Pisa

Gestern kam wieder alles anders.
Und diesmal ging es leider nicht um eigenwillige Änderungen meiner Pläne, sondern um einen abrupten Stop, erzwungen und brutal.
Dabei begann alles ganz harmlos. In der Nacht hatte es heftig geregnet, die Kälte kroch wieder durch alle Ritzen des Autos, aber das machte nichts, denn ich wollte abfahren. Schon um neun war ich fertig, zahlte und es ging auf die Reise. Selbst ein kurzer Tankstopp dauerte entgegen anderer Erfahrungen kurz, so dass ich bald schon auf der Autobahn Richtung Pisa fuhr. Ich erinnerte mich, in 2007 war uns auf genau dieser Strecke der Auspuff durchgebrochen, und zwar nicht nur einmal. Es war die einzige nennenswerte Panne gewesen, abgesehen von einigen Malen, in denen ich das Licht einige Tage haben brennen lassen, mit dem Effekt, dass der Mann vom ADAC jedes Mal diesen Blick auf mich heftete und zwar verständnisvolle Worte dazu sprach, aber dachte: „Was für ein Idiot“. Kurz vor Pisa hielt ich noch an einem Supermarkt, kaufte Reisegeschenke und war sehr zufrieden mit mir. So konnte ich Italien verlassen und langsam nach Hause gondeln.

Mein kleines Glück dauerte nur noch wenige Minuten. Ich fuhr auf der Via Aurelia in Richtung Genua, sah den Schiefen Turm und die beeindruckende Kuppel des Domes. An einer Ampel hielt ich, die Sonne ließ sich kurz blicken, es war alles in Ordnung. Als die Ampel auf grün sprang, wollte ich Gas geben, doch außer einem Rumpeln aus dem Motorraum und wenig Leistung samt einer riesigen weißen Rauchwolke aus dem Auspuff geschah nichts.
Das war es.
Ich konnte es kaum glauben. 26000 Kilometer war ich gefahren, bin seit zehn Monaten unterwegs, problemlos. Und jetzt, wieder auf dieser Strecke, verreckt die Transe.

Wie immer in diesen Situationen schiebe ich alle Bedenken, allen Ärger, nach hinten und handle logisch. Es ist schon eigenartig, denn es sind die einzigen Situationen, in denen ich wie ein Uhrwerk funktioniere. Nachdem ich ordnungsgemäß das Auto gesichert hatte, folgte der Anruf beim ADAC. Ganz ehrlich, mir wird niemals ein schlechtes Wort über diese Organisation über die Lippen kommen, denn der Verein funktioniert effizient und freundlich. Binnen einer Stunde kam der Abschleppwagen, Größe XXL, denn er musste beinahe drei Tonnen Ford abschleppen. Da es Sonntag war, wurde das Auto in ein Depot geschleppt. Ich dagegen wurde am Bahnhof ausgesetzt, um meinen Weg zum Hotel zu finden. Der ADAC hatte alles erledigt, mir den Namen des Hotels durchgegeben, einschließlich wärmender und beruhigender Worte. Letzteres mochte ich nicht, denn es hat immer den Anschein, als würde jemand schon wissen, welch schweres Schicksal auf mich zukommt, Reparaturen, die wahrscheinlich einige Monatsgehälter Normalsterblicher kosten.

Es war alles ganz schnell gegangen, gegen eins war ich im Hotel, der Tag hatte eigentlich gerade begonnen. Doch für mich war er vorbei. Jetzt, in der Stille des Zimmers, verstand ich allmählich, dass das jetzt kein Spaß, kein Abenteuer mehr war, sondern blutiger, teurer Ernst. Zwar hatte ich einige Dinge gepackt, die mich mit dem nötigsten ausstatteten, aber mir fielen natürlich in diesem Augenblick mehr Sachen ein, die ich noch hätte mitnehmen können. Auf der anderen Seite hatte ich in meiner kleinen Tasche wenig Platz, natürlich war meine Priorität auf der Sicherung meiner Wertsachen gelegen, Laptop, Netbook, Festplatte. Garmin hatte ich auch dabei, für den Fall und einige Kleider, sogar den Kulturbeutel und ein Taschenmesser. Leider das Falsche, denn wäre es ein Schweizer Messer gewesen, wäre die Öffnung einer Weinflasche kein Problem gewesen. So also würde ich den Abend trocken verbringen müssen.

Langsam kam die Depression. Um sie zu verhindern, beschloss ich gegen drei, mich auf den Weg in die Stadt zu machen, satte fünf Kilometer entfernt. Das Hotel liegt in einer nicht besonders guten Gegend, voller Geschäfte, die an diesem Tag natürlich einsam und geschlossen waren. Garmin lotste mich zur Stadt, auf meinem Marsch machte ich keine Pause. Tausend Dinge gingen mir durch den Kopf, die aber erträglicher waren, weil ich mich bewegte. In dem Zimmer wäre ich verrückt geworden. so aber war es zu ertragen. Ein Freund von mir war überzeugt gewesen, dass das Auto nach dieser Fahrt kaputt sein würde. Ich hatte mich insgeheim diebisch gefreut, dass ich ihm bis jetzt bewiesen hatte, dass meiner Transe nichts geschehen würde. Nun hatte er doch recht behalten.
Pisa selbst empfand ich als tröstend. Durch die Stadt fließt ein beeindruckender Fluss, an deren Ufern sich viele historische Gebäude befinden, postkartenmäßig alle in Erdfarben gestrichen, der Putz blättert oft charismatisch ab, was dem Ort einen besonderen Charme verleiht. Doch meine Gedanken beschäftigten mich mehr als diese schöne Ansicht. Ich kaufte irgendwo eine Pizza zum Mitnehmen und machte mich auf den Rückweg, schon weil es bald dunkel werden würde. Ich zeigte kaum Müdigkeit, selbst als ich am Hotel ankam, nach einem Marsch von sicher mehr als zehn Kilometern. Schon eigenartig, wie fit man durch das Reisen wird.
Im Hotel machte ich dann den Fehler, mich im Internet zu erkundigen. Die Diagnose meines Freundes, der mir das Sterben der Transe vorhergesagt hatte, war niederschmetternd.
Motorschaden durch defekten Zylinderkopf.
Wenn ich Glück habe, ist es nur die Dichtung. Wenn nicht, dann wird es wirklich teuer. Obwohl ich dann entscheiden muss, ob es sich überhaupt noch lohnen würde. Aber erst einmal abwarten.

In der Nacht schlief ich das erste Mal seit zehn Monaten, übrigens beinahe auf den Tag genau, in einem echten Bett in vier (festen) Wänden. Ich schlief nicht gut, denn die Geschichte ging mir auch nachts nicht aus dem Kopf. In Gedanken ging ich einige Optionen durch, kaufte zwei große Koffer, versuchte zu entscheiden, was ich mitnehmen und was im Auto lassen würde, dass ich dann zur Verschrottung preisgeben müsste. Eine Unmöglichkeit, denn es repräsentiert für mich mein Leben, meine Freiheit. Doch warum festhalten an Dingen, die zerbrochen sind?

Ich sitze gerade im Frühstücksraum und schreibe diese Zeilen, zu denen ich gestern nicht in der Lage war. Es ist für mich kaum auszuhalten, auf das Urteil der Werkstatt warten zu müssen. Völlig ohne die Möglichkeit einzugreifen, passiv, muss ich aushalten, es gibt keine Möglichkeit für mich etwas zu tun. Das ist das Schlimmste, ich bin in den Händen von Fremden. Trotzdem, so ist es nun einmal.
Eigentlich muss ich heute das Hotel räumen, denn es ist vom ADAC nur für eine Nacht gebucht. Sicher ist das ein Zeichen, dass die Engel der Straße, oder wie in diesem Fall im Büro in München, die Hoffnung haben, dass ich bald wieder auf der Straße sein werde. Es ist eine vage Hoffnung.
Doch an die klammere ich mich.