben macht mir die Hitze wirklich und wahrhaftig zu schaffen. An einen Besuch der alten Handelsstadt denke ich somit erst morgen, ich freue mich darauf.
Nach zwei Stunden Ruhe kam ich auf die Schnapsidee, mir den Ort anzuschauen, in den es mich verschlagen hatte. Bogliasco, so hieß er, wie ich herausfand. Erst jedoch musste ich einen halben Kilometer steil bergab laufen, was erst später auf der Rücktour zu einem Problem werden sollte. Doch auch jetzt – es müssen an die 35 Grad im Schatten gewesen sein – wurde mir das T-Shirt zu einer zweiten Haut, die an mir klebte wie die echte. Ein halber Liter Wasser reichte bis zur letzten Stufe, zum Glück gibt es überall Wasserstellen. Die Gemeinde muss also das Problem unvorbereiteter Touristen kennen. Der Strand zwängte sich mitten in das dicht bebaute Ufer, doch muss ich zugeben, dass dieser Ort Charme hat. Vielleicht ist es die Nähe zu Cinque Terre, ich zumindest finde, dass es hier sehr ähnlich aussieht. Die Berge fallen steil ab, die Häuser in Erdfarben kleben förmlich dran, irgendwo ragt immer ein Kirchturm auf und das Meer ist überall präsent, genau wie die rauen Felsen, die sich gegen die Wellen stemmen. Ich fand auch nach kurzem Suchen den Bahnhof, doch wie üblich sind die italienischen Zeitpläne eine Stufe zu hoch für mich. Ich glaube jedoch, dass ich morgen gegen 10:30 eine gute Chance habe, nach Genua zu gelangen. Wie ich zurückkomme, werde ich dann sehen. Es hat ja in Marokko auch immer geklappt.

Ich lief noch ein wenig durch die Gegend, ein unverzeihlicher Fehler, denn mit jedem Schritt schwappte das Wasser förmlich aus mir heraus. Ich merkte es anfangs gar nicht, doch muss es ein erbärmlicher Anblick gewesen sein. Als ich nämlich eine Bar betrat, mit dem festen Vorsatz der Koffeinaufnahme, schickte mich die etwa 60-jährige Besitzerin erst einmal in den Waschraum zum Frischmachen. Sie empfand ganz eindeutig Mitleid, denn nicht nur bekam ich einen Cappuccino, sondern auch ein riesiges Stück Melone. Eine herzensgute Frau, die an meinem Tisch stehen blieb und mit mir Konversation betrieb. Ich konnte leider kaum etwas erwidern, mir fehlten einfach die Worte, doch zu meinem großen Erstaunen verstand ich im Groben, was sie sagte. Sicher hörte ich nur die Schlüsselworte, die ich erkannte und somit zu einem Sinn zusammensetzte, doch erzählte mir die Dame, wie großartig sie unsere Kanzlerin Merkel findet, weil diese starke Frau (nicht meine Worte) den Euro gerettet hat mit der ebenso starken deutschen Wirtschaft im Nacken. Es ist bereits das zweite Mal auf dieser Fahrt, dass jemand seine Bewunderung für unsere Kanzlerin kundtut. Vielleicht sehen wir Deutschen alles ein wenig eng, mein Eindruck ist jedoch, dass sie im Ausland bei den normalen Menschen, mehr Bewunderung genießen darf als bei uns. So etwas ist schade und vielleicht sind wir alle ein wenig zu negativ eingestellt, um das Positive nicht mehr zu sehen. In jedem Fall wünschte mir die freundliche Barbesitzerin für das heutige Halbfinalspiel gegen Spanien alles Gute, sie gab mir die Hand darauf, dass Deutschland Fußballweltmeister wird, weil sie meint, dass diese großartige Nation es einfach verdient (ebenfalls nicht meine Worte). Es war eine schöne Unterhaltung, leider viel zu einseitig, auch wenn ich merkte, wie manche Vokabel, die sich passiv in meinem Gedächtnis aufhielt, langsam wieder den Weg in die vorderen Gründe meiner Zunge fand, so dass ich zumindest einfache Antworten zusammen bekam. Warum um alles in der Welt ich vor acht Jahren aufgehört habe, diese wundervolle Sprache zu lernen, weiß der Teufel. Jeden Tag ein bisschen, dann bei Aufenthalten im Ausland reden, reden, reden und es geschieht wie von selbst.
Wahrscheinlich sollte ich erst einmal meine eigene Sprache lernen, dabei bin ich sicher überfordert genug.

Ich kam neben der Unterhaltung auch dazu, noch einiges zu schreiben. In dem Raum mit angenehmer Temperatur hielt ich es eine Weile aus, schrieb eine fürchterliche Folterszene, die mir beängstigender Weise auch noch wirklich gut gelungen ist, für meinen gotischen Roman und wartete die größte Hitze ab. Dachte ich zumindest, denn als ich mich gegen fünf wieder auf den Heimweg machte, brannte die Sonne noch immer gnadenlos auf mich hinab. Diesmal musste ich jedoch nach oben. Schritt für Schritt. Ich habe mir angewöhnt, niemals über das über mich hineinbrechende Leiden nachzudenken, sondern weiter zu gehen, bis es irgendwann so weit weg ist, dass es sich nicht mehr lohnt, darüber zu lamentieren. Das funktionierte auch jetzt, doch die kalte Dusche, die ich nehmen musste, um wieder auf eine gesunde Temperatur abzukühlen, dauerte eine ganze Weile.

Den Nachmittag nutze ich, um mir über die Reise Gedanken zu machen. Es läuft alles zu glatt, die Länder, die ich bereise, sind so sehr auf Touristen eingestellt, dass sie mich vor nur unzureichende Herausforderungen stellen. Daher denke ich darüber nach, Italien in den nächsten beiden Wochen zu durchqueren, kurz nach Österreich zu fahren, um mich dort mit deutschsprachiger Literatur einzudecken, und dann meinen Weg nach Ex-Jugoslawien zu suchen und ich rede nicht vom bereits angepassten Kroatien. Auch Bulgarien oder Rumänien wären Alternativen, kenne ich alle noch nicht. Ich werde den Gedanken etwas sacken lassen, die richtige Route wird sich zeigen, dessen bin ich sicher.
Heute Abend steht zumindest erst einmal das Spiel Deutschland-Spanien an. Mal sehen, ob die drei Deutschen dann genauso laut und lang feiern wie die 60 Holländer gestern.