Almeria

Was für ein herrlicher Tag, der mich in der Folge erwartete. Langsam und träge verließ ich den Campingplatz bei Granada, die Kälte stecke mir in den Knochen und lähmte mich noch viele Stunden. Doch die Sonne wagte sich ein ums andere Mal heraus und ließ mich zumindest hoffen, dass ich besseres Wetter erwarten durfte. Noch war es ziemlich kalt draußen, bereits die Warmluft aus dem Gebläse der Transe weckte einige Lebensgeister.
Ich hatte eine recht schwierige Strecke um die Sierra Nevada herum erwartet, mit vielen Serpentinen und Anstiegen, was ich jedoch bekam, war eine gut ausgebaute Autobahn. Fast schon langweilte ich mich während der Fahrt, mir kann man es eben nicht recht machen. Erst jetzt, bei besserer Sicht, konnte ich mir die Bergkette anschauen, wie sie majestätisch vor mir lag, mit beeindruckender weißer Krone. Kein Wunder, dass es so kalt gewesen war, denn schon bald erreichte ich einen Pass, der mir sagte, dass ich mich auf 1300 Metern Höhe befand. Soviel zur Erklärung, warum es so kalt gewesen war. Der Gedanke an Wärme trieb sogar die ein wenig schlotternde Transe schneller voran, so schien es mir zumindest. Dass sie so laut brummte, lag allerdings daran, dass ich seit einiger Zeit in viel zu niedrigem Gang fuhr, ich hatte schlicht vergessen zu schalten. So etwas macht mir immer Sorge, wenn das Auto komisch klingt. Dieses Phänomen konnte ich nu leicht abschalten und sie brummte wieder wie eine fleißige Hummel. Biene wäre falsch, denn so schnell ist sie nun einmal nicht.
Die Landschaft war mehr als sehenswert, denn nicht nur die Sierra Nevada lag neben mir, auch eine perfekte Westernlandschaft. Canyonartige Felsgebilde sah ich, ebenfalls Steppe. Kein Wunder also, dass hier so mancher Spaghetti-Western gedreht wurde, der Rough Guide sagte mir, auch „Eine Handvoll Dollar“. Zwar sah ich keine Schilder, doch irgendwo müssen die Filmkulissen auf dieser Strecke stehen, sicher ein Gaudi für Kinder und Westernfans. Da ich zumindest Letzteres nicht bin, ließ ich diese Attraktion hinter mir, beziehungsweise machte keine Anstalten, sie zu finden.
Schon mindestens 40 Kilometer von Almeria entfernt sah ich das Meer, auf das ich von oben hinunter schaute. Es war ein vergnügliches Wiedersehen, wie ich hoffe auf beiden Seiten. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich den rauschenden Wellen zugehört hatte, dabei waren es kaum einige Tage, die ich mich in den Bergen aufgehalten hatte. Das Gefühl war sofort ein anderes und eine kurze Pause mit Outdoor-Aufenthalt zeigte mir, dass es wesentlich angenehmer draußen war als noch vor wenigen Stunden. Zwar blies noch immer eine kräftige Brise, doch sie kam vom Meer und war somit nicht angefüllt von der grimmigen Kälte des Eises. Wie einfach es doch manchmal ist, sich gute Laune zu verschaffen, doch bin ich überzeugt, dass besonders die simplen Genüsse des Lebens viel zu oft übersehen werden, aus denen wir so viel Kraft schöpfen könnten.

Eindrücke von der Fahrt

Ich dachte zurück an das, was ich vor einer Woche unternommen hatte. Mir fiel auf, dass ich – so lebendig es mir auch erschien – keine dreidimensionalen Erinnerungen hatte. Alles war wie auf einer Postkarte, hatte keine Bewegung, keinen Geruch, keine Stimme. Vielleicht bin ich zu so etwas nicht fähig, denn auch wenn ich weiter in die Vergangenheit vorstoße, sind die Erinnerungen genau so. Momentaufnahmen, Snapshots, und so sehr ich mir auch wünsche, dass sie lebendig werden, sie tun es nicht. Niemals, selbst die Gedanken an geliebte oder einst geliebte Menschen ist und bleibt oberflächlich zweidimensional. Vielleicht schaffe ich es, durch meine Worte etwas mehr festzuhalten, das Leben einzufangen. Für mich selber, nicht unbedingt für andere, denn das darf niemals die Intention sein. Wenn es anderen auch gefällt, umso besser. Wenn ich damit sogar einmal ein paar Euro verdienen kann, auch gut, aber nicht so wichtig. Das alles sag ich jetzt aus meiner Sicht, die mir aus der glücklichen oder unglücklichen Fügung einen einfachen, doch gesicherten Lebensstil ermöglicht hat. Noch habe ich mich nicht verkaufen müssen. Doch irgendwann wird diese Zeit kommen und mir eine Lektion erteilen, die ich noch dringend lernen muss. Das ahne ich zumindest, die Zukunft wird es zeigen und die ist noch nicht geschrieben.

Den Zeltplatz in Almeria fand ich ohne Mühe, es ist der erste, der direkt am Strand liegt. Die Sonne schien sehr schön, so dass ich mich recht schnell entschloss, mich in den Sand zu legen. Ich weiß nicht, was Leute empfinden oder wie sie das stundenlang aushalten. Ich jedenfalls gehöre nicht zu dieser Sorte. Schon nach kurzer Zeit war die Decke sandig, auch wollte sie nicht liegen bleiben, sondern schmiegte sich unangenehm an meine Beine. Auch hatte ich diesen Sand plötzlich im Mund, was ich einem kurzen Windstoß und einer noch kürzeren Unachtsamkeit zu verdanken hatte. Mein Buch blätterte wie von alleine wild um sich, kaum eine Zeile, die ich ungestört lesen konnte. Damit hätte ich noch leben können, doch es geschah das, was das Meer so oft zu erleiden hat, es zieht eine Sorte Menschen an, die mit meinem Charakter nicht unbedingt kompatibel ist. Zwei Holländer, wahrscheinlich in meinem Alter, samt Kampfhund und Stereoanlage, machten es sich irgendwo hinter mir gemütlich. Wahrscheinlich handelte es sich um alte Technojünger, das muss so ungefähr die Musikrichtung sein, obwohl ich zugeben muss, mich mit so etwas eher rudimentär auszukennen. Für mich war es das Zeichen, den Strand wieder zu verlassen. Ach was, den Strand, die ganze Anlage. Almeria liegt nicht weit entfernt, ich nahm den nächsten Bus.
Mein erster Eindruck von Almeria ist ein angenehmer. Die Stadt liegt entspannt am Meer, niemand ist wirklich gehetzt, sondern geht seiner Samstag-Nachmittag-Beschäftigung nach. Ich habe heute Attraktionen bewusst ausgelassen, habe nicht einmal den Rough Guide mit, dazu ist morgen noch reichlich Zeit. Ich sitze einfach irgendwo, ich glaube auf der Rambla in einem Café und mache das, was mir zurzeit am meisten Spaß macht: Schreiben.

Dabei fällt mir ein, dass ich unbedingt mit meiner Story beginnen muss. Sie ist bereits wieder dabei, aus meinem Gedächtnis zu verschwinden. In Almeria gibt es nicht allzu viel zu sehen, also ist morgen vielleicht der Tag, an dem ich endlich meinen vielen Worten auch einmal Taten folgen lassen kann.
Das bleibt abzuwarten.