Villach

Berge wirken beruhigend. Ein Blick heute Morgen direkt auf die noch sehr sanften Hügel und ich freute mich. Einfach nur so, keine Ahnung, wie man das anders beschreiben soll. Es war einfach nur schön, hier zu sein, nichts anderes.
Lange hielt ich mich mit dem sentimentalen Gefühl nicht auf, denn es gab einiges, das ich erledigen wollte. Deshalb war ich hergekommen, deshalb der nicht unerhebliche Umweg.
Als Erstes musste ich die Geschichte mit den Reifen klären. Zwar war ich vor zwei Wochen in Italien bereits bei einer Werkstatt gewesen, doch das Problem war natürlich noch schlimmer geworden. Jeweils an der Außenseite der Fronträder sieht das Gummi aus wie bei Formel1-Wagen. Glatt wie ein Babypopo. Ich hatte Glück und durfte, nach einer kurzen Inspektion des Werkstattmeisters, am frühen Nachmittag wiederkommen, um den Sturz neu einstellen zu lassen. Nico (mein Mechaniker in Caputh, Anm. des Verfassers), du brandenburgischer Grasdackel, das hatte ich dir schon vor einem Jahr gesagt. Na egal, die Reifen gehen zum Glück noch, sagte zumindest der Meister.

Danach ging es erst einmal in die Stadt Villach. Ich war auf so viel Deutsch-/Österreichtum – entschuldigt, für mich besteht in dieser Hinsicht kaum ein Unterschied – nicht vorbereitet. Alles war sauber und ordentlich, die Leute blieben an den roten Ampeln stehen. Einmal wartete ich an einem Zebrastreifen, vor dessen übereilter Überquerung in Frankreich und Italien dringend gewarnt wird, um den Verkehr vorbei zu lassen. Unerwarteterweise blieb der A4 stehen, winkte mich freundlich hinüber. Im Stillen dachte er sich sicher: „So ein Idiot“.
Alles um mich herum sprach deutsch, also musste ich wegen meiner Selbstgespräche, die jeden Alleinreisenden ab einer gewissen Zeit, ungefähr zwei Tage nach Abfahrt, begleiten, vorsichtig sein.
Das Zentrum von Villach ist sehr übersichtlich, alles sehr nett, aber ich konnte nicht umhin, mich sofort zu langweilen. Also ging ich auf kürzestem Wege zu Thalia, den einzigen Buchladen, den ich fand. Dort wollte ich Reiseliteratur für die östlichen Balkanländer bestellen. Das meiste gab es nicht, ein Satz der Mitarbeiterin schreckte mich jedoch auf: „Einfach losfahren und schauen…..“. Ich glaube ja nicht an einfach dahin Gesagtes, dafür sind Worte viel zu mächtig, zumal sie eine sofortige Reaktion in mir auslösten. Warum also einmal nicht einfach drauf losfahren? Sofort legte ich den Slowenien-Führer, den ich bereits durchgeblättert hatte, beiseite und es tat mir beinahe ein wenig Leid, dass ich den Rough Guide für Montenegro bereits bestellt hatte. Doch der Gedanke, einfach einmal mit den eigenen Augen zu sehen, mich vielleicht auf die Informationen der Einheimischen zu verlassen und meine Meinung nicht anhand eines anderen, nämlich des Autors des Reiseführers, bilden zu können, wirkte ausgesprochen charmant auf mich. Zwar würde ich weniger wissen, Geschichte und Kultur würde mir zumindest für den Moment verborgen bleiben, aber was macht das schon?

Da mir Sicherheit beim Übernachten wichtig ist, würde ich die Campingplätze vorher im Internet recherchieren, bzw. mich auf die Symbole auf den Landkarten und die spärlichen Informationen des ADAC-Reiseführers verlassen. Somit wäre es eigentlich erledigt und ich könnte – jungfräulich sozusagen – die Schönheiten des Balkans entdecken. Dass ich nicht auf Felder fahren werde, die mit einem Schild gekennzeichnet sind, die eine Art Pilz zeigen, verspreche ich hiermit feierlich.
Nach einigem Abhängen, in neudeutsch „Tschillen“, in der Stadt und dem Anschauen von Schaufenstern war es Zeit für den Werkstatt-Termin. Es war tatsächlich der Sturz. Was ein Grad Unwucht auf die Dauer ausmacht. Hätte das jemand bereits vor drei Jahren entdeckt oder gar getestet – und ich war was weiß ich wie oft in der Werkstatt, samt drei Paar verschlissenen Frontreifen – es hätte mir eine Menge Geld und Unannehmlichkeiten erspart. Auf der anderen Seite sagte ich mir, dass so etwas einfach dazugehört. Und der Werkstattmeister versicherte mir, dass ich den Sommer jetzt mit dem Paar noch gut überstehen werde. Er weiß sicher nicht, wie weit es noch gehen wird, aber ich rechne damit, das Paar irgendwann austauschen zu müssen. Verschleiß sag ich nur. (Anmerkung 18 Monate später: Die Reifen gaben erst lange nach der Rückkehr, also viele Tausend Kilometer später, ihren Geist auf. Indem einer von ihnen einfach platzte. Es war aber nicht einmal ein Vorderreifen.)

Danach kurvte ich eine Weile in der Gegend herum, auf der Suche nach einem Baumarkt, der vielleicht meine Gasflasche im Camper entweder neu befüllt oder austauscht. Sie ist zwar noch nicht leer, aber sicher ist sicher. Letztlich blieb ich erfolglos, auch Österreich ist ganz in den Händen der monopolistischen Firma Campinggaz, die für horrende Preise winzige Einheiten Gas in allerlei Kartuschen anbietet. Meine ist daher nicht von Campinggaz und auch nicht kompatibel. Mal sehen, wann mir der Saft ausgeht. Das erfordert dann sicher eine intelligente Lösung, aber das Problem werde ich lösen, wenn es sich stellt.
Danach hatte ich frei. Alles in allem also ein praktischer Tag, viel Lärm, wenig bewegt, aber am Ende doch etwas weiser.
Der bestellte Rough Guide wird erst am Mittwoch eintreffen, was mir hier zwei Tage Zeit gibt, die ich für Wanderungen in der Gegend nutzen werde. Auch ist Einiges an Reflektion für den Roman erforderlich, der im Augenblick sehr viel Gehirnschmalz erfordert. Und doch gefällt mir diese Mehrgleisigkeit, das Ausnutzen des Alleinseins und die kreativen Kräfte, die mit jedem Tag stärker werden.
Und ich genieße, dass es niemanden gibt, der mir genau das madig reden kann. Eine Sache, die ich mir für die Rückkehr vorgenommen habe: mit Sicherheit die vielen Bedenkenträger nicht mehr all zu ernst zu nehmen.
Kein einfacher Vorsatz, denn sie sind in der Überzahl. Aber ein wichtiger.