Petworth House
Der Abschied beginnt langsam. Das Wochenende liegt jetzt zwischen uns und unserer Abfahrt, doch auch das ist nun bereits fast zur Hälfte vorbei. Nina hat eigentlich bereits genug vom Urlaub. Und wenn ich ehrlich bin, kann es auch für mich langsam dem Ende entgegen gehen. Im Grunde hat man in dieser Situation nur zwei Möglichkeiten: Etwas an der Art der Reise zu ändern oder nach Hause zu fahren. Wir haben im Moment nur die eine Möglichkeit. Aber selbst wenn ich die andere hätte, würde ich sie im Moment, glaube ich, nicht wählen. Ich frage mich sogar gerade, wie ich zehn Monate ausgehalten habe. Aber das war anders, kein Urlaub, sondern Reise, mit einem höherem Ziel, einen Roman oder zwei zu schreiben. Nur Urlaub also halte ich auch nicht ohne Weiteres aus. Ich muss mir das merken, denn es ist an sich eine interessante Erkenntnis. Auch wenn wir nicht gefaulenzt haben, kann auch die Besichtigung von Sehenswürdigkeiten und das Beobachten einer Kultur zur Monotonie verkommen. Man muss sehr aufpassen.
Die letzten Tage werden wir trotzdem genießen, auch wenn wir danach sicher eine Weile keine Gärten und herrschaftlichen Anwesen mehr sehen können. Auch die immer wieder vorkommenden Einkaufspassagen sind im Grunde nichts Neues. Geld wollen wir jetzt sowieso nicht mehr ausgeben. Somit ist auch dieser Weg des Zeitvertreibs (zum Glück) versperrt.
Heute wollten wir es sehr ruhig angehen lassen. Ich las noch meinen Krimi zu Ende, gegen elf machten wir uns auf den Weg. Ziel war Petworth House, ein Anwesen ganz in unserer Nähe, so dass wir nicht allzu lange fahren mussten. Der Parkplatz quoll schon über, es ist schön zu sehen, dass die Engländer in dieser Masse ihre eigene Kultur und Geschichte genießen, auch wenn Nina und ich meist zu den jüngsten gehören. Neulich, in Corfe Castle, fragte der Führer, ob wir Harry Potter gelesen hätten. Sein Blick fiel auf mich, doch ich rührte mich nicht. Dann meinte er: „Oh you, youngsters, you must know Harry Potter….
Ich meine, ich bin 40. Einen 40jährigen als Youngster zu bezeichnen und dabei nicht sarkastisch zu werden, dazu gehört schon eine gewaltige Gewöhnung an ein Publikum im Rentenalter.
Doch heute war es zumindest etwas anders, auch jüngere Leute und junge Familien sahen wir, wenn auch nicht allzu häufig.
Das Anwesen selbst war eine durchweg positive Überraschung. Ich denke immer, dass es in dieser Richtung kaum noch Steigerungen gibt, schon allein wegen der Höhepunkte, die wir bereits gesehen haben. Doch wieder irrte ich mich auf positivste Weise. Petworth begann etwas langweilig, das Haus macht von außen nicht viel her, sieht eher aus wie ein langgestreckter Bauklotz. Die Gärten ähneln einem Park, doch hatten wir vor dem Besuch des Hauses kaum etwas darüber gesehen. Ein recht altmodischer Gang führte uns ins Innere, hier sah es zwar interessant aus, doch wirklich begeistert war ich noch nicht. Auch die Kapelle der Familie konnte mich nicht recht überzeugen. Dann aber kamen wir in ein breites Gemach, das über und über mit Bildern bedeckt war und in dem viele antike Statuen ausgestellt waren. Die Sammlung der Lords kann sich absolut sehen lassen. Die Bilder vieler namhafter Künstler hängen hier, vor allem Turner ist oft Gast der Familie gewesen, die sich als perfekte Mäzene erwiesen haben müssen. Denn hier hängen sicher mehr als ein Dutzend seiner Bilder, in denen die mythische Landschaften und zauberhafte Himmel zu sehen sind, die für den Künstler so typisch sind. Es ist eine reiche Sammlung, die mich ein wenig an das großartige Anwesen im Norden Englands, Chatsworth, erinnerte. Auch römische Kopien von griechischen Skulpturen sind hier ausgestellt, eine schöner als die andere. Es ist ein echtes Ideal, diese Sammlung, die sich noch in weitere Räumer erstreckt. Am Ende kommt man auf eine großartige Treppe zu, an den Wänden grandiose Fresken, die mich an italienische Prachtvillen erinnerten. Der Reichtum an Kunstwerken schien kein Ende zu nehmen.
Um den Besuch abzurunden, verließen wir das Haupthaus und gingen zu den Quartieren der Diener, in denen heute die gastronomischen Stätten des National Trusts untergebracht sind. Die alten Küchen aber sehen noch genauso aus wie vor Jahrzehnten. Heute wurde hier sogar gekocht, beziehungsweise Erdbeerschnittchen gereicht. Und das immer mit einem Lächeln auf den Lippen, die Köchin und der Koch erklärten dabei, wie eine Küche in vergangener Zeit organisiert war. Es kann kein Zuckerschlecken gewesen sein, in einer Küche zu arbeiten. Wie heute auch nicht. Manches ändert sich eben nie.
Auch in dem Ort Petworth waren wir kurz, eine historische Stadt mit manchen windschiefen Cottages und eleganten georgischen Stadthäusern. Die vielen Antiquitätengeschäfte allerdings zeigten uns, welches Klientel eigentlich hier am liebsten gesehen wird. Geld ist eben universal. Und immer beliebt, zumindest oberflächlich.
Für den heutigen Tag reichte es uns. Wir fuhren an der beeindruckenden Burg Arundel vorbei, wollten zur Küste nach Littlehampton. Letztlich fanden wir einen Campingplatz, aber konnten uns nicht dazu durchringen, an den Strand zu gehen. Immer wieder sah es nach Regen aus, unsere beste Ausrede, einfach alle sechse gerade sein zu lassen und uns auszuruhen. Aus irgendeinem Grund bin ich noch immer völlig am Ende mit meinen Kräften. Auch wenn es langsam besser wird. Urlaub ist eben anstrengend. Manchmal.
Und wieder sind wir ein Stück weiter, der Kreis ist beinahe geschlossen. Aber noch nicht. Sondern erst in zwei Tagen.