El Jadida

Wieder ließ ich den Tag ein wenig ruhiger angehen. Heute spürte ich den gestrigen Marsch in de Knochen und fühlte mich generell nicht sehr ausgeschlafen. Ich kenne das von vergangenen Reisen. Wenn ich zu viele Dinge sehe, ohne den nötigen Abstand, um die Bilder im Kopf zu verarbeiten und die Reize aufzunehmen, ermüde ich. Das war heute der Fall, so dass es eine weise Entscheidung war, nicht sofort nach Marrakesch aufzubrechen, sondern die Reise am Atlantik fortzusetzen, wo mich kleinere Orte erwarteten. Der Erste von ihnen sollte El Jadida sein. Ich entschied mich folgenschwer für eine Fahrt auf der Bundesstraße und nicht über die Autobahn, in der Hoffnung, auf diese Weise mehr vom Land zu sehen. Schon der Weg aus Mohammedia hinaus war allerdings erschöpfend, denn es ging nur langsam voran. Dabei fiel mir auf, dass es hier besonders viele Pferdekutschen gab, auf denen Leute alles Mögliche transportierten. Diese Kutschen gehören anscheinend immer noch zum alltäglichen Bild und ich sah sie von nun an öfter, auch auf den Bundesstraßen, manchmal mit sicher über 10 Personen beladen. Auch sah ich auf dem Weg nach Casablanca die berüchtigten „Tin Cities“, Slums in Reinkultur. Die Häuser bestehen, soweit ich im Vorbeifahren sehen konnte, nur aus Holz und Wellblech, manchmal auch einigen Ziegelsteinen. Alles sieht heruntergekommen und schmutzig aus, obwohl ich merkwürdigerweise keine Bedrohung gespürt habe. Ich habe es allerdings, wie ich gestehen muss, nicht gewagt auszusteigen. Ein mutigerer Mann als ich hätte sich die soziale Situation sicher aus der Nähe betrachtet, aber dazu konnte ich mich nicht durchringen.
Diese Slums zogen sich über mehrere Hundert Meter dahin, sind also erschreckend groß. Das Merkwürdige dabei ist, dass auf der anderen Straßenseite schicke Appartmentblocks stehen, die nagelneu sind. Auch fiel mir auf, dass in der Gegend rege gebaut wird. Vielleicht sind diese neuen Bauten ja für die arme Bevölkerung, damit diese furchtbaren Slums verschwinden können. Ich wage es kaum zu hoffen.
Die Fahrt selbst zog sich hin und ich kam kaum voran, so dass ich bald beschloss, auf die Autobahn zu wechseln. Ich fand eine wesentlich größere Bundesstraße, nahm an, dass es sich dabei um die Autobahn handelte. Erst später stellte ich fest, dass dem nicht so war, doch da war ich schon gut unterwegs. Trotzdem hatte ich noch vor Casablanca sehr viel Zeit verloren, so dass ich für die Strecke von nicht einmal 120 Kilometern gut drei Stunden brauchte. Allerdings kam ich auf meine Kosten, denn ich durchfuhr auf diese Weise viele Orte und kann wenigstens dabei zusehen, wie die Menschen leben. Was mir auffällt, ist die Tatsache, dass zu jeder Tageszeit viele Menschen unterwegs sind. Besonders in den Städten sieht man sie, meist tun sie nichts weiter, stehen oder sitzen am Straßenrand, viele wollen per Anhalter mitgenommen werden. Aber auch zwischen den Städten gehen viele am Wegesrand entlang, keine Ahnung, was sie alle tun. Auch auf der Autobahn neulich ist mir das aufgefallen, selbst Kinder halten sich auf dem Seitenstreifen auf.

El Jadida 

Auch gibt es eine Unmenge an Polizeikontrollen, auf dem kurzen Abschnitt heute kam ich alleine an Dreien vorbei, weitere zwei Radarkontrollen habe ich gesehen. Damit ist Marokko das am meisten kontrollierte Land, das ich kenne, was nicht viel heißt. Ich kenne ja kaum etwas.
El Jadida erreichte ich um die Mittagszeit und nach einer kurzen Pause machte ich mich vom Campingplatz auf in Richtung Stadt. Ich lief am Strand entlang, der sich bis zum Hafen erstreckt, mehrere Kilometer feiner Sandstrand, der weitestgehend sauber ist. Sicher der Schönste, den ich bislang hier gesehen habe. Die Jugendlichen spielen dort Fußball, bei Ebbe haben sie sehr viel Platz.
In El Jadida konnte ich die Hinterlassenschaften einer anderen Nation bewundern die der Portugiesen. Sie haben eine befestigte Stadt gebaut, die heute zwar dringend renoviert werden müsste, dadurch aber einen antiken Charme ausstrahlt. Im alten Fort habe ich die Zisternen besichtigt, ein stiller Ort mit grandiosen Gewölben, die ich sonst nur aus Kirchen kenne. Der Boden war mit einer Lache Wasser bedeckt, in der sich das Licht aus der einzigen Öffnung, sicher ein ehemaliger Brunnen, mysteriös spiegelte. Leider ist die Festung oben nicht gut erhalten und daher nicht betretbar. Wieder draußen ließ ich mich auf einen Wortwechsel mit einem Händler ein, der mir ein Modell der Stadt zeigen wollte, dass er anscheinend selbst gebastelt hatte. Es folgte natürlich, was folgen musste, nach einer Minute des Geplänkels versuchte er, mich in seinen Laden hineinzuziehen. Wäre ich cool gewesen, hätte ich das durchaus tun können. Bin ich aber nicht. Ich weiß auch, dass seine Waren mir durchaus gefallen, kenne aber auch meine Schwäche, nicht „nein“ sagen zu können. Daher, um meinen Geldbeutel zu schonen, der noch immer die Ausgabe der neuen Kamera zu verkraften hat, weigerte ich mich, in den Laden zu treten und wünschte noch einen schönen Tag. Was der Händler jetzt von sich gab, verstand ich nicht, da er arabisch redete, doch jetzt hätte ihm ein wenig Coolness gut gestanden. Dass er mich beschimpfte, war klar. Auf der anderen Seite ist es doch in diesem Fall egal, denn viel verloren habe ich sicher nicht. Und ganz bestimmt finde ich im Laufe meiner Reisen hier nettere Händler, die meine Dirham eher verdienen als er.
Ich ging einmal um die Stadt herum, auf der Stadtmauer. Besonders auf den Türmen waren noch alle möglichen Kanonen zu sehen, die jetzt vor sich hin rosten. Die Anlage selbst ist ungefähr aus dem 16. Jahrhundert, allerdings meine ich, auch eine Waffe vom Anfang des letzten Jahrhunderts gesehen zu haben. Ich muss allerdings gestehen, dass ich mich damit nicht auskenne, es ist also eine reine Vermutung.
So verbrachte ich ungefähr eine Stunde in El Jadida, am Ende war ich recht froh, dass es sich um eine kleine Stadt handelte, denn nach einem Spaziergang auch in der Anlage, hatte ich eigentlich genug. Der Lonely Planet hat ein Restaurant empfohlen, dass „einen wie die Einheimischen grinsen“ lassen soll, wenn man die Meeresfrüchte hier genießt. Es heißt passend Costeau und ich ringe damit, nochmals in die Stadt zu laufen. Warum eigentlich nicht? Ein wenig gute Laune tut doch immer gut.