Kramsach

Tag eins meiner Reise ist beinahe schon bald vorbei. Nachdem ich gestern noch einen Tag Urlaub eingeschoben habe, an dem ich aufgrund der Hitze nichts zustande gebracht habe, was von Anfang an meine Absicht war, wachte ich heute Morgen gut erholt auf. Trotzdem war es ein merkwürdiges Gefühl, denn wieder muss ich mich daran gewöhnen, alleine zu schlafen.
In der Nacht hatte ein kräftiges Gewitter für Abkühlung gesorgt. Ich hatte einige Befürchtungen gehabt, weil ich vor Jahren eine Stelle am Camper im Dach geflickt hatte, die die ganze Zeit über dicht gewesen war. In den letzten Tagen hatte sich dort allerdings Feuchtigkeit gesammelt. Ich kontrollierte die Stelle gleich nach dem Aufwachen. Doch sie war völlig trocken, so als wäre niemals etwas gewesen. Ich halte nichts von diesen Phänomenen. Wenn sich dort Wasser gesammelt hat, wird es auch wieder geschehen. Bevor ich nun allerdings alles wieder aufreiße, was angesichts der Tatsache, dass ich die Stelle mit Glasfaser und Kunstharz völlig versiegelt hatte, auch nicht ganz einfach wäre, werde ich noch ein wenig beobachten, vielleicht handelt es sich auch nur um eine winzige Stelle.

Ich war mir noch nicht ganz sicher, ob ich noch einen Tag länger bleiben wollte, doch verspürte ich nicht die geringste Lust, heute schon wieder auf die Reise zu gehen. Stattdessen wollte ich meine wiedergefundene Fitness ein wenig konservieren, so dass ich mich schon bald auf einen Spaziergang begab. Er führte mich um einen winzigen See, den ich normalerweise als Tümpel bezeichnen würde, es hier aber ausdrücklich nicht tue, weil ich sonst diesen Alpenseen sicher nicht gerecht werde. Der Ort Kramsach selbst langweilte mich zutiefst. Hier gab es nichts von Interesse, wobei ich nicht hätte sagen können, wo dieses Interesse hätte liegen können. Das braucht es auch nicht. Denn die großen Attraktionen liegen hier überall – oder besser türmen sich auf. Wer nach Tirol in die Alpen fährt, um beeindruckende Städte zu sehen, der hat nicht bis zum Ende gedacht. Auch wenn es die gibt – Innsbruck, Bozen, um nur einige zu nennen – ist es dennoch unvermeidbar, sich auf die Berge einzulassen. Eine Gipfeltour wollte ich nicht unternehmen, dafür war ich nicht vorbereitet, aber ein wenig erkundigen konnte nicht schaden. Im Touristenbüro erhielt ich eine kostenlose Wanderkarte. So etwas scheint im Preis der üppigen Kurtaxe enthalten zu sein, also nahm ich sie mit. Man muss ja nehmen, was man kann.
Da ich noch nicht zum Campingplatz zurück wollte, nahm ich einen Umweg, der mich an zu einer Seilbahn führte. Dort erfuhr ich, dass ich, wenn ich eine spezielle Karte hätte, die jeder Gast bekäme, wenn er hier nächtigte, gratis fahren könne. Meine Frage, ob auch Übernachtungen auf Campingplätzen dazuzählten, bejahte der Sesselbahnwächter. Warum bekomme ich so etwas nicht? Man erklärte mir, dass jeder Gast der Gegend so etwas automatisch erhält. So ganz scheint die Automatik nicht zu funktionieren. Obwohl ich merkwürdigerweise ein Prospekt darüber erhalten habe. Doch die Karte werde ich mir erst nachher an der Rezeption besorgen.

Von der Sesselbahn in Kramsach lief ich einen Rundweg entlang zurück zum Campingplatz. Die vorher dichte Wolkendecke begann aufzureißen und gab den Blick frei auf die anmutigen Berge, die in dem scharfen Licht noch beeindruckender aussahen als gestern, als die Hitze alles in ein einziges Flimmern getaucht hatte. Nebelfelder zogen noch immer an einigen Stellen vorbei, doch sie trugen zu dieser einzigartigen, alpinen Atmosphäre bei. Hier entschloss ich mich, noch einen Tag länger zu bleiben. Jetzt erst verstand ich, dass es Blödsinn war, sofort weiter zu fahren, auf der Suche nach etwas, das ich längst gefunden habe. Es kommt nicht darauf an, beim Reisen ständig unterwegs zu sein. Hier ist genauso gut wie woanders. Daher kann ich morgen einmal schummeln und eine Sesselbahn dazu benutzen, dem Gipfel schon einmal sehr nahe zu kommen. Zwar werde ich ihn mir nicht verdient haben, aber für morgen soll es einmal genügen. Zumal die Fahrt in diesem Sessellift, in dem es nur einsitzige Sitze gibt, schon eine Art Abenteuer zu sein scheint. Es geht steil in die Höhe und vom Platz aus kann ich die Alm gut erkennen, die so hoch oben zu liegen scheint. Dort werde ich morgen wandern. Irgendwie freue ich mich darauf.
Heute dagegen habe ich Muße und Zeit, an meiner Geschichte zu schreiben. So war es immer geplant. Und so muss es schließlich auch sein.