Heraklion, Archäologisches Museum

Gestern also begann ein neuer Reiseabschnitt.
Nachdem die Fähre aus Naxos pünktlich abgefahren war, hat sie dann auf der Reise nach Heraklion doch etwas Zeit verloren. Erst gegen halb acht erreichten wir den Hafen. Das Boot hatte sich in Santorini vollständig gefüllt. Und zwar mit einer anderen Klientel als derjenigen, die auf den Kykladen urlaubt. Partytouristen würde ich sie freundlich nennen. Die Zahl der gestylten Fingernägel und unter der Nase hängenden Masken hatte eindeutig zugenommen. Ich weiß nicht, aber wenn ich mich einmal mit Corona infizieren sollte, dann bei solchen Gelegenheiten.
Die Ankunft war entsprechend hektisch. Ich schob so ruhig wie es ging mein Rad die Rampe der Fähre herunter, dann war ich da. Das Erste, das ich sah, war ein kleines Riesenrad. In diesem Augenblick habe ich kurz bereut, hergefahren zu sein und nicht nach Serifos oder Sifnos. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr, ich wollte möglichst rasch die gebuchte Ferienwohnung erreichen. Keine Ahnung, was man früher gemacht hat, aber in dem Gewirr dieser relativ großen Stadt konnte ich mich ohne GPS nicht zurechtfinden. Es war Freitag Abend, die Straßen gefüllt. Ich hatte den Eindruck, dass sich jeder Heraklite (oder wie immer man die Einwohner von Heraklion nennt) auf der Straße befand. Oder auch jeder Tourist. Die Leuchtreklame der Kaufhausketten wie Zara und H&M leuchteten mir entgegen, ich hingegen schob das Rad, immer den ungefähren Anweisungen des Navis folgend. Tatsächlich habe ich mich doch verlaufen, rechts und links zu unterscheiden ist oft nicht leicht. Aber irgendwann war ich aus dem Zentrum draußen, die Lichter wurden finsterer, die Straßen enger, aber auch weniger befahren.
Ich erreichte ein venezianisches Tor. Das war ein gutes Zeichen, denn in der Nähe musste die Wohnung sein. War sie auch, in einer winzigen Gasse, die ich ohne Navi nie gefunden hätte. Ich rief meine Vermieterin an, die eine Minute später den Türsummer unten betätigte.
Ich war angekommen.
Die Wohnung selbst würde ich als praktikabel bezeichnen. Ein kleines fensterloses Schafzimmer, eine Küche mit Sitzgelegenheit, sicher insgesamt keine 20 m². Oder weniger. Die Möbel waren alt, alles hätte einer Renovierung gutgestanden. Aber so war es jetzt eben. Es war blitzsauber, also kann ich mich nicht beschweren. Aber für 40 Euro die Nacht hatte ich in Naxos ein mehr als passables Zimmer mit Küchenzeile bekommen. Dort aber ist die Saison (angeblich) beendet, während sie hier offensichtlich noch in vollem Gang ist. Meine Wirtin hatte mich mit süßem Wein und Weintrauben ausgestattet, trotzdem lief ich zeitig los, um noch ein paar Besorgungen zu machen. Es war Viertel vor neun, also hatte ich eine Viertelstunde, um mich an diesem Samstag noch mit ein paar Lebensmitteln einzudecken. Der Supermarkt liegt nur 100 Meter von der Wohnung entfernt. Ich brauchte nicht viel.
Reisen ist anstrengend, wie ich jetzt merkte. Es sollte kein besonders langer Abend werden.
Am nächsten Morgen erwachte ich und war erstaunt, wie leise es war. Keine knatternden Roller, keine laut schimpfenden (oder redenden) Menschen. Die Großstadt ist leiser als die winzigen Kykladendörfer. Vielleicht habe ich es aber auch nur besonders gut getroffen.
Ich habe für die nächsten beiden Tage einen Plan: Erst ein wenig durch die Stadt schlendern, dann ins archäologische Museum, morgen dann nach Knossos. Und das machte ich auch. Um neun hatte ich alles erledigt, einschließlich einer Katzenwäsche mehrerer T-Shirts, dann ging ich los. Schon jetzt war es heiß. Es soll in den nächsten Tagen so bleiben, ungefähr 33 Grad, dann soll es etwas kühler werden, was zum Reisen nicht das Schlechteste wäre.
Die Stadt, die mir am Abend so chaotisch vorgekommen war, erschien jetzt regelrecht domestiziert. Kaum jemand war unterwegs, die Geschäfte hatten geschlossen, nichts wirkte so wie gestern. Aber so ist das an einem Sonntagmorgen wahrscheinlich überall.
Ich flanierte trotzdem durch die Stadt, deren Zentrum ich tatsächlich verpasste. Ich fand es erst, nachdem ich das Navi konsultiert hatte. Eine reife Leistung, denn so groß ist es nicht. Ich entdeckte den berühmten Löwenbrunnen, die venezianische Loggia, ein Gebäudetyp, den ich aus dem Norden Italiens und auch aus Kroatien kenne. Aus einer Kirche hörte ich die typischen Gesänge des Priesters, natürlich war es Messezeit.
Nach einer Stunde hatte ich erst einmal genug, entschied mich dazu, das Museum aufzusuchen. Zwar habe ich mich vorbereitet, habe einen Reiseführer gelesen und eine exzellente Doku mit Bethany Hughes zumindest teilweise gesehen, aber irgendwie ist nicht viel hängengeblieben. Aber im Grunde macht das nichts, denn historischer Kontext zerstört oft die Sicht auf die kunstvollen Objekte, von denen man viele eher mit dem Herzen als mit dem Kopf betrachten sollte. Ich musste am Eingang tatsächlich mein Impfzertifikat und den Ausweis zeigen, bevor ich hineindurfte.
Das Museum ist hervorragend in allen Belangen. Es ist hell und luftig, die Infotafeln ausführlich. Ich habe es zwar nicht bemerkt, aber es muss auch Audioguides geben. Keine Ahnung, warum Museen das nicht über Smartphones anbieten, aber in ein paar Jahren wird das wohl überall Usus sein.
Die Ausstellung beginnt in grauer Vorzeit. Schon zur Steinzeit haben hier in Heraklion und Umgebung Menschen gelebt. Natürlich aber konzentriert sich das Museum auf die berühmteste Epoche in der Geschichte der Insel, die Zeit der minoischen Kultur. Langsam baut sich die Aufstellung auf. Und schafft etwas, das ziemlich selten der Fall ist: Sie stellt nachvollziehbar die Entstehung der Hochkultur dar. Anfangs mit einfachen Tongefäßen, die bereits verziert sind, später werden die Objekte nicht nur opulenter, sondern auch immer kunstvoller, bis hin zu einer einzigartigen Vollendung. Dabei kam mir der Gedanke, dass sich eine Gesellschaft diese Art von Kunst erst einmal leisten können muss. Nur wenn Menschen nicht für den täglichen Broterwerb notwendig sind, können sie sich den schönen Künsten zuwenden. In der Hochzeit der Minoischen Kultur werden die Objekte jedenfalls immer perfekter. Ein Stierkopf gefiel mir besonders gut, das Kunstwerk ist mehr als 3500 Jahre alt, aus Stein gearbeitet und verziert (so genau weiß ich es nicht). Der Stier spielt überhaupt eine übergeordnete Rolle. Er hat sich auch im antiken Mythos vom Minotaurus erhalten.
Dann aber begann der Zerfall. Sichtbar anhand der Objekte.
Sie wurden wieder einfacher, die filigranen Kunstwerke verschwanden allmählich oder wurden kruder. Niemand weiß genau, warum dieser Niedergang begann. Aber er hat stattgefunden. Vielleicht waren die Mykener Schuld daran, das kriegerische Volk vom Peloponnes, das auch Troja zerstört hat. Jedenfalls wurden die Tonobjekte immer einfacher, ebenfalls die Statuen.
Im oberen Stockwerk wurde ich dann aber nochmals kurz zur Hochzeit zurückgeführt, wahrscheinlich aus Platzgründen befindet sich hier ein riesiger Saal mit den erstaunlichsten Fresken. Dafür ist Knossos, der großartige Palast, den ich morgen sehen werde, berühmt, obwohl ich denke, dass ich die herausragenden Objekte bereits heute gesehen habe. Trotzdem brauche ich den Kontext.

Ab diesem Moment aber begann die Ausstellung, mich weniger zu interessieren. Vielleicht weil ich mich bereits seit fast zwei Stunden im Museum befand, vielleicht weil ich merkte, dass sich die größten Schmuckstücke wirklich unten im Erdgeschoss befanden. Der obere Teil befasst sich entsprechend mit der späteren Geschichte der Insel, bis hin zu den Römern, die ebenfalls hier waren (sie waren ja eigentlich überall, außer in den meisten Teilen von Deutschland). Ich sah alte Bekannte, Gefäße aus der geometrischen Epoche, Mosaike und Marmorstatuen, römische, die Kopien von griechischen Originalen waren. Ich sah mir alles mit Interesse an, ohne aber noch viel Leidenschaft zu entwickeln. Tatsächlich kenne ich das, je länger ein Museumsbesuch dauert, desto weniger bin ich in der Lage, die Informationen und Eindrücke zu verarbeiten. Deshalb war es gut, dass die Hochphase der Minoischen Kultur relativ dynamisch ausgestellt ist.
Danach genoss ich noch die Aussicht von der Terrasse des Museums auf das Meer. Und freundete mich mit einigen Kittens an, die sich hier im Schatten ausruhten.
Jetzt sitze ich bei Gregorys, habe leicht geluncht, ein Espresso hat mich in die Lage versetzt, genug Energie für diesen Blog zu finden.
Morgen geht es weiter, nach Knossos, und zwar mit dem Rad, das ich das erste Mal auf dieser Reise einsetzen möchte. Mal sehen, wie es wird.
Ich bin gespannt.
Eines weiß ich: Heraklion hätte noch mehr zu bieten als für die beiden vollen Tage, die ich hier sein werde. Aber ich denke, dass ich am Ende der Fahrt noch einmal hier sein werde. Dann wird auch noch Zeit sein für das eine oder andere Museum.
Und vielleicht beginnt mein Sabbatical nächstes Jahr auch wieder hier, dann vielleicht mit Ehefrau Nina. Aber das werden wir sehen.