Mozirje

Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum
Ich träumt in seinem Schatten, so manchen süßen Traum….

Ein wundervoller Tag geht zu Ende. Ich habe es bislang versäumt, den Campingplatz zu beschreiben. Er liegt mitten im Wald, direkt an einem Bach, der in einen kleinen Badesee führt. Zwar ist es nicht unbedingt meine Sache, dort zu schwimmen, aber trotzdem ist es schön, zumindest an besonders heißen Tagen die Option zu haben. Gestern Abend brannten überall Lagerfeuer, alles sehr romantisch. Vor der Bar spielte ein Schiffersklavier so etwas wie slowenische Volksmusik, alles sehr urig, wenn auch nicht unbedingt nach meinem Geschmack. Trotzdem ist die Atmosphäre hier sehr familiär, auch weil die Mitarbeiter immer helfend zur Seite stehen, sei es mit Rat oder Tat.

Heute brannte die Sonne nicht sehr stark, es war also der perfekte Wandertag. Ich wollte es nach so langer Zeit nicht übertreiben, angerostet wie ich bin und unfit für alpine Touren, auch wenn die mich reizen würden. Ich bin nicht mehr direkt in den Alpen, es sind eher „Vorfalten“ auf Mittelgebirgshöhe, so würde ich es bezeichnen. Die nächste Erhebung heißt Golte, ein Skigebiet. Die Beschreibung der Rezeptionistin war etwas ungenau, die mit der Hand gezeichnete und viel zu oft kopierte Karte verwirrte mich noch mehr. Am Ende bin ich selbst schuld, denn ohne entsprechendes Kartenmaterial laufe ich normalerweise nie los. Heute aber erschien mir der gewählte Weg als einfach zu finden, dachte ich zumindest. Er führte mich entlang an den Bergen, nicht darüber. Ich wusste jedoch von Anfang an nie, ob ich mich wirklich auf dem richtigen Weg befand. Schon auf der Hauptstraße war mir nicht klar, ob ich nach rechts oder links einschwenken sollte. Zufällig entschied ich mich für rechts – eine sehr untypische Entscheidung – hier war sie jedoch goldrichtig. Ich erreichte die kleine Ortschaft Recica – ausgesprochen Redschidza. Ich erwähne das, weil ich glaube, dass meine Orientierungslosigkeit auf meine Unfähigkeit zurückzuführen ist, in Gedanken die Ortsnamen formulieren zu können. Sie sehen für meine Augen und Ohren so fremdartig aus, dass ich es mir nicht erlaube, sie nur für mich zum Klingen zu bringen, weil die falsche Aussprache, und sei es auch nur für mich selbst, eine Vergewaltigung der slowenischen Sprache bedeuten würde. Ich habe noch keine Lösung für das Problem, doch die Orte, die ich heute besuchte, habe ich mir alle von der Rezeptionistin formulieren lassen. Sie muss mich für einen Volltrottel gehalten haben, denn nach einigen Knoten in der Zunge schaute sie mich mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung an. Zu allem Überfluss hatte ich das meiste bereits nach wenigen Minuten vergessen. Aber es kommt immer auf den Versuch an.

Jedenfalls lief ich, immer auf der Straße entlang, weiter. Es war vielleicht das einzige Manko, dass es im Grunde geteerte Straßen waren, auf denen ich mich bewegte. Ich sehe es deshalb eher als einen längeren Spaziergang an, nice and easy, der es sicher auch war. Ich kam an einigen kleinen Orten vorbei, sog die herrliche Landluft auf (Kuhscheiße) und genoss den Tag. An einem Ortseingang sah ich ihn, den perfekten Lindenbaum. Er war genauso, wie ich ihn mir vorstellte, Schuberts Vertonung der Winterreise, auch wenn der Brunnen und das Tor fehlte. Daneben befand sich jedoch eine kleine Gebetsstelle samt Madonnenbild, vielleicht zählt das. In jedem Fall fiel mir sofort das Lied ein, also setzte ich mich in seinen Schatten, wenn auch nur für fünf Minuten. Geträumt habe ich nicht, aber das ist ohnehin nicht mehr meine Sache. Ich lebe lieber.

Ich erreichte eine Seilbahn, bei der ich die vage Hoffnung gehegt hatte, dass sie mich auf das Golte-Plateau bringen würde. Meine Hoffnung wurde enttäuscht, denn die Seilbahn ist nur im Winter in Betrieb. Einen Wanderweg hinauf fand ich trotz einiger Suche nicht, so dass ich mich damit begnügte, nach Morzije zu wandern, der größten Stadt in der Gegend, für mich immer noch eher ein Dorf, aber mit einigen Cafés. Sehr nett, die Menschen offen und herzlich, jeder grüßte mich. Überhaupt habe ich mir seit Marokko angewöhnt, jeden, der mich länger als eine Sekunde mustert, „Hallo“ zu sagen und zu lächeln. Bei den meisten Menschen kommt es gut an, sie grüßen zurück. Nur meine Landsleute schauen mich meist völlig verwirrt an. Sie starren eben lieber, was ich mittlerweile ohne Gruß als unhöflich empfinde.
Hier in Morzije schrieb ich, es war ausgesprochen entspannend.
Der Rückweg gestaltete sich als nicht mehr so idyllisch, denn er führte viele Kilometer entlang der Bundesstraße, die am späten Nachmittag mit schwerem Verkehr mein Leben schwer machte. In Narzaje sah ich von Weitem eine Kirche auf einem Hügel, doch die Wolken über mir wurden immer dunkler und in der Ferne konnte ich sehen, dass es regnete. Dass ich daraufhin mein Marschtempo erhöhte, versteht sich von selbst. Letztlich schaffte ich es trocken zum Camper, es regnete am Ende nicht, so dass ich mir die Rennerei auch hätte sparen können.

Es ist wieder später Abend, überall brennen wieder die Feuer und ich habe noch keine Ahnung, was ich morgen machen werde. Wahrscheinlich weiterfahren, habe auch schon eine Idee, da ich aber in letzter Zeit selten das tat, was ich angekündigt habe, behalte ich meine Gedanken diesmal für mich.
Mit Slowenien versöhne ich mich langsam, wenn ich denn jemals wirklich einen Groll gehegt habe. Die Menschen sind überall freundlich, haben immer ein Lächeln übrig und sind sehr hilfsbereit. Es ist ein erstaunlich fortgeschrittenes Land, manche Straße sieht wesentlich besser aus als in Italien beispielsweise und die Häuser brauchen einen europäischen Vergleich nicht zu scheuen.
Das hätte ich nicht gedacht, für mich sah der ehemalige Osten, zu dem ich auch das ehemalige Jugoslawien zähle, immer eher so aus wie Brandenburg heute: trostlos und ohne Zukunft. Das scheint mir hier nicht so.