Cadenet, Loumarin & Apt

In der Nacht ließ der Wind merklich nach, auch wenn es morgens noch recht kühl war, wussten wir, dass wir das Schlimmste überstanden hatten. Die Sonne schien und verbreitete allgemeine gute Laune, die sich auf dem Campingplatz ausbreitete. Dass es ein glücklicher und schöner Tag werden würde, merkte ich daran, dass ich im Laden die letzten beiden Croissants bekam. Die Holländer hinter mir gingen leer aus, was sie durch ein unbestimmtes Brummen honorierten.

Nach einem langsamen und deliziösem Frühstück mit Café au Lait konnten wir starten. Als Erstes gingen wir auf den Markt in Cadenet. Wie sich ein solcher Ort verändert, wenn man ihn nicht an einem Sonntag besucht. Die Straßen im Zentrum waren angefüllt mit Ständen, wo man alles bekommen konnte, was das Herz begehrt. Ich könnte mich alleine schon mit den Käse- und Wurstständen beschäftigen, kann mir die Produkte aber eher nicht leisten. Im Unterschied zu uns würden die meisten Franzosen niemals bei Discountern einkaufen. Bei denen, die ich kenne, ist es sogar verpönt. Auf den Märkten ist die Ware besser, man kennt die Bauern oder Fleischer, weiß, welche Qualität sie liefern. Auch geben Franzosen sehr viel mehr Geld für das Essen aus als wir. Wo die Deutschen das Geld lassen, sieht man auf der Straße: Autos. Ich bin mir immer noch nicht sicher, welche Art Statussymbol ich eigentlich charmanter finde, mein Auto habe ich zwar günstig gekauft, doch mit sehr viel Liebe und Zeit ausgebaut, so dass es individueller ist als alles, was sonst noch herumfährt. Also ist es auch für mich eine Art Identitätsfrage, die meine Persönlichkeit widerspiegelt. Auch muss ich gestehen, gerne gut zu essen, aber alles in Maßen und niemals dekadent. Ich kaufe bei Discountern, versuche aber, aus den Produkten das Beste zu machen. Fast so wie beim Auto. Für einen Weg – den deutschen oder französischen – kann ich mich nicht recht entscheiden, gehöre sicher zu keinem der beiden. Also geht meine Suche weiter, es ist auch nicht schlimm, wenn ich mich national nicht identifiziere.

Obst und Gemüse kauften wir hier aber ein, es lachte uns förmlich an. Die Kirschen rochen süß, waren sicher erst kürzlich gepflückt worden. Die Tomaten konnten den Duft der Sonnenreife nicht verstecken, rochen verführerisch herb, schrien förmlich nach Olivenöl und Basilikum. Das Schönste aber waren die roten Paprikaschoten von der Größe zweier Fäuste, von denen eine für uns beide reichen wird. Besonders diese lässt mich bedauern, dass das Grillen wegen Brandgefahr in der Provence auf Campingplätzen verboten ist. Aber gebraten sind sie auch sehr gut.

So ausgestattet machten wir uns auf den Weg nach Loumarin, keine vier Kilometer von Cadenet entfernt. Ich hatte mich, wie in diesen Tagen üblich, gar nicht vorbereitet, der Rough Guide lag im Rucksack und schmollte vor Nicht-Beachtung. Wir stellten das Auto irgendwo am „Ortsring“ ab und liefen die 50 Meter ins Dorf. Es war eine nette Angelegenheit. Ich würde Loumarin als „Nouvelle Provencial“ bezeichnen, er ist mittelalterlich rustikal mit dem Ziel, möglichst wohlhabende Touristen anzuziehen. Als wir zum Kern vordringen wollten, wurden wir von rechts von einer Gruppe älterer holländischer Wanderer überrascht, die sich vordrängelten und sich neben uns durch die engen Gassen quetschten. Rache für das Croissant heute Morgen.
Die Edelboutiquen waren angefüllt mit der neusten Mode für die Dame ab 50, überall gab es schicke Souvenirladen, die nach Seife und Lavendel rochen. Wir liefen noch zum Schloss, in dem Albert Camus gearbeitet und auf dessen Friedhof er begraben ist. Ein wuchtiger Bau von außen, man hat von dort einen schönen Blick auf das Dorf. Danach liefen wir noch ein wenig durch die Gassen und suchten einen Weg auf den kleinen Hügel, der – mit einer Uhr bestückt – von überall außerhalb her zu sehen ist. Wir fanden ihn zwar, doch war er abgesperrt. Sehr schade, denn die Aussicht muss herrlich sein. Von diesem kleinen Misserfolg ließen wir uns nicht aufhalten, tranken erst einmal einen Kaffee in einer der vielen Bars und genossen die Sonne, die noch nicht all zu heiß schien, meine Nase aber wieder einmal kräftig erröten ließ. Es ist die beste Beschäftigung an diesen Orten, einfach sitzen, Leute beobachten und nichts tun.
Nach einer Weile fuhren wir weiter. Apt war das Ziel, eigentlich nur 20 Kilometer entfernt, doch führte uns die Straße mitten durch die Montagne de Luberon. Die Transe schafft solche Strecken, die angefüllt sind mit Serpentinen und Steigungen, wie üblich nur im Schritttempo, so dass wir eine Weile brauchten. Die Aussichten, die wir auf der Fahrt genießen konnten, waren jedoch jede Mühe wert. Ab einem Punkt, nach ca. 10 Kilometern, kann man das nächste Tal vor sich sehen. Die Orte klammern sich spärlich in die Landschaft, die Bergketten scheinen sie zu beschützen. Alles ist grün, nur ab und zu kommt ein nackter Fels zum Vorschein. Sehenswert.

Apt selbst machte einen eher bodenständigen Eindruck. Nicht so aufgedonnert wie die vielen anderen Dörfer, allen voran Gordes oder das eben gesehene Laumarin. Die Stadt scheint es mir authentischer und normaler, hat deshalb viel von seinem natürlichen Charm bewahrt, den die anderen schon durch den Kommerz verloren haben. Leider war heute Montag. Das ist im Allgemeinen nichts Besonderes, doch haben sich die Geschäftsinhaber hier geeinigt, dass Montag allgemeiner Ruhetag ist. Nicht einmal der Buchladen hatte geöffnet, man kann sich gar nicht vorstellen, wie langweilig ein Ort sein kann, wenn das Zentrum so ausgestorben ist. Mit so etwas muss man leben, wir lunchten daher ausgiebig, Nina ein Omlette, ich einen Kaffee, und taten, was wir am liebsten machen: ausspannen. Die Zeit verflog wie von Zauberhand, schon war es später Nachmittag, so dass es Zeit für den Heimweg wurde. Die Fahrt zurück war genau so anstrengend, doch ebenso spektakulär.

Ich empfinde diesen Tag als perfekt, so muss er in der Provence sein. Die kleinen Städte und Dörfer machen hier einfach einen Großteil des Interesses aus. Sie zu besichtigen, ohne Eile, ohne Zeitdruck, gehört zu den schönsten Zeitvertreiben. Eines fehlte noch: ein Glas Pastis, denn ich musste fahren. Sicher gönne ich mir gleich noch eines, denn sonst hätte ich den Eindruck, auf etwas Wesentliches verzichten zu müssen. Und auch wenn das sonst nicht schlimm ist – Verzichten gehört schließlich zum Leben – möchte ich es heute nicht.