Langsam erreiche ich das letzte Drittel der Périgord-Reise. Aber noch habe ich einen Höhepunkt vor mir, den ich heute erreichen wollte. Mir stand eine kleine Rad-Tour bevor, also hatte ich mir vorgenommen, etwas früher aufzustehen. Wie beinahe erwartet, wurde daraus nichts. Hexenschuss. Und was für einer. Ich erlebte einen dieser Augenblicke, in denen ich mich gerade in meinen Stuhl gehievt hatte und dann feststellen musste, dass meine Kaffeetasse zehn Zentimeter zu weit entfernt stand, um sie erreichen zu können. Es waren Augenblicke der tiefsten Trauer. Einem könnten die Tränen kommen. Selbst eine Voltaren-Tablette half nicht, auch wenn es meinem verspannten Rücken danach besser ging. Mein Ischias hingegen wollte davon aber nichts wissen.

Schließlich wurde ich doch irgendwie fertig, um loszufahren. Der Witz beim Hexenschuss ist ja, dass nicht die Bewegung das Schlimmste ist, sondern das Aufstehen. Selbst das Auf-die-Seite-Rollen ist eine ernsthafte Angelegenheit. Wenn man es aber erst einmal geschafft hat, sich hinzustellen, was keine Selbstverständlichkeit ist, dann geht es. So also auch jetzt.

In diesem Augenblick war ich froh, ein Damenrad mit leichtem Einstieg gekauft zu haben, schlichtweg aus dem Grund, weil es kein Herrenrad mehr gegeben hatte. Heute war ich fast dankbar dafür, denn in diesem Zustand mein Bein über die hohe Stange schwingen zu können, wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Musste ich zum Glück ja nicht. Ich stieg also ganz leicht auf.

Gegen halb elf also radelte ich los. Erst nach Rignac hinunter, nur um das Rad wieder nach Alvignac hochzuschieben. In dem kleinen Ort wollte ich ein Baguette kaufen, aber das war nicht möglich. Anscheinend ist ganz Allvignac am Montag geschlossen. Ich hielt mich nicht lange auf, sondern setzte meine Tour nach Padirac fort. Ein paar Kilometer Achterbahnfahrt, zumindest eine leichte. Ich musste nicht oft schieben, sondern kam sogar in den Genuss des Radelns. Auch Padirac sah vollkommen gespenstisch leer aus. Ein Baguette bekam ich schließlich auf einem Campingplatz etwas außerhalb. So ein Aufwand. Aber es lag auf dem Weg zu der berühmten Gouffre de Padirac. Wieder eine Sehenswürdigkeit, die man in der Hauptsaison nicht ohne Voranmeldung im Internet besuchen kann, und zwar Wochen vorher. Ich erreichte die Höhle um halb zwölf, bekam ein Ticket für midi quince, 12:15. Das konnte sich doch sehen lassen. Von oben schaute ich in den Schacht von ca. 30 Metern im Durchmesser. Es ging ein paar Dutzend Meter in die Tiefe. Eine beeindruckende Aussicht, bereits von oben. Die Natur bedeckte die Höhlenwände, überall tropfte es.

Gouffre de Padirac

Die Zeit bis zu meinem Besuch verging recht schnell. Pünktlich standen wir bereit, um in die Tiefe vorgelassen zu werden. Wir alle bekamen einen Audio-Guide, der sich automatisch einschaltete, wenn es etwas zu sehen gab. Die Franzosen haben uns technisch einiges voraus. Finde ich zumindest.

Ich entschied mich dafür, die Treppen hinunterzusteigen. Es gibt auch Aufzüge, aber das wollte ich mir für später aufheben. Hinunter ist es immer leichter, aber das ist nun wirklich eine einfache Binsenweisheit.

Bald schon stand ich auf dem Boden der Höhle, der auch nur der Eingang ist. Ich sah nach oben, auf die Öffnung. Dann betrat ich das Innere der Gouffre de Padirac. Hoch über mir erhob sich die Decke, wieder erreichte ich Stufen, so dass ich immer tiefer abstieg. Schon waren die ersten Tropfsteine zu sehen, die ich fotografierte. Es sollte nur ein Vorspiel sein.
Die eigentliche Attraktion ist aber der unterirdische Fluss, dessen Austritt aus dem Felsen man sehen kann. An ihm lief ich eine Weile vorbei, bis ich an den Landesteg kam. Hier gab es den ersten kleinen Frust, denn es hatte sich eine lange Schlange gebildet. Es dauerte sicher zwanzig Minuten, bis wir an der Reihe waren. Zu zehnt stiegen wir in ein Metallboot, Mein Ischias lachte sich ins Fäustchen. Lass den Idioten mal sitzen, soll er sehen, wie er wieder hochkommt. Dann wurden wir über den unterirdischen Fluss „gepantet“. Ein Führer, der auch hätte in Cambridge oder Venedig arbeiten können, bewegte das Boot sicher durch den schmalen Fluss, erklärte dabei ein wenig auf englisch. Eigentlich braucht es das gar nicht, denn das wichtige sind die Stalaktiten und -miten, die es zu sehen gibt. 500 Meter weit war die Fahrt, wir erreichten eine große unterirdische Halle mit sagenhaften Tropfsteingebilden. Auch diese sollten nur Vorspiel sein, was ich mir kaum vorstellen konnte.

Wir wurden ausgeladen, wobei das zu einer Herausforderung wurde. Ich probierte aufzustehen, aber nichts, wirklich gar nichts geschah. Mein Wille war schwächer als der Ischias. Zum Glück gab es ein Geländer neben mir. So konnte ich den Hexenschuss überwinden. Vorerst zumindest. Sobald ich in Bewegung war, ging es einigermaßen.

Die Tropfsteine waren wundervoll, zerfasert und gewaltig. Ich stieß während der kleinen Wanderung auf unterirdische Seen, beobachtete denn, wie der Fluss, der noch viel weiter fließt, im Dunkel der Erde verschwindet. Tatsächlich tritt er ca. 20 Km von hier wieder zutage. Ein Wahnsinn.

Nicht alle Besucher, die meisten schon sehr betagt und viele mit Gehhilfen ausgestattet, kehrten nun um, denn von nun an führte der Weg steil nach oben. Ich muss sagen, dass ich so eine Höhle noch nie gesehen habe. Zugegeben, ich bin kein Experte und schaue mir sonst selten Tropfsteinhöhlen an. Aber die schiere Weite der Räume hier, manche davon fast Hundert Meter hoch, die fantastischen Skulpturen, ungewöhnlich und gewaltig, waren überwältigend. Eine der Tropfsteinsäulen soll über 90 Meter hoch sein. Manche sehen aus wie gestapelte Teller, weil Tropfen aus großer Höhe auf die Skulpturen fallen. Andere wie eingefrorene Wasserfälle. Dabei erreichte ich wieder Seen, in denen sich das fahle Licht spiegelte. Es war anstrengend, weil die Treppen steil nach oben führten, aber das war es wert. In der großen Halle, die höchste bis dahin, konnte ich den Blick schweifen lassen. In der Ferne sah ich weitere Skulpturen.

Dann ging es wieder abwärts. Noch weit vor dem Landesteg sah ich die Schlange, die sich für die Abfahrt gebildet hatte. Wild telefonierende Angestellte, berichteten „der Zentrale“ von den Besuchermassen. Nicht dass etwas geschehen konnte, denn es gab nun mal nur eine begrenzte Anzahl von Booten. Wieder also wartete ich zwanzig Minuten oder länger, bis ich den Fluss in die andere Richtung fahren konnte. Ich muss gestehen, dass ich ziemlich erschöpft war. Also gönnte ich mir die Fahrstühle, drei an der Zahl, die mich wieder bis ganz nach oben brachten. Immerhin hatte ich noch 20 Km Rückfahrt vor mir. In Gramat musste ich noch einkaufen. Hätte ich daran mal schon vor zwei Tagen gedacht. Aber egal. Auf der Rückfahrt entdeckte ich das Dorf Thégra. Es sind Kleinode wie dieses, die einen kleinen Umweg lohnen. Ein uraltes Dorf, vollkommen abseits der Wege, ein einfaches, aber uriges Schloss. Was will ich mehr?

Nach dem Einkauf in Gramat schaffte ich es fast bis zum Campingplatz. Fünf Minuten vorher aber brach der Himmel auf. Und zwar nicht auf angenehme Weise, im Sinne von Sonnenschein, sondern in unvorstellbar heftigen Regen. Ich weiß nicht, ob ich schon einmal solche Tropfen gesehen hatte. Zwar hatte ich notdürftiges Kit Kit dabei, Regenjacke und Rucksackschutz, aber mehr auch nicht. Meine Hosen waren im Nu pitschenass. Es gibt Augenblicke, da könnte ich schreien. So stand ich da, unter einem Baum neben der Teerstraße, dachte darüber nach, einfach weiterzufahren, was mir aber zu gefährlich schien. Schon ich konnte nicht weit sehen, wie sollte das einem LKW-Fahrer gehen? Ich wartete zehn Minuten, fuhr dann im etwas weniger heftigen Regen triefend nach Hause. Kaum im Schutz der umgebauten Scheune auf dem Campingplatz angelangt, wurde es wieder heftig. Ich beobachtete alles, stand nun, zwar nass, im Trockenen, aber war nicht sehr glücklich. Ich brauchte einen heißen Kaffee, ein Allheilmittel für solche Fälle. Eine kurze Pause nutze ich, um zum Zelt zu kommen. Hier endlich genoss ich den Mokka. Also war alles wieder gut. Die Hose trocknete noch bis zum Abend, ich ebenfalls. Halb so schlimm. Wenn man es nicht gerade erlebt, sondern nur darüber schreibt.

 

Hier weiter