Aix-en-Provence

Urlaub. Ich denke, dass heute ein Tag war, an dem wir nicht viel mehr getan haben als uns zu erholen. Meiner festen Überzeugung nach spielt die Wahl dieses Ortes allerdings eine ganz wesentliche Rolle dabei, denn wie wir bereits im letzten Jahr bemerkten, haben wir uns schon damals in Aix besonders entspannt. Vielleicht so sehr, dass wir – bei gerade einmal zwei Wochen Urlaub damals – bereits nach einem Tag von der Stadt verabschiedet haben, um nicht unsere kostbare Zeit zu verschwenden. Was für ein Wort im Zusammenhang mit Aix: Verschwendung. Das ist natürlich Unsinn, denn nirgends sonst sieht man die französische Lebensweise auf solch perfekte Art.
Am Morgen haben wir erst noch den einen oder anderen Schauer überstehen müssen, haben in den Trockenperioden dafür gesorgt, dass der Camper gut durchgelüftet wurde. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, wie es Reisenden mit Zelten ergangen sein muss, deren Habe sicherlich unweigerlich vollkommen durchnässt, im schlimmsten Fall sogar verschlammt sein muss.

Ab einem gewissen Punkt jedoch wurde es immer einmal wieder sonnig, zwar sahen die Wolken noch bedrohlich aus, doch um die frühe Mittagszeit herum wagten wir es, in die Stadt zu gehen. Ich glaube, dass das der erste Tag und der erste Ort ist, über den ich im Reiseführer nichts weiter gelesen habe. Ich weiß, dass schon die Römer die Quellen in Aix genutzt und eine Art Thermalbad gebaut haben. An einem Ort wie diesem, an dem sich also nachweislich schon seit zweitausend Jahren Leute entspannen, muss man doch die Gesinnung dieser Menschen ehren. Ganz im Ernst, sobald man in das Zentrum kommt, reiht sich ein Café oder Restaurant ans andere, mehr noch als in jeder anderen Stadt, die ich bislang gesehen habe. Überall sitzen die Menschen bei ihren Kaffees oder Drinks, unterhalten sich oder schauen sich die Vorübergehenden an. Wahrscheinlich ist das alles vollständig subjektiv, doch irgendwo muss ich doch diesen Eindruck herhaben.
Wie gestern auch schon begannen wir unseren stundenlangen Rundgang am Mirabeau. Was mir ebenfalls in Aix auffällt, es ist nicht nur alles sehr herausgeputzt, es ist auch alles sehr „sorgfältig“. Ich meine damit das gesamte öffentliche Leben, in Geschäften achtet jeder besonders sorgfältig darauf, seine Produkte in Szene zu setzen, alles geschmackvoll zu dekorieren, mehr noch als sonst. Selbst Zeitungs- oder Elektroläden bilden davon keine Ausnahme. Natürlich sind Pralinengeschäfte oder Konditoreien außergewöhnlich appetitlich. Das macht das „Window-Shopping“ hier so angenehm und sogar ich, der sich kaum von so etwas faszinieren lassen kann, hatte meinen Spaß dabei. Meinen Kleidergeschmack jedoch, den ich an diesem Tag viel zu lautstark kundtat, brachte mir bei Nina jedoch den Ruf ein, damit besonders in der Motzstraße um den Nollendorfplatz (eine Gegend, in der viele Homosexuelle wohnen) in Berlin erfolgreich zu sein. Kein besonders schönes Kompliment, aber vielleicht hatte sie recht. Es war nicht wirklich die männlichste aller Moden. Lustig war es trotzdem, vor allem weil hier auch sehr viele meiner Geschlechtsgenossen so gekleidet herumlaufen. Aber vielleicht kennen die auch die Motzstraße in Berlin.

Palermo

Es war gestern ein feucht-fröhlicher Abend. Zusammen mit einigen anderen Reisenden feierten wir, aßen Pasta und tranken viel zu viel Wein. Das Ergebnis war das Übliche. Die Nacht war unruhig, am Morgen hatte ich natürlich einen kräftigen Kater und aus dem Bett kam ich auch nicht rechtzeitig. Eigentlich hatte ich vorgehabt, sehr früh zu starten, denn ich hatte einen weiten Weg vor mir, gegen mich arbeiteten die unmöglichen Öffnungszeiten der sizilianischen Attraktionen. Gegen zehn war ich jedoch unterwegs, meiner Berechnung nach sollte es reichen. Wer konnte ahnen, dass ich beinahe ein Desaster erleben würde. Der erste Bus kam nicht. Zwanzig Minuten stand ich an der Haltestelle, war schon soweit zu verzweifeln. Bevor ich mich jedoch wieder auf den Heimweg machte, kam er doch noch. Den zweiten Bus erreichte ich rennender Weise in letzter Sekunde, bevor er mir vor der Nase wegfahren konnte. Hier rächte sich das gestrige Gelage, denn nach dem üppigen Zuspruch an Alkohol bin ich immer völlig außer Form. Meine Lunge stach, das Herz raste, aber ich hatte es geschafft, saß im Bus. Was aber auch nicht half, denn der bewegte sich kaum vorwärts. Zehn Minuten später hatten wir vielleicht zweihundert Meter geschafft. Es war zum Verrücktwerden. In der Stadt war ich dann weit nach elf. Um den nächsten Bus nach Montreale zu nehmen, musste ich an der Porta Nuova vorbei zum Piazza Indipendenza laufen, sicher ein kleiner Fußmarsch von mehr als einem Kilometer. Wenigstens ging es voran, sicher schneller als in den Öffentlichen. An der Haltestelle angelangt, wartete ich zusammen mit vielen anderen Touristen, die die gleiche Idee gehabt hatten wie ich. Stoisch ertrugen wir das Voranschreiten der Zeit, wohl wissend, dass mit jeder Sekunde unsere Zeit im Dom Montreales abnehmen würde. Als der Bus endlich kam, war es bereits weit nach halb zwölf. Wie zu erwarten war, bewegten wir uns im Schneckentempo voran, erst durch den Verkehr gehemmt, dann durch die satte Steigung, mit der jeder Diesel zu kämpfen gehabt hätte. Endlich waren wir da, es war bereits Viertel nach zwölf. Uns blieb eine halbe Stunde, um eine der schönsten Kirchen in Sizilien zu sehen, außen ein wuchtiger, normannischer Bau, innen aber fein dekoriert. Man muss sich das vorstellen, ich war über zwei Stunden unterwegs, um letztlich 30 Minuten Zeit zu bekommen. Ich machte das Beste daraus.

Wir verbrachten Stunden damit, einfach nur durch die Gassen zu schlendern, auch folgten wir dem Beispiel der Franzosen und setzten uns draußen auf die Terrassen der Cafés, nur so, beobachteten stundenlang das Geschehen um uns herum. Das Schöne ist, dass es nie langweilig wird. Die historische Kulisse tut ihr übriges zum Ambiente, nirgends sonst habe ich mich so sehr am rechten Platz gefühlt wie hier heute in Aix. Dabei haben wir im Grunde nichts besichtigt, haben einfach nur existiert und sind dabei sicherlich der südfranzösischen Lebensweise näher gekommen als in den Museen der Stadt. Vielleicht tun wir Cezanne unrecht, aber ich denke, dass wir ihm letztes Jahr genug Zeit eingeräumt haben und nicht nur damals, auch die anderen Male, die wir vor seinen Bildern standen. Vielleicht verstehe ich ihn sogar noch besser, wenn ich eines Tages – nicht in diesem Urlaub – den Mont St-Victoire besteige und mir einige seiner Motive ansehe. Bislang verstehe ich seine Farbgebung noch nicht, ich hatte bislang keinen Erfolg damit, mit seinen Augen zu sehen. Aber das kommt, wenn es Zeit dafür ist.

Besonders viel Freude hatten wir übrigens heute auf dem Place Hotel de Ville, ein herrlicher Ort, um Menschen zu beobachten. Zwar kostet der Kaffee etwas mehr, aber das ist es wert. Übrigens kamen wir an einem Geschäft vorbei, das Fernseher im Angebot hat. Dort waren Nachrichten zu sehen. Wir sahen grauenvolle Bilder von wüsten Überschwemmungen, Autos, die unter Wasser standen, Menschen, die sich auf Bäume retten mussten, um nicht von den Fluten erfasst zu werden. Wie groß unser Schreck war, als wir erfuhren, dass von der Provence und Cote d’Azur die Rede war, von Orten, die nur wenige Kilometer von der Strecke entfernt lagen, an denen wir gestern vorbei gefahren waren. Wir konnten uns von den Bildern kaum losreißen, man kann so etwas wahrscheinlich nicht verstehen, wenn man es nicht zumindest in Anteilen gesehen hat, so wie wir gestern die sintflutartigen Regenfälle, die man nun wirklich – nach diesen Ereignissen – völlig berechtigter Weise so nennen darf. Ich kenne das von mir, wenn ich von Katastrophen höre, muss ich gestehen, dass es mich selten berührt, weil ich es mir kaum vorstellen kann. Selbst Bilder im Fernsehen scheinen so unwirklich, dass sich in mir der Schalter für Emotionen nicht umlegt. Eigentlich eigenartig, aber heute hat er sich bewegt. Vielleicht weil die Städtenamen so vertraut und so nah klingen und wir selber gestern einfach nur sehr viel Glück gehabt haben.

Am Nachmittag war dann vom Unwetter gar nichts mehr zu sehen, die Sonne schien wieder ohne Pause.
Morgen werden wir endlich das tun, was ich mir schon seit dem letzten Jahr vorgenommen hatte: Wir werden in die Stadt fahren, um uns die berühmten Märkte anzusehen. Letztes Jahr kamen wir zu spät und hatten nicht den Nerv, zwei Tage zu warten. Das war närrisch und ich habe es immer bereut. Nun, morgen haben wir wieder eine Chance. Diesmal werden wir sie nutzen.