Silifke
Ich sitze vor dem Camper, sehe direkt aufs Meer. Aber es ist anders als sonst. Wie über Nacht habe ich mich entschieden, morgen umzukehren. Vielleicht hat es sich angekündigt, doch quälte ich mich mit diesem Gedanken eine ganze Weile. Wie schwer es tatsächlich war, werde ich sicher vergessen, doch im Moment fühlt es sich wehmütig an. Das also ist der östlichste Punkt meiner Reise. Weiter wird es diesesmal nicht gehen. Bin ich geschlagen? Habe ich aufgegeben? Manchmal kamen mir diese Gedanken heute. Es hätte sicher Wege gegeben, sichere wie unsichere. Ich hätte von Antalya aus einen Flug nach Berlin nehmen können. Anscheinend ist es den Türken egal, ob ich das Auto hier lasse. Alles hätte ich organisieren können, Visa, Carnet de Passage, und was weiß ich noch alles. Aber ich wollte nicht. Ich hätte auch zur syrischen Botschaft in Ankara fahren können, es dort probieren. Oder einfach zur Grenze, vielleicht hätten sie mich durchgelassen. Am Ende schreckte mich die üppige Dieselsteuer von 100 Dollar die Woche, die sich ebenfalls als Vorwand für einen Nicht-Besuch eignet. Am Ende jedoch steht die Tatsache fest, dass ich ziemlich reisemüde bin. Was sich die letzten Wochen abzeichnete, vor allem wenn ich mir das Journal durchlese, kann ich es direkt oder indirekt nachverfolgen: Die Faszination ist nicht mehr so groß, wie am Anfang. Wie begeistert klingen noch die Berichte, die ich vor einem halben Jahr verfasst habe. Und nun? Ist es etwa Routine? So etwas Wundervolles wie diese Fahrt zu einer Farce verkommen? Ich möchte das nicht akzeptieren, es tut mir weh.
Daher habe ich mir, während ich heute Morgen dabei war aufzustehen, was sicher mindesten 45 Minuten gedauert hat, ausgedacht, wie ich den „Umpf“ auf dieser Reise wiederfinden kann. Es steht jetzt fest, ich werde die Türkei verlassen. Nicht schnell, aber bestimmt. Morgen fahre ich die erste Etappe zurück, werde sicher nur bis Alanya kommen, denn es soll nicht in Stress ausarten. Vielleicht mache ich einen Abstecher nach Kas, fahre diese Ausbuchtung in Richtung Fetiye entlang, verbringe auch dort noch einige Tage. Vielleicht halte ich nochmals in Izmir, um etwas einzukaufen, es bietet sich beinahe an. Doch dann ist es vorbei. In Alexandoupolis, kurz hinter der Grenze, mache ich Halt, werde dort eine Fähre von Igoumenitsa buchen. Auch diesen Ort kenne ich schon, habe dort Anfang September meine Griechenland-Rundfahrt begonnen. Und dann heißt mein heiß ersehntes Ziel Italien. Das Land also, in das es mich immer wieder zieht. Wenn alles zusammenbricht, bin ich in Italien. Ach, wie dramatisch. Das alles wird nicht von heute auf morgen geschehen, aber es ist doch ein folgeschwerer Tag heute, denn letztlich hört heute das Zaudern auf. So mache ich es jetzt, so und nicht anders.
Ich mag gar nicht die Geschichten der letzten Tage lesen, die sich sicher anhören wie das Geheule einer Trantüte, die sich nicht entscheiden kann. Nun aber ist es geschehen. Und es ist sicher keine Niederlage, sondern eben eine Entscheidung. Es ist meine Fahrt, ich mache das, was mir Spaß macht. Und Syrien würde mir jetzt keinen Spaß machen. Vielleicht wähle ich als letztes Land Tunesien aus. Denn ich möchte auf alle Fälle weiter nach Sizilien, von dort gibt es Fähren nach Afrika. Aber das ist Zukunftsmusik. In jedem Fall sind die bürokratischen Hürden für eine Einreise nach Tunesien nicht so hoch, somit hätte auch ich eine Chance, das zu bewältigen. Aber wir werden sehen.
Es ist eigenartig. Ich fuhr heute nach Silifke, einerseits um einzukaufen, andererseits um mir die Stadt anzuschauen. Ersteres funktionierte natürlich, zweiteres nicht sehr gut, weil die Stadt etwas langweilig ist. Ein römischer Tempel, völlig zerfallen, liegt mitten zwischen modernen Häusern, dazwischen Müll und Unkraut. Hoch über der Stadt thront eine alte Burg. Dort wollte ich hinauf, doch fand ich den Weg nicht. Ich lief kilometerweit an einem Fluss entlang, sah die Burg über mir, aber den Pfad nach oben fand ich nicht. Irgendwann gab ich auf, denn die Häuser wurden immer spärlicher und ärmlicher und eigentlich war auch der Burgberg längst vorübergezogen. Es hat andere Zeiten gegeben, da wäre mir das nicht geschehen. Ich hätte mit Sicherheit nicht aufgegeben. Heute jedoch passte es ins Gesamtbild. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich mir wenig von dem Ausblick erhoffte. Die Stadt liegt eben nicht am Meer.
Stattdessen ging ich einkaufen. Heute feiere ich mit den Schweizern, die indirekt zu meiner Entscheidung beigetragen haben. Sie haben die letzten Zweifel Syrien betreffend zerstreut, unwissentlich natürlich, denn sie haben mich nur merken lassen, was ich eigentlich wollte. Eine Tajine steht somit bereit, gekocht zu werden. Ein Rotwein ebenfalls.
Und ich badete noch ein letztes Mal im Meer. Es war erstaunlich warm, wenn man bedenkt, dass es Mitte November ist. Dieses Vergnügen habe ich mir nicht oft gegönnt, heute schien es angebracht.
So geht also die Fahrt zu Ende, die im Grunde bei Essaouira in Marokko begonnen hat. Seither fahre ich mehr oder weniger stetig gen Osten. Ich möchte es nicht als das Ende sehen, eher als eine andere Richtung. Auch die Fahrt ist deshalb nicht vorbei. Das wird sie erst sein, wenn ich nach Berlin fahre.
Das aber wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Morgen beginnt die Reise erneut. Und hoffentlich kehrt mein alter Biss zurück. Wäre doch sonst ein Jammer.