Aix-en-Provence

Markttag in Aix.
Wir hatten uns vorgenommen, sehr früh in die Stadt zu fahren, um nichts zu verpassen. Doch immer, wenn man sich so etwas vornimmt und nicht mit eiserner Disziplin vorgeht, wird aus einem solchen Vorhaben nichts. Tonnenweise Abwasch, das Suchen von Gegenständen, die nicht am rechten Platz liegen gepaart mit einer Spur urläublicher Gelassenheit ließen es rasch zehn Uhr werden, ohne dass wir den Platz verlassen hätten. Mit einem Hauch von Panik machten wir uns dann auf den Weg, ärgerlich über uns selbst. Zumindest mir ging es so, Nina sieht das etwas entspannter.

Es war immer noch recht früh, noch nicht einmal halb elf, als wir im Zentrum ankamen. Viele Bars und Cafés waren sogar noch geschlossen, die Straßen wirkten leer, was vielleicht am erneuten Unwetter letzte Nacht gelegen haben könnte. Auch war es für meine Begriffe eine Spur zu frisch, Mitte Juni erwarte ich in der Provence andere Temperaturen, aber vielleicht liegt es an der Aschewolke des isländischen Vulkans, der vor zwei Monaten den Fluggesellschaften und ihren Kunden so viel Freude bereitet hat. Den ersten Markt fanden wir auf dem Mirabeau, fast die gesamte Länge der überaus langen Straße standen Seite an Seite Kleiderstände. Um noch etwas präziser zu sein, Damenkleiderstände. Die hiesige Männerwelt kommt wie immer bei solchen Angelegenheiten viel zu kurz, aber mit dieser Einstellung stehe ich wohl allein da, sonst gäbe es ja mehr Klamotten für uns. Eigentlich interessierte uns dieser Markt nur peripher, wir gingen sofort weiter Richtung Place Richelme, wo wir einen Lebensmittelmarkt fanden. Ich muss gestehen, ich war ein wenig enttäuscht. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, es entsprach nicht meinen Vorstellungen. Natürlich war die Qualität der Produkte exzellent, das Gemüse frisch, das Brot duftend, doch irgendwie fehlte das Spektakel. Kein Gedränge, nur eine Handvoll Menschen scharwenzelte um die Stände, was die Händler nicht daran hinderte, Kunden ewig lange auf die Bedienung warten zu lassen, aber das ist Tradition und gehört so (auch in Supermärkten). Wir ließen uns natürlich nicht zweimal bitten und kauften gelbe Zucchini, von denen ich mich nicht erinnern kann, sie jemals gegessen zu haben. Eine eigenartige Basilikumpflanze betörte mich mit ihrem Geruch, die zackigen Blätter, die ich so auch noch nicht kannte, zeigten den Weg direkt in meine Einkaufstüte. Also alles in allem, nach zehn Minuten waren wir im Grunde mit unserem Tageseinkauf fertig, gingen noch etwas weiter zum traurigen Blumenmarkt auf dem Place Hotel de Ville, der aus gerade einmal drei Ständen bestand und überlegten, was wir sonst noch tun könnten. Da wir wegen der Märkte hier waren, suchten wir einfach weiter. Am Place Precheur wurden wir wieder fündig. Hier herrschte auch etwas mehr Marktatmosphäre. Die Leute diskutierten über Gott und die Welt, wählten sorgfältig jede Frucht und jedes Salatblatt aus. So muss es doch sein. Es roch nach gebratenem Hühnchen, so dass uns bereits während des Laufens das Wasser im Munde zusammen lief. Auch trafen wir alte Bekannte, zwei Gewürzstände boten Exotisches an, das meiste davon hatte ich jedoch bereits in Marokko gekauft. Der zweite Teil des Marktes bestand aus allerlei nutz- oder auch sinnlosem. Selbst gemachte Kleider, uralte Schellack-Schallplatten von einem ebenso alten Rocker verkauft, Antiquitäten – es war ein eigenartiges Sammelsurium. Nina betrachtete Hüte, nahm einen Herrenschieber in die Hand, der aus Blümchenstoff gemacht war. Sehr niedlich, wenn auch etwas geschmacklos, wie ich fand, aber ihr stand er ganz gut. Hätte ich ihn aufgesetzt, wäre ich sicher wieder mit der Motzstraße in Berlin in Verbindung gebracht worden.

Dabei fällt mir ein, dass Nina und ich ein L’Occitane betraten, nicht gleichzeitig, sondern etwas versetzt. Ich wurde von der Verkäuferin enthusiastisch begrüßt: „Bonjour Madame.“ Ihr fiel der kleine, unbedeutende Fehler sofort auf, sie entschuldigte sich überschwänglich. Nicht dass es notwendig gewesen wäre, ich war nur ein kleines bisschen ungehalten. Nina hörte natürlich fünf Minuten nicht mit dem Lachen auf, was für alle Parteien am aller peinlichsten war.
Es war Zeit zu lunchen. Es war schon seit einem Jahr mein Wunsch, den Einheimischen hier in dieser Tradition zu folgen, denn es schien mir immer der perfekte Ort dafür. Wir suchten lange und ausgiebig unter gefühlten Hunderten von Restaurants, schließlich blieben wir auf dem Place de Cardeurs. Weißwein und Miesmuscheln waren der perfekte Sommer-Lunch und auch die Sonne pflichtete uns bei, denn sie zeigte sich immer öfter. Ich kam mir sehr dekadent vor, wir blieben lange sitzen in dieser entspannten Atmosphäre.
Wie Menschen nach einem solchen Lunch überhaupt noch zur Arbeit fähig sind, ist mir ein Rätsel. Ich fühlte mich schwer und zufrieden, natürlich auch schläfrig und ein bisschen betrunken. Ich muss dazu sagen, dass ich normalerweise nicht zu lunchen pflege, umso größer ist mein heutiges Opfer zu bewerten, unter dem ich noch immer verzückt leide.

Danach liefen wir noch ein wenig durch Aix, es war eine Art Abschiedsschlendern, denn nach drei Tagen hatten wir endlich genug von der lässigen Atmosphäre. Wir besuchten noch das Quartier Mazarin, ein im Gegensatz zur Altstadt anscheinend auf dem Reißbrett entworfenen Viertel aus dem siebzehnten Jahrhundert. Wir hatten das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein, doch es gefiel uns gut, ein schöner Kontrast. Im Parc Jourdan ruhten wir ein wenig, ich arbeitete an meiner gotischen Novelle, während Nina sich einer Art Mittagsschlaf hingab.
Dann war es irgendwann vorbei, ohne viele Abschiedsgedanken nahmen wir den Bus zum Campingplatz. Morgen geht es wieder an die Küste, nach Cassis und Marseille. Nach einigen Tagen im Landesinnern ist es wieder Zeit für das Meer. Wir hoffen übrigens beide auf gnadenvolle Mücken, die zwar stechen, aber keine allergischen Reaktionen auslösen dürfen (so wie im letzten Jahr). Nina ist schließlich mit der Migräne genug geschlagen.